Amblyopie: Digitales Sehtraining verbessert Sehleistung kaum

Okklusionsbehandlung. Foto.©Augenpraxisklinik Esslingen/Krzizok und Kollegen

Im Auftrag des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) haben Wissenschaftler aus Deutschland und Österreich unter der Federführung des Instituts für Evidenz in der Medizin am Universitätsklinikum Freiburg die Frage untersucht, ob Kinder und Jugendliche mit entwicklungsbedingten Sehstörungen von einem aktiven Sehtraining profitieren können.

Das scharfe und räumliche Sehen entwickelt sich bei Kindern bis zum vollendeten neunten Lebensjahr. Allerdings zeigen viele Kinder und Jugendliche entwicklungsbedingte Sehstörungen wie Amblyopie, Kurz- oder Weitsichtigkeit. So weisen in Europa knapp vier Prozent der Bevölkerung eine Schwachsichtigkeit auf und von einer mit Sehhilfen kompensierten Kurzsichtigkeit sind in Deutschland etwa elf Prozent aller Heranwachsenden im Alter zwischen 0 und 17 Jahren betroffen. Wird eine Schwachsichtigkeit nicht ausreichend behandelt, können zum Beispiel das räumliche Sehen und damit auch die Lebensqualität dauerhaft eingeschränkt sein.

Kinder mit Amblyopie bekommen derzeit meist eine Okklusionsbehandlung. Dabei wird das besser sehende Auge mit einem Pflaster zeitweise abgeklebt, um das Sehen mit dem schwächeren Auge zu fördern. Auch digitale Sehtrainings, etwa in Form von speziellen Videospielen, die unter anderem das Zusammenspiel beider Augen verbessern sollen, werden für Kinder mit Schwachsichtigkeit oder anderen entwicklungsbedingten Sehstörungen angeboten. Zusätzlich gibt es nichtdigitale Sehtrainings. Bei diesen müssen Kinder unter professioneller Anleitung über einen längeren Zeitraum regelmäßig Sehübungen machen, um so zum Beispiel das Fixieren oder Scharfstellen zu trainieren.

Vor diesem Hintergrund fragte eine Bürgerin beim ThemenCheck Medizin des IQWiG, in welchen Situationen Kinder und Jugendliche mit Sehproblemen von einem Sehtraining profitieren können.

Das daraufhin vom IQWiG beauftragte Expertenteam hat untersucht, ob Kinder und Jugendliche, die unter einer entwicklungsbedingten Sehstörung leiden, mit aktiven Sehtrainings erfolgreich behandelt werden können. Dies wäre insbesondere der Fall, wenn sich die Sehschärfe und das beidäugige Sehen durch aktive Teilnahme in einem relevanten Umfang verbessern ließen.

17 Studien zu digitalen Sehtrainings bei Amblyopie
Das Wissenschaftsteam hat 17 Studien zu digitalen Sehtrainings bei Schwachsichtigkeit identifiziert. Daraus ergibt sich jedoch keine eindeutige Aussage zum Nutzen eines aktiven Sehtrainings. Für das Kriterium „bestkorrigierte Sehschärfe des schwächer sehenden Auges“ zeigen die Untersuchungen einen Vorteil des digitalen Sehtrainings im Vergleich zu keinem Training, einem Scheintraining oder zur Okklusionsbehandlung. Einzelne Studien belegten zudem, dass mit digitalem Training die Sehschärfe des schwächeren Auges bei Kindern mit Amblyopie gesteigert werden kann – der nachgewiesene Effekt war aber so klein, dass er für die Betroffenen keinen spürbaren Vorteil hatte. Auch das Zusammenspiel beider Augen besserte sich durch das Training nicht: weder im Vergleich zu keinem Training noch zum Scheintraining oder zur Okklusionsbehandlung.

Das vorübergehende Abkleben eines Auges bei Schwachsichtigkeit kann den Experten zufolge für Heranwachsende und ihre Familien belastend sein, etwa wenn dies zu einer Stigmatisierung der Betroffenen und in der Folge zu einer Ablehnung der Therapie führe. Ein Ersatz oder zumindest ein Verkürzen der Okklusionstherapie durch digitales Training könnte daher möglicherweise zu einer Entlastung der Betroffenen beitragen. Derzeit aber würden die vorhandenen und in Studien untersuchten digitalen Sehtrainings keine Alternative oder Ergänzung zur Okklusionsbehandlung darstellen.

Zu nichtdigitalen Sehtrainings und zu Sehtrainings bei anderen entwicklungsbedingten Sehstörungen wie Kurz- und Weitsichtigkeit oder starkes Schielen gibt es laut IQWiG keine Studien. Für diese Sehtrainings – deren Kosten meist von den Eltern selbst getragen werden müssten – wäre es wünschenswert, dass sie nur dann angeboten würden, wenn in Untersuchungen habe gezeigt werden können, dass Betroffene tatsächlich davon profitierten.