Altersmediziner fordern mehr geriatrische Expertise in den Zentralen Notaufnahmen

Katrin Singler (Foto: Klinikum Nürnberg)

Ab Januar 2025 soll bundesweit die Notfallversorgung reformiert werden, um Patientenströme besser zu steuern und Überlastungen insbesondere in den Kliniken zu vermeiden. Die Deutsche Gesellschaft für Geriatrie (DGG) sieht bei der Reform bisher geriatrische Patienten nicht berücksichtigt.

Rund ein Viertel aller Patientinnen und Patienten in den klinischen Notfallaufnahmen sind Studien zufolge über 70 Jahre alt. Bei dieser Zielgruppe spielen Multimorbidität, untypische Symptome und auch soziale Probleme häufig eine Rolle. Dennoch wird diese Patientengruppe im jüngsten Eckpunktepapier des Bundesgesundheitsministeriums zur Notfallreform vom 16. Januar nicht einmal explizit erwähnt, kritisiert die DGG. „Dabei ist genau jetzt der Zeitpunkt, um endlich mehr geriatrische Expertise in die Zentralen Notaufnahmen zu bringen. Karl Lauterbachs Reformpläne müssen auch hochaltrige Patientinnen und Patienten berücksichtigen“, sagt Prof. Katrin Singler, Leiterin der Arbeitsgruppe Notfall- und Intensivmedizin der DGG.

Besonders pflegebedürftige ältere Menschen sind der Fachgesellschaft zufolge in den Zentralen Notaufnahmen eine Herausforderung: Laut aktuellem Barmer Pflegereport haben sie seltener fachärztlichen Kontakt als Nichtpflegebedürftige mit gleichen Krankheitsbildern. Dies kann dann dazu führen, dass Krankheiten schlechter erkannt, Therapien weniger durchgeführt und dadurch schließlich Krankenhausaufenthalte häufiger sein können. Diagnostik und Behandlung können dadurch komplizierter sein und die Pflegebedürftigen im Notfall schneller zu Hochrisikopatientinnen und 
-patienten werden, wie Singler, Oberärztin der Klinik für Innere Medizin 2, Schwerpunkt Geriatrie, an der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität Nürnberg, mit Kolleginnen und Kollegen herausgefunden hat. Schon lange werde deshalb eine bessere medizinische Versorgungsstruktur insbesondere für Pflegebedürftige in Pflegeheimen gefordert.

Multimorbidität und soziale Versorgung müssen besser berücksichtigt werden

Ein Unterschied zu jüngeren Erkrankten sei häufig, dass geriatrische Patientinnen und Patienten – ob pflegebedürftig oder nicht – tendenziell mehrere Krankheiten parallel haben, die aber nicht immer alle adäquat behandelt werden. Das wiederum erschwere auch die soziale Situation: „Nehmen wir das Beispiel Lungenentzündung: Wenn ein jüngerer Mensch in die Notaufnahme kommt, bekommt er ein Antibiotikum und kann meistens schnell wieder heim. Ein älterer Mensch dagegen ist schneller so geschwächt durch die Lungenentzündung und gegebenenfalls andere bestehende Erkrankungen, dass er sich nicht mehr allein zuhause versorgen kann. Die Selbsthilfefähigkeit nimmt insgesamt ab”, erklärt Singler.

Auch sei die unspezifische Symptomatik eine Herausforderung: Hinter einem Sturz zum Beispiel können auch ein vorangegangener Herzinfarkt oder ein Infekt stecken. „Man muss auch die soziale Versorgung abklären, aber als allererstes gilt es, die Ursache zu behandeln”, so Singler. „Und natürlich gilt es stets zu klären, ob eine stationäre Aufnahme wirklich ein Benefit ist oder ob das Problem auch ambulant behandelt werden kann.”

Mehr geriatrische Expertise in den Zentralen Notaufnahmen nötig

„Wir brauchen jetzt in Deutschlands Zentralen Notaufnahmen deutlich mehr geriatrische Expertise, um diesen besonderen Bedürfnissen älterer Patientinnen wie Patienten gerecht zu werden“, fordert Singler. „Nach einem gezielten altersmedizinischen Screening kann dann eine adäquate Behandlung veranlasst werden – ambulant oder stationär.” Einzelne Leuchtturm-Projekte hätten in der Vergangenheit bereits gezeigt, welchen Mehrwert altersgerechte Behandlung bieten kann: Im Klinikum Frankfurt/Oder werden zum Beispiel alte Menschen vor unnötigem Stress in der Notaufnahme bewahrt, indem sie in Wohnzimmeratmosphäre von speziell geschultem Pflegepersonal betreut werden. In Kanada werden sogenannte „Frailty Nurses“ in Notaufnahmen eingesetzt. Eine Studie habe gezeigt, dass dadurch spätere Wiedereinweisungen reduziert wurden.

„Das ist ein beispielhafter Weg, wie Überlastungen der Notaufnahmen zukünftig vermieden werden könnten. Für die Reform der Notfallversorgung brauchen wir innovative Lösungen und auch zukünftig mehr Forschungsmöglichkeiten. So können wir die größer werdende Gruppe älterer Menschen mit ihren Co-Morbiditäten und komplexen Krankheitsbildern genauer erfassen, die Patientenströme besser steuern und Notaufnahmen entlasten“, ist Singler überzeugt.