AAD 2024: Von Budgets und Brötchen

BVA-Chef Daniel Pleger (Mitte) mit Gastreferent Ralph Ennenbach (r.), Vizevorsitzender der KV Schleswig-Holstein, und Peter Heinz, 2.BVA-Vorsitzender und 1. stellvertretender Vorsitzender der KV Bayerns. Foto: Schulz/Biermann Medizin

Mit einem ebenso einfachen wie eindrücklichen Vergleich erklärte der 1. BVA-Vorsitzende Daniel Pleger das Problem der Budgetierung. Würde ein Bäcker auch dann noch eine bestimmte Anzahl Brötchen backen, wenn ein Teil dieser Brötchen nur noch zu einem stark verminderten Preis verkauft oder sogar verschenkt werden müsste? Wohl kaum. Dieser Bäcker würde weniger Brötchen backen – so viele wie bezahlt würden.

Budgets seien heute „aus der Zeit gefallen“, unterstrich Pleger in seinem Impulsreferat während des berufspolitischen Seminars des BVA am Freitagabend. Moderator des Seminars war sein Kollege Dr. Bernhard Bambas, BVA-Landesvorsitzender in Schleswig-Holstein.
Das System der heute existierenden Ausgabendeckel stamme aus dem Jahr 1992, erinnerte Pleger – ebenso die Bedarfsplanung, die damals noch aus der Sorge vor einer Ärzteschwemme (!) entstanden sei. Heute aber stelle sich die Situation völlig anders dar, betonte Pleger und nannte als Stichwörter Fachkräftemangel, Versorgungsdefizit, Verteilungskämpfe und Nachwuchsprobleme. Hinzu komme noch die Tatsache, dass die Babyboomer-Generation mehr und mehr versorgungspflichtig werde, die Kluft zwischen Angebot und Nachfrage medizinischer Leistungen werde also immer größer.

Drei Fragen, eine Antwort
Um die Unangemessenheit der Budgets in der heutigen Zeit weiter zu verdeutlichen, stellte der BVA-Chef drei Fragen, die die Antwort quasi schon enthielten:

Wie möchte man ein Versorgungsproblem lösen, indem man die Leistungserbringer nicht vollständig bezahlt?
Wie möchte man Nachwuchsprobleme lösen, wenn man die derzeit tätigen Leistungserbringer frustriert aus der Versorgung treibt?
Wie sollen junge Kolleginnen und Kollegen zu einer tragfähigen Praxisfinanzierung kommen, wenn die Honorierung der erbrachten Leistungen gedeckelt ist und damit eine Planungssicherheit kaum möglich ist?

Die Antwort auf jede dieser Fragen hieß einfach: „Leistung muss vollständig bezahlt werden.“

Zuvor hatte Pleger das Bäcker-Beispiel erläutert. Wenn ein Bäcker jeden Tag 100 Kunden habe, die zwei Brötchen kaufen wollten und er dafür einen Euro pro Brötchen bekomme, dann werde er 200 Brötchen backen. Wenn ebendieser Bäcker dann jeden Tag 200 Kunden habe, die zwei Brötchen wollten und er dafür einen Euro pro Brötchen bekomme, werde er 400 Brötchen backen. Wenn dieser Bäcker aber jeden Tag 200 Kunden habe, die zwei Brötchen wollten und er dann für 300 Brötchen einen Euro bekomme und für die weiteren 100 Brötchen eine geringere oder gar keine Bezahlung … „Was wird er dann tun?“, fragte Pleger eher rhetorisch.

Einnahmen, so der BVA-Vorsitzende, müssten planbar sein, sowohl für bestehende Praxen als auch für Existenzgründungen und für eine gerechte Bezahlung der Mitarbeitenden. Versorgungsproblemen könnten nun einmal nicht durch „nette Worte“ gelöst werden. Versorgungsbedarf und Leistungsangebot könnten nur zusammenwachsen bei gleicher Bezahlung für alle Fachgruppen und alle Leistungen. Das richtige politische Signal wäre es, nicht nur die Kinder- und Hausärzte, sondern die Leistungen für alle Fachgebiete zu entbudgetieren.

Kleiner Hoffnungsschimmer in Thüringen
Am Ende zeigte Pleger einen „kleinen Hoffnungsschimmer“ auf und bediente sich hierzu eines abgewandelten Zitates aus den „Asterix“-Comics: Ganz Deutschland kämpft noch immer gegen die Budgetierung … ganz Deutschland? Nein, so Pleger, in der KV Thüringen sei es Ende 2023 gelungen, mit den regionalen Krankenkassen für drei Jahre eine Entbudgetierung der konservativ tätigen Augenärzte auszuhandeln.

Stringenter HVM als Teil einer politischen Strategie
Zuvor hatte der stellvertretende Vorstandsvorsitzende der KV Schleswig-Holstein (S-H), Dr. Ralph Ennenbach, als Gastreferent die Besonderheiten des dortigen Honorarverteilungsmaßstabes (HVM) erläutert. In einem detailreichen Vortrag legte er dar, weshalb ein solcher „stringenter“ HVM ein Weg zu einer notwendigen politischen Strategie sein könnte. Die wesentlichen Prinzipien des HVM in der KV S-H sind laut Ennenbach der Verzicht auf Fachgruppentöpfe, die Gleichheit der Restpunktwerte im Fachbereich sowie die Begrenzung mit individuellen Punktzahlvolumina (keine Fallzahlabhängigkeit der Punktzahlvolumina [PZV] und keine Untervolumina nach Ausstattung oder Genehmigung).

Zwar habe es im Zuge der „Neueichung“ nach Einführung des neuen PZV Mitte 2023 intern gewisse Umverteilungen und Unruhe gegeben, räumte Ennenbach ein, aber die HVM-Struktur der KV S-H vermittle die klare Botschaft, dass es für begrenztes Geld begrenzte Leistung gebe. Die „orientierende Behandlung“ sei in der Grundpauschale abgebildet und unlimitiert. Dringendes gehe immer, weniger Wichtiges müsse jedoch warten können und: „Von außen kann nicht mehr verlangt werden“, unterstrich der KV-Vize den Grundsatz der Begrenzung.

Insgesamt, so hatte er eingangs seines Referates bereits verdeutlicht, habe der HVM in Schleswig-Holstein dazu beigetragen, dass es eine weitgehende interne Einigkeit in der KV gebe und somit Verteilungsdebatten zwischen den Gruppen reduziert werden könnten. Solche Debatten seien politisches Gift, denn sie führten dazu, dass man sich mit sich selbst beschäftige, nicht aber nach außen wirken könnte. „Man muss sich bemerkbar machen, um nicht unterzugehen“, konstatierte Ennenbach. Es müsse deutlich werden, dass die Ärzte nicht für den eigenen Geldbeutel, sondern um die Sache insgesamt kämpften. Der amtierende Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach (SPD), so meinte er, habe nur ein „unterentwickeltes Problembewusstsein“ für das Missverhältnis von Inanspruchnahme und Ressourcen und überdies ein „sehr fremdelndes Verhältnis zu den Fachärzten“.

Von der Entbudgetierung zur Neubewertung
In einem abschließenden Panel diskutierten Pleger, Ennenbach und sein bayerischer KV-Kollege Dr. Peter Heinz, zugleich Vizevorsitzender des BVA, über die Vor- und Nachteile bestimmter HVM-Strukturen und deren Passgenauigkeit in den jeweiligen KVen.

Ein großes Problem im Praxisalltag, so wurde auch aus dem Plenum geäußert, sei die stetig wachsende Zahl der „selbsterklärten Notfälle“ – Patienten, die eine Behandlung möglichst ohne Wartezeiten erzwingen wollten, letztlich aber keinen Notfall darstellten, sondern zuweilen nur unter „Befindlichkeitsstörungen“ litten. Dies erzeuge Druck und Unruhe in vielen Praxen und sei ein deutliches Symptom des politisch erzeugten Versorgungsdefizites und Nachwuchsproblems im niedergelassenen ambulanten Bereich.

Einigkeit bestand auf dem Podium darin, dass die Entbudgetierung aller Fachgruppen das politische Nahziel sein müsse. Ennenbach zeigte sodann ein weiteres Ziel in fernerer Zukunft auf: komplette Neubewertungen innerhalb des Einheitlichen Bewertungsmaßstabes (EBM). Die heute gültigen Bewertungen seien in großen Teilen 30 Jahre alt und viele Innovationen seien im EBM nach wie vor nicht enthalten. Dies erfordere das Bohren dicker Bretter und eine hohe Frustrationstoleranz, meinte der Gast aus dem hohen Norden: „Wenn Sie abends darüber nachdenken wollen, was Sie am Tag alles geschafft haben, dürfen Sie nicht KV-Vorstand werden.“ (dk)