Amblyopie: Wiederherstellung des Sehvermögens bei Erwachsenen

Bislang ist bei Amblyopie nur eine Behandlung im Säuglings- und Kleinkindalter wirksam. Nun haben US-amerikanische Neurowissenschaftlern eine Methode gefunden, die auch eine Wiederherstellung des Sehvermögens im Erwachsenenalter verspricht. Symbolbild zeigt Okklusionsbehandlung bei Amblyopie im Kindesalter.©Maxim Kukurund-stock.adobe.com

Eine US-amerikanische Studie zeigt, dass durch eine vorübergehende Betäubung der Netzhaut bei Amblyopie das Sehvermögen von Erwachsenen wieder hergestellt werden könnte.

Bei der häufigen Sehstörung Amblyopie ist derzeitig nur eine Behandlung im Säuglings- und Kleinkindalter wirksam. Neurowissenschaftlern vom Picower Institute for Learning and Memory am Massachusetts Institute of Technology (MIT), Cambridge, USA, konnten jedoch an Mäusen zeigen, dass die visuelle Antwort des Gehirns auf das Auge auch im Erwachsenenalter wiederhergestellt werden könnte. Erreicht haben die Wissenschaftler dies, durch eine vorübergehende wenige Tage anhaltende Betäubung der Netzhaut des amblyopischen Auges.

Die Ergebnisse der Studie wurden in der Fachzeitschrift „Cell Reports“ veröffentlicht.

Amblyopie im Erwachsenenalter behandeln können

Das Forschungslabor am Picower Institute for Learning and Memory am MIT beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit der Erforschung der wissenschaftlichen Grundlagen der Amblyopie. Die Forschungsarbeiten des Instituts haben auch Ideen hervorgebracht, wie Amblyopie im Erwachsenenalter behandelt werden könnte.

In einer gemeinsamen Studie mit Kollegen der Dalhousie University aus dem Jahr 2016 zeigten die Wissenschaftler, dass eine vorübergehende Betäubung beider Netzhäute den Sehverlust bei Amblyopie wiederherstellen kann. Fünf Jahre später konnten sie in einer Veröffentlichung belegen, dass bereits die Betäubung des nicht amblyopischen Auges zu einer Wiederherstellung des Sehvermögens im amblyopischen Auges führte. Zu dieser Zeit wog das Team mehrere Hypothesen ab, um zu erklären, wie die Inaktivierung der Netzhaut ihre Wirkung entfaltet.

Blockade von Retina-Inputs führt zu synchronen Bursts nachgeschalteter Neuronen im visuellen Kortex

2008 hatten die Forscher bereits herausgefunden, dass die Blockierung von Inputs der Retina an Neuronen im lateralen Genikularkern (LGN) dazu führte, dass diese Neuronen synchrone Bursts elektrischer Signale an nachgeschaltete Neuronen im visuellen Kortex abfeuerten. Ähnliche Aktivitätsmuster treten den Wissenschaftlern zufolge im visuellen System vor der Geburt auf und steuern die frühe synaptische Entwicklung. In der neuen Studie untersuchten die Forscher, ob diese Bursts eine Rolle bei den potenziellen Amblyopie-Behandlungen spielen könnten.  

Zu Beginn verwendete das Team eine einzige Injektion von Tetrodotoxin (TTX), um die Netzhaut der Labortiere zu betäuben. Sie fanden heraus, dass die Bursts nicht nur in LGN-Neuronen auftraten, die Inputs vom betäubten Auge erhielten. Die Burst wurden auch in LGN-Neuronen, die Inputs vom nicht betroffenen Auge erhielten, beobachtet.

Bursts für therapeutische Wirkung notwendig

Daraufhin zeigten sie, dass die Burst-Reaktion von einem bestimmten „T-Typ“-Kanal für Kalzium in den LGN-Neuronen abhängig war. Dadurch fanden die Wissenschaftler eine Möglichkeit, diesen Kanal auszuschalten. Nun konnten sie testen, ob dies die therapeutische Wirkung von TTX bei Mäusen mit Amblyopie verhinderte.

Durch genetisches Ausschalten der Kanäle, die die Bursts unterbrachen, konnten die Forscher feststellen, dass die Betäubung des nicht amblyopischen Auges den amblyopischen Mäusen nicht mehr helfen konnte. Das zeigt den Wissenschaftlern zufolge, dass die Bursts für das Wirken der Behandlung notwendig sind.

Betäubung des amblyopen Auges zeigt sich wirksam

Angesichts der Erkenntnis, dass das Bursting auftritt, wenn eine der beiden Netzhäute betäubt wird, stellten die Wissenschaftler die Hypothese auf, dass es möglicherweise ausreicht, nur das amblyope Auge zu behandeln.

Um dies zu testen, injizierten die Forscher bei Mäusen TTX in das amblyope Auge. Sie verglichen diese anschließend mit nicht injizierten Kontrollen. Die TTX-Injektion setzte die Netzhaut für zwei Tage außer Betrieb. Nach einer Woche maßen die Wissenschaftler die Aktivität der Neuronen im visuellen Kortex, um das Verhältnis der Inputs von jedem Auge zu berechnen.

Sie konnten feststellten, dass das Verhältnis bei den behandelten Mäusen viel ausgeglichener war als bei den Unbehandelten. Das deutet den Forschern zufolge darauf hin, dass nach der Betäubung des amblyopischen Auges dessen Inputs im Gehirn auf das Niveau der Inputs des nicht amblyopischen Auges anstiegen.

Die Forscher merken an, dass weitere Tests erforderlich sind. Dennoch halten sie die Ergebnisse für ermutigend: „Wir sind vorsichtig optimistisch, dass diese Ergebnisse zu einem neuen Behandlungsansatz für Amblyopie beim Menschen führen könnten. Insbesondere angesichts der Entdeckung, dass die Stilllegung des amblyopen Auges wirksam ist.“

Die Studie wurde vom National Institutes of Health, dem Schweizerischen Nationalfonds, dem Severin Hacker Vision Research Fund und der Freedom Together Foundation unterstützt.

(sas/BIERMANN)