Adipositas-Paradoxon bei Herzinsuffizienz wohl nur ein Mythos7. April 2023 Um die Prognose übergewichtiger Herzinsuffiziennz-Patienten besser einzuschätzen, sollte einer Studie zufolge eher das Verhältnis von Taille zu Körpergröße in den Blick genommen werden. (Symbolbild: ©Kurhan – stock.adobe.com) Übergewicht schützt Menschen mit Herzinsuffizienz vor krankheitsbedingtem Klinikaufenthalt und Tod? Dieser Vorstellung widerspricht eine kürzlich im „European Heart Journal“ veröffentlichte Studie. Das Verhältnis von Taille zu Körpergröße scheint dieser zufolge aussagekräftiger zu sein als der altbekannte Body-Mass-Index (BMI). Das „Adipositas-Paradoxon“ bezieht sich auf kontraintuitive Befunde, die darauf hindeuten, dass Menschen mit Übergewicht oder Fettleibigkeit zwar ein höheres Risiko haben, Herzprobleme zu entwickeln, dass aber Menschen mit einem höheren BMI, sobald sie ein Herzleiden entwickelt haben, offenbar besser abschneiden und weniger wahrscheinlich sterben als Normalgewichtige. Zur Erklärung wurden verschiedene Hypothesen vorgebracht, darunter die Tatsache, dass zusätzliches Fett nach dem Auftreten von Herzproblemen einen gewissen Schutz vor weiteren Gesundheitsproblemen und dem Tod bietet, zumal Menschen, die eine schwere und chronische Krankheit entwickeln, häufig an Gewicht verlieren. Das Problem mit dem Body-Mass-Index John McMurray, Professor für Medizinische Kardiologie an der Universität Glasgow (Großbritannien) und Leiter der neuen Forschungsarbeit, erläutert zum Hintergrund der Studie: „Es wurde behauptet, dass ein Leben mit Fettleibigkeit für Patienten mit Herzinsuffizienz und verminderter Auswurffraktion (HFrEF) […] eine gute Sache ist. Wir wussten, dass dies nicht stimmen konnte und dass Fettleibigkeit eher schlecht als gut sein musste. Wir vermuteten, dass ein Teil des Problems darin bestand, dass der BMI ein schwacher Indikator dafür ist, wie viel Fettgewebe ein Patient hat.“ In einem begleitenden Editorial weisen der Kardiologe Prof. Stephan von Haehling und der wissenschaftliche Mitarbeiter Dr. Ryosuke Sato, beide von der Universitätsmedizin Göttingen, auf das seit langem kritisierte Kernproblem des BMI als Marker für Übergewicht hin: dieser berücksichtigt nicht die Zusammensetzung des Körpers aus Fett, Muskeln und Knochen oder die Verteilung des Fettes. „Wäre es denkbar, dass ein amerikanischer Profi-Ringer (mehr Muskeln) und ein japanischer Sumo-Ringer (mehr Fett) mit demselben BMI ein ähnliches Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen haben? Das Gleiche gilt für Personen wie Arnold Schwarzenegger in seinen jungen Jahren, als er als ‚Terminator‘ auftrat und einen BMI von rund 30 kg/m2 hatte“, geben sie zu bedenken. Vergleich mit weiteren Methoden zur Erfassung von Übergewicht McMurray und Kollegen verglichen daher verschiedene Methoden zur Messung der Größe und der Proportionen von Patienten mit HFrEF, darunter den BMI, aber auch anthropometrische Messungen wie das Verhältnis von Taille zu Körpergröße, den Taillenumfang und das Verhältnis von Taille zu Hüfte. Bei der Auswertung berücksichtigten sie Faktoren, die die Ergebnisse beeinflussen könnten, wie z. B. den Spiegel natriuretischer Peptide. „Natriuretische Peptide sind die wichtigste prognostische Variable bei Patienten mit Herzinsuffizienz. Normalerweise steigt der Gehalt an natriuretischen Peptiden bei Menschen mit Herzinsuffizienz an, aber Patienten mit Übergewicht haben niedrigere Werte als Normalgewichtige“, verdeutlicht McMurray. Die verwendeten Daten von 1832 Frauen und 6567 Männern mit HFrEF stammen aus der bekannten Studie PARADIGM-HF – einer randomisierten, kontrollierten Studie, die in 47 Ländern auf sechs Kontinenten durchgeführt wurde. Bei der Randomisierung der Patienten erfassten die Ärzte Daten zu BMI, Blutdruck, anthropometrischen Messungen, Ergebnissen von Bluttests, Krankengeschichte und Behandlungen. Nun interessierte sich das Team um McMurray dafür, welche der Studienteilnehmer ins Krankenhaus eingeliefert wurden oder daran starben. Verhältnis von Taille zu Körpergröße aussagekräftiger als Body-Mass-Index Werteten die Studienautoren die Sterblichkeit in Abhängigkeit vom BMI aus, zeigte sich tatsächlich ein „Adipositas-Überlebens-Paradoxon“, bei dem eine geringere Sterblichkeitsrate bei Personen mit einem BMI von 25 kg/m2 oder mehr festgestellt wurde. Nahmen sie in ihre Auswertung jedoch alle Faktoren hinzu, die das Ergebnis beeinflussen können – einschließlich der Werte natriuretischer Peptide – löste sich das Paradoxon auf. Dr. Jawad Butt, Erstautor der Studie und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Kopenhagener Universitätskrankenhaus Rigshospitalet (Dänemark), führte die Analysen durch. Er erläutert die weiteren Studienergebnisse: „Das Paradoxon war weit weniger offensichtlich, als wir das Verhältnis von Taille zu Körpergröße untersuchten, und es verschwand nach Anpassung für prognostische Variablen. Nach der Anpassung zeigten sowohl der BMI als auch das Verhältnis von Taille zu Körpergröße, dass mehr Körperfett mit einem höheren Risiko für Tod oder Krankenhausaufenthalt wegen Herzinsuffizienz verbunden war, aber dies war beim Verhältnis von Taille zu Körpergröße deutlicher. Bei der Betrachtung des Verhältnisses von Taille zu Körpergröße stellten wir fest, dass die oberen 20 Prozent der Menschen mit dem meisten Fett ein um 39 Prozent erhöhtes Risiko hatten, wegen Herzinsuffizienz ins Krankenhaus eingeliefert zu werden, verglichen mit den unteren 20 Prozent, die am wenigsten Fett aufwiesen.“ Übergewicht erhöht das Risiko unerwünschter Ereignisse „Unsere Studie zeigt, dass es kein ‚Adipositas-Überlebens-Paradoxon‘ gibt, wenn wir bessere Methoden zur Messung des Körperfetts verwenden“, betont McMurray. Der BMI berücksichtige weder die Lage des Fettes im Körper noch seine Menge im Verhältnis zu den Muskeln oder dem Gewicht des Skeletts, das je nach Geschlecht, Alter und Ethnie unterschiedlich sein kann. „Speziell bei Herzinsuffizienz trägt auch die zurückgehaltene Flüssigkeit zum Körpergewicht bei. Es sind Indizes, die das Gewicht nicht einbeziehen, wie z. B. das Verhältnis von Taille zu Körpergröße, die in unserer Studie die tatsächliche Beziehung zwischen Körperfett und Patientenresultaten verdeutlicht haben und zeigen, dass eine größere Adipositas tatsächlich mit schlechteren und nicht mit besseren Resultaten verbunden ist, einschließlich hoher Hospitalisierungsraten und einer schlechteren gesundheitsbezogenen Lebensqualität.“ Body-Mass-Index als Maßeinheit für Übergewicht überdenken „Fettleibigkeit ist nicht gut und bei Patienten mit HFrEF sogar schlecht. Diese Beobachtungen werfen die Frage auf, ob eine Gewichtsabnahme die Ergebnisse verbessern könnte“, spekuliert der Kardiologe. Es bräuchte Studien, um dies zu prüfen. Er verweist auf die aktuelle britische Empfehlung des National Institute for Health and Care Excellence (NICE) für die allgemeine Bevölkerung das Verhältnis von Taille zu Körpergröße anstelle des BMI zu verwenden, und fordert, dies auch für Patienten mit Herzinsuffizienz umzusetzen. „Dies ist wichtig, weil die Unterdiagnose von Herzinsuffizienz bei Menschen mit Übergewicht ein großes Problem in der Primärversorgung darstellt. Die Symptome der Atemnot von Patienten werden oft als alleinige Folge der Fettleibigkeit abgetan. Fettleibigkeit ist ein Risikofaktor und eine treibende Kraft für Herzinsuffizienz. Während in der Vergangenheit eine Gewichtsabnahme bei Patienten mit HFrEF kritisch gesehen wurde, ist dies heute bei Adipositas der Fall.“ Sato und von Haehling stellen in ihrem Editorial heraus, dass der Begriff „Adipositas-Paradoxon“, das angeblich auf dem BMI basiert, auf Grundlage dieser Ergebnisse in Frage gestellt werden sollte. Sie halten es für nötig, das Paradoxon anhand des geeigneteren Verhältnisses von Taille zu Körpergröße auch bei Patienten mit Herzinsuffizienz und erhaltener Ejektionsfraktion sowie bei schlanken Herzinsuffizienz-Patienten zu überprüfen. Außerdem seien weitere Tests erforderlich, um die Wirkung einer Gewichtsabnahme bei „wirklich“ adipösen Herzinsuffizienz-Patienten mit einem hohen Verhältnis von Taille zu Körpergröße zu validieren. Erst dann könne die Frage, ob adipöse Herzinsuffizienz-Patienten einfach so bleiben können, wie sie sind, angemessen beantwortet werden. Studienlimitationen Die Verfasser der Studie weisen auf verschiedene Einschränkungen ihrer Untersuchung hin. Zum einen kann es schwieriger sein, den Taillenumfang genau zu messen – insbesondere wenn die Messungen von verschiedenen Personen durchgeführt werden – als den BMI zu bestimmen. Möglicherweise wurden unbekannte Faktoren übersehen, die die Ergebnisse beeinflussen könnten. Außerdem wurde die Analyse auf der Grundlage von Messungen und anderen Daten durchgeführt, die zum Zeitpunkt der Aufnahme der Teilnehmer in die Studie vorgenommen wurden. Damit werden keine Veränderungen des Gewichts oder des Taillenumfangs während des Nachbeobachtungszeitraums berücksichtigt. Es gab keine Daten zur kardiorespiratorischen Fitness der Teilnehmer, die sich auf den Zusammenhang zwischen anthropometrischen Messungen und Ergebnissen auswirken könnten. Auch geben McMurray und Kollegen zu Bedenken, dass die Ergebnisse der Studie nicht auf Patienten mit einem niedrigen BMI bzw. niedrigen Verhältnis von Taille zu Hüfte extrapoliert werden können, da nicht genügend untergewichtige Patienten an Studie teilgenommen haben. (ah)
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