75 Jahre Virchowbund: „Soziale Verantwortung ist für Ärzte aktueller denn je“

Der Virchowbund feierte sein 75-jähriges Bestehen. Foto: Virchowbund / Lopata

Der Virchowbund feierte am 12. Juni sein 75-jähriges Bestehen mit einem Festabend in der Liebermann-Villa am Wannsee. Das Leitmotiv des Namensgebers Rudolf Virchow – Gesundheitsversorgung als sozial-politische Verantwortung – ist für den Verband aktueller denn je.

„75 Jahre nach seiner Gründung ist der Virchowbund als fachübergreifender Berufsverband für Hausärzte und Fachärztinnen relevanter denn je“, sagt der Bundesvorsitzende des Virchowbundes, Dr. Dirk Heinrich. „Die großen Proteste und Praxisschließungen 2012 und 2023 wurden jeweils vom Virchowbund initiiert. Wir haben bewiesen, dass wir beides können: Überzeugende Konzepte für Versorgung von morgen entwickeln und politische Allianzen schmieden, um Ideen auch umzusetzen.“

Vom NKV zum Virchowbund

1949 war der Verband – damals unter dem Namen „Verband der Nicht-Kassenärzte (NKV)“ – gegründet worden. Nachdem der Verband im Jahr 1960 vor dem Bundesverfassungsgericht die Zulassung aller Praxisärzte zur vertragsärztlichen Versorgung erstritten hatte, wurde aus ihm der „Verband der niedergelassenen Ärzte“ (NAV).

1990 fusionierte der westdeutsche NAV mit dem in Wendezeiten gegründeten ostdeutschen Rudolf-Virchow-Bund und hieß fortan „NAV-Virchow-Bund“. „Das war keine sonst übliche ,Übernahme aus dem Westen‘, sondern eine Fusion auf Augenhöhe und deshalb im Bereich der Ärzteverbände einzigartig“, erinnert Heinrich.

2022 wurde aus NAV-Virchow-Bund simpel: Virchowbund. Seither sind auch die niedergelassenen Ärztinnen explizit genannt. Im Bundesvorstand und in den Landesgruppen sind Frauen schon lange vertreten. Heute sind 40 Prozent der Funktionsträger im Verband Frauen.

Virchowbund steht für Niederlassungsfreiheit, Freiberuflichkeit und fachübergreifende Themen

Die Niederlassungsfreiheit ist nach Angaben des Verbandes nicht die einzige wegweisende Änderung, die der Virchowbund in seiner 75-jährigen Geschichte als Erfolg verbuchen kann. Unter anderem gehen auch die Aufhebung der Residenzpflicht, die Abschaffung der 68er-Regelung und die Etablierung von fachübergreifenden Gemeinschaftspraxen und MVZ auf sein Konto. Weitsicht bewies der Verband auch als Wegbereiter von Praxisnetzen und Modellprojekten wie dem Gesundheitskiosk Billstedt/Horn.

Wie ein roter Faden ziehen sich der Einsatz für Freiberuflichkeit, Niederlassungsfreiheit und tragfähige Finanzierung durch die Geschichte der Verbandsarbeit. Auch das Erbe des Namenspatrons, des berühmten Berliner Arztes und Gesundheitspolitikers, Rudolf Virchow, bewahrt der Verband. So referierte bei der gestrigen Festveranstaltung anlässlich des Verbandsjubiläums in Berlin Prof. Ulrich Wenner, Vorsitzender Richter am Bundessozialgericht a. D., als Festredner über „Die soziale Verantwortung des Arztes“.

Der ehemalige Richter erklärte: „Niemand kann den Beruf als Ärztin oder Arzt ohne bejahten oder gelebten Bezug zur Gesellschaft, in der er tätig ist, in vollem Sinne ausüben.“ Er zitierte den langjährigen Richter des Bundesverfassungsgerichts, Ernst-Wolfgang Böckenförde: „Der freiheitliche, säkulare Staat lebt von Voraussetzungen, die er nicht garantieren kann.“ Ärzten komme eine besondere Bedeutung zu, die Konflikte zwischen den Ansprüchen des einzelnen und jenen der Gesellschaft aufzulösen. Dafür werde ihnen vom Staat auch besonderes Vertrauen entgegengebracht, dass ihnen „als Gruppe die Gewährleistung der angemessenen flächendeckenden Versorgung nicht gleichgültig ist. Das geht weit über die staatliche Indienstnahme anderer freiberuflich tätiger Personen hinaus. Wenn Sie in der Praxis das Licht ausmachen, dann geht es wirklich aus in den Orten.“

Heinrich resümierte: „Lösungen und Impulse für die aktuellen Probleme im Gesundheitswesen müssen auch aus der Ärzteschaft selbst kommen. Leider untergraben lähmende gesetzliche Eingriffe, die Politik des ,divide et impera‘ und der fast vollständige Rückzug der gesetzlichen Krankenkassen aus der gestaltenden Versorgungsverantwortung die Motivation dazu. Der Virchowbund jedenfalls stellt sich als Verband dieser sozialen Verantwortung. Und er bleibt Heimat für Ärztinnen und Ärzte, die soziale Verantwortung als festen Bestandteil ihres Berufes sehen. Der Name Rudolf Virchows ist dabei für uns Inspiration und Verpflichtung zugleich. Auch für die nächsten 75 Jahre.“