Adipositas-assoziiertes Krebsrisiko: Taillenumfang ist bei Männern noch aussagekräftiger als der BMI

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Wer übergewichtig ist, hat ein höheres Risiko an Krebs zu erkranken. Eine Analyse von Daten zu rund 340.000 Patienten zeigt nun, dass bei Männern die Messung des Taillenumfangs das Risiko, an Adipositas-bedingtem Krebs zu erkranken, noch genauer anzeigt als der Body-Mass-Index (BMI). Bei Frauen trifft das nicht zu.

Dies belegt eine neue Studie von Forschenden um den Biostatistiker und Epidemiologen Dr. Josef Fritz von der Medizinischen Universität Innsbruck. Parallel zur Veröffentlichung der Untersuchungsergebnisse im „Journal of the National Cancer Institute“ (JNCI) präsentierte Fritz diese auf dem Europäischen Adipositas Kongress (ECO) in Málaga (Spanien).

Für die Analyse wertete Fritz, der am EpiCenter der Medizin Uni Innsbruck und an der Universität Lund in Schweden tätig ist, gemeinsam mit seinen schwedischen Kolleginnen Ming Sun und Tanja Stocks die Daten von 339.190 Personen (Durchschnittsalter 51,4 Jahre) aus, die zwischen 1981 und 2019 in verschiedenen schwedischen Bevölkerungsgruppen erhoben wurden. Die Informationen glichen die Wissenschaftler mit den Krebsdiagnosen des schwedischen Krebsregisters ab. Während einer mittleren Nachbeobachtungszeit von 14 Jahren nach Erhebung des BMI und des Taillenumfangs wurden 18.185 Adipositas-bedingte Krebserkrankungen registriert.

Als Adipositas-assoziierte Tumorarten gelten laut Definition der Internationalen Agentur für Krebsforschung (IARC) jene, für die es ausreichend Beweise für den Zusammenhang mit Übergewicht gibt: Speiseröhren-, Magen-, Dickdarm-, Rektum-, Leber-, Gallengangs-, Gallenblasen-, Bauchspeicheldrüsen-, Brust-, Gebärmutterschleimhaut-, Eierstock- und Schilddrüsenkrebs sowie das Nierenzellkarzinom, das Meningeom und das multiple Myelom.

Bauchfett ist bei Männern entscheidend

Die Analyse der aufbereiteten Messdaten ergab bei Männern einen eindeutigen Unterschied der Aussagekraft von Taillenumfang und BMI hinsichtlich der Risikobewertung für die Entwicklung von Adipositas bedingten Krebsformen: So war ein um etwa 11 cm größerer Taillenumfang (z.B. von 101 cm vs. 90 cm) mit einem um 25 Prozent höheren Risiko verbunden, an Übergewichts-bedingtem Krebs zu erkranken. Ein BMI-Anstieg um 3,7 kg/m² (z. B. ein Vergleich eines BMI von 27,7 kg/m² vs. 24 kg/m²) entsprach hingegen lediglich einem um 19 Prozent erhöhtem Risiko. Die beiden Werte – 11 cm beim Taillenumfang und 3,7 kg/m² beim BMI – entsprechen jeweils etwa einer Standardabweichung in der untersuchten Population und sind daher direkt vergleichbar.

„Der BMI sagt nichts über die Verteilung des Körperfetts aus, während der Taillenumfang ein Hinweis für abdominales Fett („Bauchfett“) ist“, erläutert Fritz. Diese Differenzierung sei entscheidend, da das abdominale Fett stoffwechselaktiver ist und mit weiteren gesundheitlichen Nachteilen wie Insulinresistenz, Entzündungen und erhöhten Blutfettwerten in Verbindung gebracht werde. „Folglich können Personen mit ähnlichem BMI unterschiedliche Krebsrisiken aufweisen, je nach Fettverteilung“, erklärt Fritz das Ergebnis. Dieses würde darauf hindeuten, dass das Krebsrisiko, das mit dem Taillenumfang und damit mit abdominalem Bauchfett verbunden ist, spezifisch ist und nicht allein mit dem BMI gemessen werden kann.

Taillenumfang bei Frauen weniger aussagekräftig

Bei Frauen fielen die Ergebnisse der Messungen hinsichtlich des Krebsrisikos für den Taillenumfang und für den BMI jedoch ähnlich aus. Zum Beispiel war sowohl ein um etwa 12 cm größerer Taillenumfang (z.B. 92 cm vs. 80 cm) als auch ein um 3,7 kg/m² erhöhter BMI (z. B. BMI 28,3 kg/m² vs. 24 kg/m²) gleichermaßen mit einem um 13 Prozent erhöhten Risiko verbunden, an Adipositas bedingtem Krebs zu erkranken.

„Das hat uns zunächst selber überrascht“, erklärt Fritz. „Eine plausible Erklärung ist, dass Männer dazu neigen, Fett viszeral, also direkt um die Bauchorgane, zu speichern, während Frauen im Allgemeinen mehr subkutanes Fett an der Taille und peripheres Fett ansammeln. Folglich ist der Taillenumfang bei Männern ein genaueres Maß für viszerales Fett als bei Frauen. Dies könnte den Taillenumfang zu einem stärkeren Risikofaktor für Krebs bei Männern machen und erklären, warum der Taillenumfang bei Männern zusätzliche Risikoinformationen liefert, die über das hinausgehen, was durch den BMI vermittelt wird – bei Frauen jedoch nicht“, interpretiert Fritz das Ergebnis. „Unsere Ergebnisse legen nahe, dass geschlechtsspezifische Unterschiede bei der Fettverteilung bei der Einschätzung des Krebsrisikos stärker berücksichtigt werden sollten. Weitere Forschung ist notwendig, um diese biologischen Unterschiede besser zu verstehen“, schließt er daraus.

Statistische Herausforderung

Während der BMI leicht ermittelt werden kann, lässt sich der Taillenumfang schwerer präzise und konsistent messen. „Messfehler führen dazu, dass der tatsächliche Effekt unterschätzt wird – die Ergebnisse werden gewissermaßen verwässert“, erläutert Fritz. „Um den BMI und den Taillenumfang direkt vergleichen zu können, haben wir die Daten statistisch bereinigt und die zufälligen Messfehler mithilfe der sogenannten Regression Dilution Ratio-Methode korrigiert.“ Bei der Berechnung des relativen Risikos für Adipositas-assoziierten Krebs berücksichtigten die Wissenschafter außerdem weitere Einflussfaktoren, darunter Alter, Rauchverhalten sowie sozioökonomische Merkmale wie Bildung, Einkommen, Geburtsland und Familienstand.