„Alle sind sich einig, dass wir eine Veränderung brauchen“

DGU-Präsident Jürgen E. Gschwend. Foto: Schmitz

Prof. Jürgen Gschwend, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Urologie (DGU), glaubt an die Innovationskraft der Medizin und blickt den Herausforderungen der Zukunft optimistisch entgegen – was etwa die Krankenhausreform betrifft. Das geht aus einem Interview hervor, das die Urologischen Nachrichten aus Anlass des 76. DGU-Kongresses mit dem DGU-Präsidenten führten.

„Wir haben wirklich die Möglichkeit, gezielte onkologische Therapien einzusetzen, von denen wir vor zehn bis 15 Jahren noch geträumt haben“, sagte Gschwend. Als bedeutende Innovationen, die jetzt schon eingesetzt werden, nannte er drei Schwerpunkte: Immuntherapie, Target-Therapie und als neueste die „Antigen-Directed Chemotherapies“ (ADCs). „Das sind spezielle chemotherapeutische Konstrukte, die an bestimmte Antigene auf der Tumorzelle andocken, zum Beispiel bei der Blase Nectin-4, und daraufhin in die Zelle aufgenommen werden, wo sich dann der Wirkstoff freisetzt und die Zelle von innen zerstört“, erklärt der Direktor der Klinik und Poliklinik für Urologie am Universitätsklinikum rechts der Isar der Technischen Universität München. T-Zellen mit chimärem Antigenrezeptor (CAR-T-Zellen) seien dagegen derzeit in der Urologie noch Zukunftsmusik, aber „das wird kommen“, glaubt Gschwend.

Die Digitalisierung in der Medizin sieht der DGU-Präsident überwiegend positiv: „Die Digitalisierung spielt eine ganz große Rolle für die Verbesserung und Vereinfachung der Abläufe“, etwa bei der Dokumentation oder dem Austausch von Befunden. Auch mithilfe von KI lassen sich Gschwend zufolge „viele Prozesse viel schneller und einfacher“ erledigen, etwa bei der Beurteilung pathologischer Befunde oder bei der Anamneseerhebung. Dabei ist ihm wichtig, dass immer auch ein Mediziner einen Blick darauf wirft. „Es gibt inzwischen gute Studien, die gezeigt haben, dass die Kombination aus beidem das beste Ergebnis bringt“, erklärt Gschwend und zeigt sich „sehr zuversichtlich, dass die KI vorwiegend günstige Effekte in der Medizin hat und weniger ungünstige oder gar gefährliche Aspekte mit sich bringt.“

Bezüglich der Gesundheitspolitik glaubt der Urologe, „es sind sich alle (…) einig, dass wir eine Veränderung brauchen. Das jetzige System der Gesundheitsversorgung und -finanzierung ist an einen Punkt gekommen, wo es nicht mehr tragfähig zu sein scheint.“ Die Ambulantisierung findet er „sicherlich in vielen Bereichen richtig und sinnvoll“, man müsse aber aufpassen, „dass man das Kind nicht mit dem Bade ausschüttet und am Ende durch die Ambulantisierung nur Geld gespart werden soll, aber keine zusätzliche Qualität generiert wird“.

Das Prinzip der Mindestmengen findet der DGU-Präsident „prinzipiell richtig, weil wir beispielsweise aus den Krebsregistern und den zertifizierten Krebszentren wissen, dass, wenn bestimmte Kriterien eingehalten und bestimmte Mengen an Behandlungen durchgeführt werden, dann auch die Qualität im Allgemeinen besser wird“. Wenn aber im Zuge der Krankenhausreform Leistungen zentriert und Kliniken geschlossen werden, „muss man sehr genau hinschauen, dass keine Defizite für die Patienten entstehen, was Anreisezeiten und wohnortnahe Versorgung angeht“, fordert Gschwend. Auch die Mitarbeiter müssten an einem anderen Ort gleichwertige Arbeitsplätze erhalten. „Ich bin sicher, dass die Strukturreform im ­Gesundheitswesen uns die nächsten fünf bis zehn Jahre vor massive Herausforderungen stellt, denen wir aber als DGU gemeinsam mit dem Berufsverband wirklich konstruktiv entgegengehen“, betont der DGU-Präsident.

(ms)

Lesen Sie das vollständige Interview mit Prof. Jürgen Gschwend in der DGU-Kongressausgabe der Urologischen Nachrichten.