Ärzte-Petition: Praxenkollaps oder Alarmismus?

Andreas Gassen und Carola Reimann (v.l.) sind unterschiedlicher Meinung, wie es um die ärztliche Versorgung in Deutschland bestellt ist. Fotos: axentis.de / Georg J. Lopata (Gassen); AOK-Bundesverband (Reimann)

Dr. Andreas Gassen, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), hat am 19.02.2024 im Petitionsausschuss des Bundestages eine Petition zur Rettung der ambulanten Versorgung eingebracht. Der AOK-Bundesverband hält diese glatt für überflüssig.

Die Petition mit dem Titel „Vergütung für medizinische Leistungen – Verbesserung der Rahmenbedingungen für die ambulante Versorgung“ wurde von rund 550.000 Unterzeichnenden unterstützt. Die KBV hatte sie mit dem Motto „PraxenKollaps – Praxis weg. Gesundheit weg.“ beworben. Gemeinsam mit Dr. Stephan Hofmeister, dem stellvertretenden KBV-Vorstandsvorsitzenden, stand Gassen jetzt im Ausschuss Rede und Antwort.

KBV: Praxisschließungen drohen

„Wir haben einen akuten Handlungsdruck. Denn Praxisschließungen drohen bereits in den nächsten Jahren in größerem Umfang“, sagte der KBV-Chef. „Praxen, die ihre Türen für immer zumachen, ohne einen Nachfolger gefunden zu haben, sind und werden für die Bevölkerung zu einem weiteren Gradmesser für Teilhabe, Sicherheit und Wohlstand in unserem Land.“

„Wir brauchen jetzt Lösungen“, betonte Hofmeister. „Zu viel Bürokratie und eine schlecht gemachte Digitalisierung rauben wertvolle Zeit, die der Patientenversorgung fehlen. Zudem müssen die Regresse endlich aufgehoben werden“, so der KBV-Vize weiter.

„Die Menschen im Land schätzen ihre niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte. Sie wollen ihre Praxis vor Ort behalten und spüren, dass dies längst keine Selbstverständlichkeit mehr ist. Ich hatte den Eindruck, dass das heute bei den Politikerinnen und Politikern im Ausschuss auch angekommen ist. Enttäuscht bin ich allerdings über den Bundesgesundheitsminister, der einer notwendigen Entbudgetierung für alle Praxen erneut eine Abfuhr erteilte“, erläuterte KBV-Chef Gassen.

In einem eindringlichen Appell wandten sich beide KBV-Vorstände an den Bundesgesundheitsminister, zumindest die eigentlich politisch konsentierten Dinge wie die Entbudgetierung für Hausärzte sowie Entbürokratisierung endlich umzusetzen. „Bisher gibt es nichts, was wir bewerten könnten“, so Gassen abschließend.

Für Dr. Carola Reimann, Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes, wird die Warnung vor einem „Praxenkollaps“ der Realität jedoch nicht gerecht. „Wir sollten aufhören, ständig das Bild eines nicht mehr funktionierenden Gesundheitswesens zu zeichnen. Noch nie wurde so viel Geld für die ambulante Versorgung aufgewendet wie aktuell, allein 2022 waren es 46 Milliarden Euro“, so Reimann. Die Zahl der niedergelassenen Ärzte, die in der Versorgung tätig sind, sei in den letzten Jahren auf einen Spitzenwert von 185.000 gestiegen.

AOK: Gesundheitssystem funktioniert

„Daher werden die alarmistischen Warnungen der KBV vor einem angeblichen Praxenkollaps der Realität nicht gerecht“, so Reimann weiter. „Unser Gesundheitssystem funktioniert, aber es braucht zweifellos eine strukturelle Weiterentwicklung. Die aktuellen Strukturen sorgen dafür, dass die vorhandenen finanziellen und personellen Ressourcen schlecht verteilt und nicht effizient eingesetzt werden. Wenn wir die Probleme des Ärztemangels auf dem Land und der langen Wartezeiten lösen wollen, müssen wir ärztliche Praxisstrukturen weiterentwickeln, die Kompetenzen weiterer Gesundheitsberufe nach dem Vorbild anderer europäischer Länder erweitern und nicht zuletzt die Möglichkeiten der Digitalisierung wie Videosprechstunden stärker nutzen.“ Reimann fordert, hier anzusetzen, „statt einfach immer mehr Geld der Beitragszahlenden in die vorhandenen Strukturen zu pumpen“. Sie schätzt, dass die geplante Entbudgetierung bei den Hausärzten etwa 400 Millionen Euro zusätzlich kosten werde, „ohne dass wir dadurch den Ärztemangel in strukturschwachen Regionen beheben“.

Bei der Forderung nach einer sinnvoll umgesetzten Ambulantisierung stimmt der AOK-Bundesverband der KBV jedoch ausdrücklich zu: „Wir brauchen mehr ambulante statt stationärer Operationen. Nach wie vor werden viel zu viele Menschen in Deutschland im Krankenhaus behandelt, obwohl sie auch ambulant gut und ohne Abstriche in der Behandlungsqualität versorgt werden könnten.“

(KBV/AOK/ms)