Abführmittel: Möglicherweise ein Demenz-Risikofaktor – und in vielen Fällen vermeidbar

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Zwischen Darmmikrobiom und Hirngesundheit wurden bereits Zusammenhänge beschrieben. Eine Studie zeigt nun erstmals, dass der regelmäßige Gebrauch von Abführmitteln mit einem signifikant höheren Demenzrisiko assoziiert ist.

Laxanzien können die Epithelbarrieren des Darms stören und den Übergang von aus dem Darmmikrobiom stammenden neurotoxischen Stoffwechselprodukten in das zentrale Nervensystem erleichtern und inflammatorische Prozesse begünstigen. Noch gibt es keinen Beweis für diese Hypothese, aber eine gesunde Ernährung kann womöglich gleich doppelt vor Demenz schützen: Sie macht Abführmittel häufig obsolet und schützt per se vor kognitivem Abbau.

Risikofaktoren für Demenz

In Deutschland leiden 1,6 Millionen Menschen an Demenz, bis 2025 werden es schätzungsweise 2,8 Millionen sein. Die Ursachen umfassen nicht nur die hohe und weiter steigende Lebenserwartung und genetische Faktoren, sondern sind zu einem großen Teil auch in modifizierbaren Risikofaktoren zu suchen. Die rechtzeitige adäquate Behandlung/Vermeidung dieser Risikofaktoren könnte laut dem Bericht der „Lancet Commission“ 2020 [2] bis zu 40 Prozent aller Demenzerkrankungen verhindern. Die zwölf bisher bekannten Faktoren sind: ein niedriger Bildungsstand, Bluthochdruck, Schwerhörigkeit, Rauchen, Übergewicht, Depressionen, körperliche Inaktivität, Diabetes mellitus, wenig Sozialkontakt, exzessiver Alkoholkonsum, Schädel-Hirn-Traumen und Luftverschmutzung. Auch der Schlaf scheint eine wichtige Rolle bei der Entwicklung einer Demenz zu spielen. Weitere Risikofaktoren werden erforscht.

In einer großen prospektiven, populationsbasierten Kohortenstudie analysierten deren Autoren den Zusammenhang zwischen der Anwendung verschiedener Laxanzien und dem Demenzrisiko. [1] Die Daten entstammen einer britischen Biobank (˃500.000 Freiwillige, Alter 40-69 Jahre), die Teilnehmenden waren zu Studienbeginn nicht an Demenz erkrankt. Als chronischer Laxanziengebrauch galt eine Einnahme an den meisten Tagen einer Woche in den vier Wochen vor der Studienaufnahme (im Zeitraum 2006-2010). Endpunkt war die Diagnose einer Demenz jeglicher Ursache (laut Klinikstatistiken und Sterberegister bis 2020). Statistisch adjustiert wurden die Ergebnisse hinsichtlich soziodemografischer Merkmale, Begleiterkrankungen, Familienanamnese und sonstiger regelmäßiger Medikamenteneinnahme.

Insgesamt konnten 502.229 Teilnehmende ausgewertet werden (mittleres Alter 56,5±8,1 Jahre; 54,4% weiblich); von diesen nahmen 18.235 (3,6%) regelmäßig Abführmittel. Die Nachbeobachtung betrug durchschnittlich 9,8 Jahre. In dieser Zeit erhielten 1,3 Prozent der Teilnehmenden, die regelmäßig Abführmittel eingenommen hatten, eine Demenzdiagnose – jedoch nur 0,4 Prozent der Teilnehmenden, die nicht davon Gebrauch machten. Statistisch errechnete sich bei regelmäßigem Laxanziengebrauch ein signifikant erhöhtes Demenzrisiko von 50 Prozent (Hazard Ratio [HR] 1,51). Der Abführmittelgebrauch war dabei signifikant mit der Entstehung vaskulärer Demenzen assoziiert (HR 1,65), nicht jedoch mit der Alzheimer-Demenz (HR 1,05). Das Risiko für Demenzen insgesamt sowie für die vaskuläre Demenz stieg mit der Zahl der eingenommenen unterschiedlichen Laxanzien an. Von den Teilnehmenden, die angaben, nur eine Sorte Abführmittel zu nehmen (n=5800), war nur die Gruppe der osmotisch wirksamen Abführmittel signifikant mit dem allgemeinen Demenzrisiko (HR 1,64) und dem für Demenzen vaskulärer Ursache (HR 1,97) assoziiert. Osmotische Abführmittel „ziehen“ Wasser in das Darmlumen, was den Stuhl verdünnt. Bei einem zu häufigen Gebrauch oder bei zu hohen Dosen kann es zu einem gestörten Mineralstoff- und Wasserhaushalt kommen.

Doch wie können Abführmittel das Demenzrisiko beeinflussen? Über die Darm-Hirn-Achse (z.B. der Vagusnerv, aber auch Millionen weiterer Nervenverbindungen) „kommunizieren“ Darm und Gehirn. Bekannt ist, dass eine Dysbiose diese Signalübertragung und sogar die Produktion von Neurotransmittern beeinflussen kann [3] – und eine Studie zeigte bereits 2019, dass osmotisch wirksame Laxanzien das Mikrobiom verändern. [4] Abführmittel können auch die Epithelbarrieren des Darms stören und den Übergang von aus dem Darmmikrobiom stammenden neurotoxischen Stoffwechselprodukten in das zentrale Nervensystem erleichtern und inflammatorische Prozesse begünstigen

„Die Studie ist keine randomisierte-kontrollierte Studie, daher nicht beweisgebend, dass Abführmittel das Demenz-Risiko tatsächlich erhöhen. Weitere Untersuchungen sind notwendig. Dennoch raten wir angesichts des Ergebnisses zur Vorsicht im Umgang mit Laxanzien, gerade vor dem Hintergrund, dass Demenzerkrankungen immer weiter zunehmen“, erklärt DGN-Generalsekretär und -Pressesprecher Prof. Peter Berlit.

Derzeit nehmen circa 20 Prozent der Allgemeinbevölkerung und 70 Prozent der Pflegeheimbewohner [5, 6] regelmäßig Abführmittel ein. Nach Ansicht des Experten könnten viele Menschen darauf verzichten, wenn sie ihre Ernährung umstellten und mehr Ballaststoffe, enthalten in Obst, Gemüse und Vollkornprodukten, und vor allem auch ausreichend Flüssigkeit in Form von Wasser oder ungesüßten Tee zu sich nehmen würden. „Eine solche Ernährungsumstellung hat womöglich gleich eine doppelte Schutzwirkung gegen Demenz: Zum einen lässt sich in vielen Fällen auf Abführmittel verzichten, die einen potenziell schädigenden Einfluss auf die Hirngesundheit haben, zum anderen gilt eine gesunde Ernährung per se als wichtige Säule der Demenzprävention. Für den Erhalt der geistigen Funktion bis ins hohe Alter lohnt es sich in jedem Fall, seine Ernährung umzustellen!“

Der Experte betont abschließend die Bedeutung der Demenzprävention: Der Anteil beeinflussbarer Demenzen liegt Schätzungen zufolge bei etwa 40 Prozent. Die DGN arbeitet zusammen mit der Deutschen Hirnstiftung daran, das Thema Hirngesundheit und die Bedeutung vermeidbarer Demenzrisikofaktoren in die Öffentlichkeit zu tragen und möglichst viele Menschen dafür zu sensibilisieren.