30 Jahre Schmerz- und Palliativtag – DGS setzt neue Maßstäbe12. März 2019 “Wir müssen zurückkehren zur ärztlichen Kunst des Fragens, Zuhörens und der Empathie”, erklärte der DGS- Präsident Johannes Horlemann bei der Eröffnung des Schmerztages. Fotograf: Martin Leissl / DGS Drei Jahrzehnte Engagement in der Schmerzversorgung – auf diesen beeindruckenden Zeitraum blickte die Deutsche Gesellschaft für Schmerzmedizin e.V. (DGS) beim diesjährigen Schmerz- und Palliativtag in Frankfurt zurück und warf gleichzeitig einen Blick nach vorne. Abhilfe sollen die DGS-PraxisLeitlinien schaffen – die zugrunde liegende Philosophie wurde in dem zehn Thesen umfassenden DGS-Thesenpapier zusammengefasst. Damit wurde gleichzeitig auch das Fundament für das diesjährige Leitthema der Tagung ,Individualisierung statt Standardisierung‘ geschaffen, so DGS-Präsident Dr. Johannes Horlemann bei der Auftakt-Pressekonferenz. „Unsere langjährige Erfahrung zeigt, dass der Patient mit seinen individuellen Problemstellungen und Bedürfnissen in den schmerztherapeutischen Leitlinien nicht genug berücksichtigt wird“, sagte DGS-Präsident Dr. Johannes Horlemann und betonte: „Oft sind Alter, Geschlecht, insbesondere Multimorbidität, Begleittherapien und Schweregrad der Erkrankung nicht vergleichbar mit den untersuchten Kollektiven, die den Empfehlungen in Leitlinien zugrunde liegen.“ Im Versorgungsalltag zeige sich außerdem eine große Verunsicherung bei jeder Abweichung vom Standard: Der Verordner müsse seine Entscheidung nicht nur rechtfertigen, gegebenenfalls sei sie sogar justiziabel. Um die Individualität der Patienten sowie auch ihre persönlichen Therapie-Präferenzen stärker in den Fokus zu rücken, veröffentlicht die DGS daher regelmäßig eigene PraxisLeitlinien, die nicht nur die verfügbare Evidenz enthalten, sondern auch die Erfahrungen der Anwender und Patienten. Im „DGS-Thesenpapier zur ärztlichen Entscheidungsfindung in der Schmerzmedizin“ wurde die grundsätzliche Ausrichtung der Fachgesellschaft gegenüber Evidenz und Leitlinien definiert. Damit und mit dem diesjährigen Schmerztag-Motto ,Individualisierung statt Standardisierung‘ möchte die DGS eine Brücke schlagen zwischen individuellem Anspruch und wissenschaftlichem Standard: „Unser Ziel muss die Zufriedenheit des Patienten sein. Das bedeutet nicht immer unbedingt Schmerzfreiheit“, betonte Horlemann. Die Multimorbidität der meisten Patienten mit chronischen Schmerzen würde eine Leitlinien-Standardisierung grundsätzlich entgegenstehen. Weg frei für flächendeckende schmerzmedizinische Versorgung Es gehe der Fachgesellschaft vor allem darum, die Versorgung der rund 23 Millionen Patienten zu verbessern. Einen wichtigen Etappensieg konnte die DGS im vergangenen Jahr bei den erforderlichen gesundheitspolitischen Bedingungen für eine flächendeckende schmerzmedizinische Versorgung der Zukunft verzeichnen. In einem Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) zur Abnahme des Endberichts „Gutachten zur Weiterentwicklung der Bedarfsplanung i.S.d. §§ 99FF SGB5 V zur Sicherung der vertragsärztlichen Versorgung“ vom 20. September 2018 wird erstmals eine eigenständige fachärztliche Versorgung von Schmerzzuständen in der Bedarfsplanung vorgeschlagen. „Außerdem zeichnen sich über das Mittel der Qualitätssicherungsvereinbarung (QSV) neue Entwicklungen ab, die die Sicherstellung der Bedarfsplanung in der Zukunft fördern“, erläuterte Horlemann. Agenda 2020plus – Schnittstellen erkennen und nutzen Um künftig eine immer größer werdende Anzahl älterer Menschen mit chronischen Erkrankungen zu versorgen, ist nach DGS-Vizepräsident Dr. med. Thomas Cegla auch die stärkere Vernetzung aller am Behandlungsprozess Beteiligten wesentlich. Unter anderem müsse jede Therapie die enormen psychischen und physischen Belastungen der Patienten sowie auch der Behandelnden stärker berücksichtigen, sodass laut Cegla zunehmend auch psychologische Aspekte an Bedeutung gewinnen. Für die bestmögliche Versorgung sei eine stärkere Verzahnung von Praxen und Kliniken sowie Ärzten verschiedener Fachrichtungen wie Psychologen und Physiotherapeuten unerlässlich. „Ziel ist es, gemeinsame Versorgungsstrukturen für eine nachhaltige multimodale Schmerzmedizin zu entwickeln – nicht nur zeitlich begrenzt stationär, sondern auch tagesklinisch sowie langfristig ambulant“, so Cegla. DGS-PraxisRegister Schmerz erreicht Höchstmarke Als Versorgergesellschaft fordert die DGS diese Strukturen nicht nur, sondern entwickelt sie auch aktiv und treibt sie voran. Ein wichtiges Tool in puncto Vernetzung und Datenaustausch ist beispielsweise das DGS-PraxisRegister Schmerz, das im Jahr 2018 eine neue Höchstmarke erreicht hat. Über die Dokumentationsplattform iDocLive® wurden mit 31.753 Patienten so viele Fälle evaluiert wie nie zuvor – gegenüber dem Vorjahr 5,4 Prozent mehr. Aktuell sind 545 Ärzte, 722 nicht-ärztliche Therapeuten und 2.205 ärztliche Fachangestellte in 149 Zentren beteiligt, die iDocLive® als diagnostisches Hilfsmittel sowie zur Verlaufsbeobachtung und Terminplanung nutzen. Anfang Februar 2019 umfasst das PraxisRegister Schmerz bereits Informationen zu mehr als 223.000 Behandlungsfällen. Die DGS verfügt damit über einen einzigartigen, schnell wachsenden Datenfundus, um daraus Antworten auf relevante Fragen der Schmerzversorgung abzuleiten. Thementag 2019: Kopfschmerzversorgung in Deutschland Künftig wird sich der Deutsche Schmerz- und Palliativtag jährlich einem besonderen Thema aus der Schmerzmedizin widmen, in diesem Jahr dem Kopfschmerz. Die Brisanz des Themas verdeutlichen die von DGS-Vizepräsidentin Dr. med. Astrid Gendolla vorgestellten Zahlen zur Migräne: Etwa 8 bis 12 Prozent aller Erwachsenen und 4 bis 5 Prozent aller Kinder und Jugendlichen leiden an Migräne. Mit fatalen Folgen für die Betroffenen und das Gesundheitssystem: „Durch Migräne entstehen nicht nur direkte Krankheitskosten, die im Deutschen Gesundheitssystem auf circa 400 Millionen Euro pro Jahr geschätzt werden“, erklärte Gendolla. „Weitaus höher sind die indirekten Krankheitskosten, die sich durch die Arbeitsunfähigkeit und reduzierte Produktivität am Arbeitsplatz ergeben.“ Innovative Therapien wie der 2018 für chronische Migräne zugelassene CGPR-Antikörper Erenumab könnten hier Abhilfe schaffen. Weiteres Plus: „Zum ersten Mal steht eine spezifische Migräneprophylaxe zur Verfügung, die dank monatlicher Injektion auch eine sehr gute Adhärenzrate erzielt“, so Gendolla. Weitere Substanzen, wie Galcanezumab und Fremanezumab, werden im Laufe des Jahres 2019 in Deutschland zugelassen. Auch wenn eine „Heilung“ der Migräne nicht in Sicht sei: „Eine bessere Lebensqualität und deutliche Linderung der Schmerzen erreichen wir auf jeden Fall“, fasste Gendolla zusammen.
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