Ärztliche Psychotherapie: Körper und Seele zusammenhalten16. November 2017 Prof. Frank Ulrich Montgomery (Foto: BÄK) Psychische Erkrankungen gehen häufig mit behandlungsbedürftigen somatischen Erkrankungen einher. Entsprechend muss die psychiatrische beziehungsweise psychotherapeutische Versorgung eng in den somatischen Behandlungskontext eingebunden werden. Dies forderten zahlreiche Referenten auf der Tagung „Chancen und Wert der ärztlichen Psychotherapie“ in Berlin. „Psychische Erkrankungen werden immer mehr zu einer Herausforderung für die Gesundheitsversorgung. Sie verursachen immenses menschliches Leid und auch erhebliche volkswirtschaftliche Kosten“, sagte Prof. Frank Ulrich Montgomery, Präsident der Bundesärztekammer (BÄK), zum Auftakt der Tagung „Chancen und Wert der ärztlichen Psychotherapie“ am 11. November 2017 in Berlin. Die direkten Krankheitskosten beziffert die Bundesanstalt für Arbeit für das Jahr 2016 auf 40 Milliarden Euro. Mittlerweile ist in Deutschland jeder dritte Erwachsene im Zeitraum eines Jahres von einer psychischen Erkrankung betroffen. „Die gute Nachricht ist, dass psychische Erkrankungen meist erfolgreich behandelt werden können. Mit dieser Tagung nehmen wir eine Standortbestimmung der ärztlichen Psychotherapie vor, zeigen ihr Alleinstellungsmerkmal und ihren spezifischen Wert auf“, sagte Montgomery. So betonten zahlreiche Referenten die Notwendigkeit, die psychiatrische beziehungsweise psychotherapeutische Versorgung eng in den somatischen Behandlungskontext einzubinden. Die Kompetenz der spezifisch ärztlichen Form der Behandlung psychisch Kranker liege insbesondere darin, ein individuelles, somatische wie psychische Aspekte integrierendes Gesamtkonzept für den einzelnen Patienten anbieten zu können. Dies sei umso wichtiger, weil psychische Erkrankungen häufig mit behandlungsbedürftigen somatischen Erkrankungen einhergehen und sich beide wechselseitig sogar noch verstärken können. Langjähriges Vertrauensverhältnis zwischen Patient und Arzt In Deutschland wird die psychotherapeutische Versorgung sowohl von ärztlichen als auch von psychologischen Psychotherapeuten sowie von Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten mit den ihnen jeweils eigenen Qualifikationen getragen. Nahezu 400.000 Patienten werden jährlich in der ärztlichen ambulanten, stationären und rehabilitativen psychosomatischen Medizin behandelt. Das berichtete auf der Tagung Prof. Johannes Kruse, Ärztlicher Direktor der Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie am Universitätsklinikum Gießen und Marburg. „Die ärztliche Psychotherapie schafft für Patienten wie für Ärzte eine Brücke zwischen der somatischen und der psychotherapeutischen Versorgung. Sie verhindert eine Aufspaltung zwischen einer Versorgung für den Körper und die Seele“, sagte Kruse, der auch Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Psychosomatische Medizin und Ärztliche Psychotherapie (DGPM) ist. Tatsächlich leisten Haus- und Fachärzte die psychosomatische Grundversorgung in Deutschland. Patienten mit Depressionen werden zu mehr als 80 Prozent von ihrem Hausarzt behandelt, zwei Fünftel der Patienten mit psychischen und psychosomatischen Störungen bei einem Facharzt mit entsprechender Zusatzweiterbildung. Darauf hob auch PD Dr. Martina Rauchfuß, Chefärztin der Abteilung Psychosomatische Medizin und Psychotherapie an der Klinik Henningsdorf, ab. Der Vorteil hier: Es bestehe meist ein langjähriges Vertrauensverhältnis zwischen Patient und Arzt. Der Einstieg in eine Psychotherapie falle deshalb leichter. Unzureichende Vergütung Als „Dilemma“ bezeichnete Dr. Christa Roth-Sackenheim, Vorsitzende des Berufsverbandes Deutscher Psychiater, die unzureichende Vergütung psychotherapeutischer Leistungen. Die Gesprächsleistungen der Psychiater seien in vielen Kassenärztlichen Vereinigungen budgetiert. Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapie seien in der Vergütung gegenüber technikorientierten Fächern stark benachteiligt. Eine Aufwertung der Leistungen sei dringend erforderlich. Änderungsbedarf in der Vergütung sieht auch Dr. Norbert Hartkamp, Vorsitzender des Landesverbandes Nordrhein-Westfalen der DGPM. Er stellte auf der Tagung die spezifischen Möglichkeiten der psychosomatischen Medizin dar. In diesem Versorgungsbereich würden vermehrt Patienten behandelt, die körperlich, seelisch und psychosozial deutlich bis stark belastet seien. Hartkamp berichtete, dass Fachärzte für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie – gemessen an der Honorarsumme – zu etwa zwei Dritteln Leistungen der Richtlinien-Psychotherapie, also antragspflichtige Leistungen, erbringen und nur wenige Leistungen aus dem Facharztkapitel. Grund sei, dass sich nur so ein angemessenes Einkommen erzielen lasse. Es sei notwendig, dass auch flexible und staffelbare Gesprächsleistungen in einem angemessenen Umfang honoriert werden. Mehr Behandlungsressourcen und verbesserte Zuweisungsmodelle forderte auch Dr. Christa Schaff vom Berufsverband der Ärzte für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie. Die in hohem Maße interdisziplinär mit anderen Heil- und Gesundheitsberufen ausgerichteten kinder- und jugendpsychiatrischen Praxen und Klinikabteilungen sollten unbedingt gefördert und ausgebaut werden. Ein Ansatz könnte das Vier-Ebenen-Modell ärztlich-psychotherapeutischer Kompetenzen sein, das Prof. Gereon Heuft von der Universität Münster vorstellte. Es soll die psychosomatischen, psychotherapeutischen und psychosozialen Kompetenzen schon im Medizinstudium, aber auch auf Facharztebene stärken. Fachärzten für Psychosomatische Medizin und Psychotherapeuten bliebe durch dieses differenzierte Kompetenzmodell mehr Zeit für die Therapie schwerer psychischer Störungen. Kritik an Gesetzesplänen Der Gesetzgeber setzt indes auf eine Aufwertung der nicht-ärztlichen Psychotherapie und strebt eine Ausbildungsreform in diesem Bereich an. So soll die Ausbildung psychologischer Psychotherapeuten an die Universitäten verlagert werden und mit der Approbation abschließen. Auf zum Teil heftige Kritik stieß auf der Tagung das Vorhaben des Bundesgesundheitsministeriums, im Rahmen der Ausbildungsreform Modellstudiengänge zu schaffen, die dem Erwerb von Kompetenzen “zur Feststellung, Verordnung und Überprüfung von psychopharmakologischen Maßnahmen als Bestandteil einer psychotherapeutischen Versorgung” dienen sollen. Die Verordnung von Arzneimitteln ist bislang allein Ärzten vorbehalten. Mit der Reform folge die Politik der Tendenz, arztersetzende Berufe und Tätigkeiten zu schaffen, hieß es. BÄK-Präsident Montgomery warnte, komme das Gesetz so, wie es skizziert sei, würden sich die Kapazitäten für die psychotherapeutische Aus- und Weiterbildung für den ärztlichen Nachwuchs weiter verknappen.
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