4i-Technologie: Ein detailliertes Bild der menschlichen Netzhaut

Ausschnitt aus einem Querschnitt eines Netzhaut-Organoids. Unterschiedliche Gewebestrukturen sind mit unterschiedlichen Farben sichtbar gemacht.Illustration.©Wahle et al.

In einem hochaufgelösten Atlas konnten Forschende aus Basel und Zürich zeigen, wie sich die menschliche Netzhaut entwickelt. Dieser könnte den Wissenschaftlern helfen, Krankheiten besser zu erforschen.

In welchem menschlichen Gewebe kommt wo welcher Zelltyp vor? Welche Gene sind in den einzelnen Zellen aktiv, und welche Proteine findet man dort? Darüber soll ein spezieller Atlas Auskunft geben – vor allem auch darüber, wie sich die unterschiedlichen Gewebe während der Embryonalentwicklung bilden und wie Krankheiten entstehen. Die Forschenden möchten nicht nur von Menschen direkt isoliertes Gewebe dazu kartieren, sondern auch Organoide.

„Organoide haben den Vorteil, dass wir in ihre Entwicklung eingreifen und an ihnen Wirkstoffe testen können. Wir können dadurch mehr über gesundes Gewebe sowie über Krankheiten erfahren“, erklärt Barbara Treutlein, Professorin für Quantitative Entwicklungsbiologie am Departement für Biosysteme der Eidgenössische Technische Hochschule (ETH) Zürich in Basel.

Um so einen Atlas zu erstellen, hat Treutlein zusammen mit Forschenden der Universitäten Zürich und Basel einen Ansatz entwickelt, um sehr viele Informationen über Organoide und ihre Entwicklung zu sammeln und zusammenzuführen. Gezeigt haben sie das am Beispiel von Organoiden der menschlichen Netzhaut, die sie aus Stammzellen gewonnen haben.

Viele Proteine gleichzeitig sichtbar

Im Zentrum der Methoden, welche die Wissenschaftler für ihren Ansatz nutzten, stand die iterative, indirect, immunofluorescence, imaging (4i) -Technologie. Das ist ein neues bildgebendes Verfahren, um in einer dünnen Gewebeprobe mehrere Dutzend Proteine mittels Fluoreszenzmikroskopie hochauflösend sichtbar zu machen. Entwickelt wurde die 4i-Technologie vor wenigen Jahren von Prof. Lucas Pelkmans von der Universität Zürich und Mitautor der Studie. Die Ergebnisse der Forschung wurden im Fachmagazin „Nature Biotechnology“ veröffentlicht.

Mittels Fluoreszenzmikroskopie können in der Regel in einem Gewebe drei Proteine mit je einem Fluoreszenzfarbstoff sichtbar gemacht werden. Mehr als fünf Proteine können aus technischen Gründen nicht auf einmal gefärbt werden. Bei der 4i-Technologie werden drei Farbstoffe genutzt. Diese werden nach der Messung jedoch wieder aus der Gewebeprobe gewaschen und anschließend werden drei neue Proteine sichtbar gemacht. Ein Roboter führte diesen Schritt 18-mal durch, was insgesamt 18 Tage dauert. Schließlich fügt ein Computer die Einzelbilder zu einem einzigen Mikroskopiebild zusammen, auf dem 53 verschiedene Proteine sichtbar sind. Sie geben Aufschluss über die Funktion der einzelnen Zelltypen, aus denen die Netzhaut besteht, also zum Beispiel auf Stäbchen- und Zapfenzellen sowie Ganglienzellen.

Ergänzt haben die Forschenden diese Bildinformation von Netzhautproteinen mit Informationen dazu, welche Gene in den einzelnen Zellen abgelesen werden.

Hohe räumliche und zeitliche Auflösung

Diese Analysen führten die Wissenschaftler bei Organoiden unterschiedlicher Entwicklungsstadien durch. Die Forschenden erstellten eine Zeitreihe von Bildern und genetischer Informationen, welche die gesamte 39 Wochen dauernde Entwicklung von Netzhaut-Organoiden beschreibt. „Wir können damit zeigen, wie sich das Organoid-Gewebe langsam aufbaut, wo sich wann welche Zelltypen vermehren und wo sich die Synapsen befinden. Die Vorgänge sind vergleichbar mit jenen der Netzhautbildung während der Embryonalentwicklung“, sagt Prof. Gray Camp von der Universität Basel und einer der Leiter dieser Studie.

Weitere Gewebetypen in Planung

Die Forschen haben bisher untersucht, wie sich die gesunde Netzhaut entwickelt. In Zukunft möchten sie die Entwicklung in den Netzhaut-Organoiden mit Wirkstoffen oder genetischen Veränderungen bewusst stören. „Damit werden wir neue Einblicke gewinnen in Krankheiten wie Retinitis pigmentosa, die vererbbar ist und bei der die lichtempfindliche Rezeptoren der Netzhaut in einem schleichenden Prozess degenerieren, während dem Betroffene erblinden“, sagt Camp. Die Wissenschaftler wollen herausfinden, wann dieser Vorgang beginnt und wie man ihn allenfalls stoppen kann.

Treutlein und Kollegen wollen zudem detaillierte Kartierungen von anderen Gewebetypen wie verschiedenen Abschnitten des menschlichen Gehirns und verschiedener Tumorgewebe vornehmen. Schritt für Schritt soll somit ein Atlas entstehen, der Auskunft über die Entwicklung von menschlichen Organoiden und Geweben gibt.

Die Bilder- und weitere Informationen zur Netzhaut-Entwicklung haben die Forschenden auf einer öffentlich zugänglichen Website publiziert: EyeSee4is [https://eyesee4is.ethz.ch/].

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Quellen Wahle P, Brancati G, Harmel C, He Z et al.: Multimodal spatiotemporal phenotyping of human retinal organoid development. Nature Biotechnology (2023) doi:10.1038/s41587-023-01747-2Eidgenössische Technische Hochschule Zürich