Analyse belegt: Assistierte Reproduktion bei Breitmaulnashörnern ist sicher und zuverlässig1. November 2023 10. Eizellentnahme des BioRescue-Teams beim Nördlichen Breitmaulnashorn Fatu im Juli 2022 Foto: © Jan Zwilling/Leibniz-IZW Das BioRescue-Projekt entwickelt fortschrittliche Technologien der assistierten Reproduktion (aART), um das drohende Aussterben mehrerer Nashornarten und -unterarten zu verhindern. Die Auswertung von aART-Eingriffen zeigt, dass die angewandten Methoden sicher sind. In einer neuen wissenschaftlichen Analyse, die in der Fachzeitschrift „Reproduction” veröffentlicht wurde, wertete das Team 65 aART-Eingriffe aus, die von 2015 bis 2022 durchgeführt wurden. Da die meisten Nashornarten und -unterarten vom Aussterben bedroht sind und zum Teil aufgrund niedriger Bestandsdichten und seltener Paarungsereignisse Schwierigkeiten bei der natürlichen Fortpflanzung haben, sind neue Methoden für ihre Erhaltung und die Verbesserung ihrer reproduktiven Fähigkeiten erforderlich. Der vielversprechendste neue Ansatz ist die Entwicklung und Erprobung fortgeschrittener Technologien der assistierten Reproduktion (aART), wie das Ovum Pick-up (OPU) – die Entnahme unreifer Eizellen (Oozyten) – und die In-vitro-Fertilisation (IVF). Diese Technologien ermöglichen die Erzeugung von Embryonen im Labor, die später in Leihmütter transferiert und von diesen ausgetragen werden können. Die nun ausgewerteten aArt-Eingriffe umfassten die hormonelle Stimulation der Eierstöcke, OPU, In-Vitro-Reifung und IVF von Eizellen sowie Embryokultur und Kryokonservierung. Die Auswertung zeigt, dass aART sicher und erfolgreich ist – 51 Embryonen konnten in 65 Eingriffen ohne schädliche Auswirkungen auf die Gesundheit der betroffenen Tiere produziert werden. Vielmehr kamen regelmäßige OPUs der reproduktiven Gesundheit der Nashornweibchen zugute, indem sie nachweislich die Funktion der Eierstöcke verbesserten, die Zahl der Follikel erhöhten und die Rückbildung pathologischer Strukturen wie Zysten bewirkten.Für das nördliche Breitmaulnashorn, einer Unterart mit lediglich zwei verbliebenen Weibchen, ist dies die einzige Option für Nachwuchs. Beide Weibchen können auf natürlichem Wege nicht trächtig werden und zudem aufgrund gesundheitlicher Probleme keine Schwangerschaft austragen. Das BioRescue-Projekt unter der Leitung des Leibniz-Instituts für Zoo- und Wildtierforschung (Leibniz-IZW) entwickelt und erprobt diese Technologien, um den Zuchterfolg von südlichen Breitmaulnashörnern in menschlicher Obhut zu verbessern und das nördliche Breitmaulnashorn vor dem Aussterben zu bewahren. Laut eigener Darlegung nimmt das Konsortium die Sicherheit und das Wohlergehen der Tiere, das Qualitätsmanagement und die ethische Risikobewertung sehr ernst und evaluiert ständig seine neuen wissenschaftlichen und veterinärmedizinischen Verfahren.Das Autorenteam um Prof. Thomas Hildebrandt, Dr. Frank Göritz, Dr. Susanne Holtze vom Leibniz-IZW sowie Dr. Silvia Colleoni und Prof. Cesare Galli von Avantea srl. analysierte für 65 Eingriffe an 20 südlichen und zwei nördlichen Breitmaulnashornweibchen die Tiergesundheit und die gesundheitlichen Auswirkungen der Eingriffe, den Einfluss des Alters, der Jahreszeit, der Unterart, der Herkunft der Individuen, des hormonellen Status und des Zyklus sowie des Stimulationsprotokolls auf die Erfolgsraten der OPU- und IVF-Eingriffe. Die wichtigsten Ergebnisse sind im Folgenden näher aufgeführt: Die aArt-Verfahren erwiesen sich als Garant für die erfolgreiche Produktion von Breitmaulnashorn-Embryonen. Insgesamt wurden bei 65 OPU-Eingriffen 1505 Ovarialfollikel mittels transrektalem Ultraschall gezählt. Von diesen wurden 1171 Follikel punktiert, gespült und aspiriert. Das Team entnahm 402 Eizellen, von denen 393 erfolgreich in das Avantea-Labor transportiert wurden. 150 reiften erfolgreich und wurden mittels Piezo-intrazytoplasmatischer Spermieninjektion (ICSI) mit je einer einzigen Samenzelle befruchtet. Daraus entwickelten sich 75 Embryonen und 51 Blastozysten wurden schließlich kryokonserviert – 19 südliche, 22 nördliche und 10 Hybride aus Eizellen des südlichen und Spermien des nördlichen Breitmaulnashorns. Die Zahl der pro Verfahren entnommenen Eizellen, die Eizellgewinnungsrate und die Erfolgsrate der Embryonen nahmen im Laufe der Zeit deutlich zu, was auf technische Optimierung, verbesserte Teamleistung und den kumulativen positiven Effekt wiederholter OPUs auf die reproduktive Gesundheit der Spenderinnen zurückzuführen ist. Auch bei wiederholten OPUs gab es keine Hinweise auf nachteilige Auswirkungen der Eingriffe auf die Gesundheit der Tiere, wie etwa Entzündungen, pathologische Veränderungen der Fortpflanzungsorgane oder ein nachlassendes Ansprechen auf die ovarielle Stimulation. Die Analysen zeigten auch keine nachteiligen Auswirkungen wiederholter OPU-Eingriffe mit vorheriger hormoneller Stimulation auf die reproduktive Gesundheit, die Fruchtbarkeit, die Zyklusaktivität, die Morphologie der Eierstöcke, die Follikelzahl oder die Erfolgsraten auf allen Ebenen des IVF-Programms. Das Anästhesierisiko kann als vernachlässigbar angesehen werden: Die Narkosen bei allen 65 Eingriffen sowie bei mehr als 500 Eingriffen, die das Team in der Vergangenheit bei Breitmaulnashörnern zur Samengewinnung, Gesundheitsbewertung oder künstlichen Besamung durchführte, verliefen völlig komplikationslos. Selbst beim nördlichen Breitmaulnashorn Fatu gibt es nach zehn Eingriffen im Abstand von jeweils drei Monaten keine Anzeichen schädlicher Auswirkungen oder Risiken. Es gibt jedoch klare Hinweise auf gesundheitliche Vorteile für Individuen nach OPU-Eingriffen. Eine pathologische zystische Eierstockstruktur beim nördlichen Breitmaulnashorn Fatu bildete sich im Laufe von drei Jahren und zehn Eingriffen von 50 mm Durchmesser auf einen von 15 mm zurück. Nach der Entfernung von Ovarialzysten bei zwei südlichen Breitmaulnashörnern im Rahmen von OPU-Eingriffen nahm die Zahl der Follikel zu und die Morphologie der Eierstöcke verbesserte sich. Eine Rückbildung des Fortpflanzungstrakts ist bei weiblichen Nashörnern, die sich nicht regelmäßig paaren und dann schwanger werden, häufig. Diese Degeneration führt zu einer verminderten Fruchtbarkeit und zu einem vorzeitigen Ende der reproduktiven Lebensspanne. Wiederholte OPU-Eingriffe können dies offensichtlich verhindern und dazu beitragen, die reproduktive Gesundheit zu erhalten oder sogar wiederherzustellen, so die Schlussfolgerung des BioRescue-Teams. Die natürliche Fortpflanzung wurde durch Eizellentnahmen nicht beeinträchtigt. Zwei Breitmaulnashorn-Weibchen mit natürlichem Zyklus und vier bzw. fünf OPU-Eingriffen danach durch eine natürliche Paarung schwanger. Ein zuvor nicht zyklisches Weibchen entwickelte nach zwei erfolgreichen OPU-Eingriffen wieder einen Zyklus, wurde trächtig und brachte ein gesundes männliches Kalb zur Welt. Dies deutet auf einen positiven Einfluss der Eingriffe auf den Zyklus der Weibchen hin. Da die OPU-Eigriffe die reproduktive Gesundheit der Breitmaulnashörner verbesserte, könnte diese „mechanische Reinigung der Eierstöcke“ sogar als optionale Behandlung zur Wiederherstellung der Fruchtbarkeit von Weibchen mit Fortpflanzungsstörungen dienen, so die Schlussfolgerung des Teams. Das Alter der Eizellenspenderinnen ist entscheidend für den IVF-Erfolg. In der Studiengruppe konnten bei etwa der Hälfte der OPU-Eingriffen mit weiblichen Breitmaulnashörnern, die älter als 24 Jahre waren, keine Eizellen gewonnen werden. Hingegen wurden bei Weibchen, die 24 Jahre oder jünger waren, nur bei sechs Prozent der OPU-Eingriffe keine Eizellen gewonnen. Das Team konnte zudem keine für die Kryokonservierung geeigneten Embryonen im Blastozystenstadium von Spenderinnen erzeugen, die älter als 24 Jahre waren. Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass der Erfolg bei der Embryoproduktion mit der letzten weiblichen Eizellenspenderin des nördlichen Breitmaulnashorns, Fatu, die jetzt 23 Jahre alt ist, in den kommenden Jahren zurückgehen oder ausbleiben könnte. Optimale Ernährung, körperliche Bewegung, das kenianische Klima, die halbwilde Haltung und möglicherweise unterartspezifische Faktoren könnten diesen Zeitraum jedoch möglichweise verlängern.Das BioRescue-Team betont, wie wichtig es sei, neu entwickelte Technologien an der Grenze des technologisch Machbaren unverzüglich in die Artenschutz-Praxis umzusetzen, dabei aus der Praxis zu lernen und die Verfahren zu verbessern. Regelmäßige Evaluierungen und ethische Risikobewertungen werden weiterhin ein zentrales Element des Programms sein. Die erfolgreiche Produktion der Embryonen – insbesondere der Embryonen des nördlichen Breitmaulnashorns – unterstreicht die Bedeutung der Technologie und ihr Potenzial, eines der drängendsten globalen Probleme unserer Zeit anzugehen: den dramatischen Verlust der Artenvielfalt. Dieser Rückgang führe zu einer unkalkulierbaren Beeinträchtigung wichtiger Ökosysteme und begünstigt gleichzeitig das Auftreten neuartiger Krankheitserreger, die die Lebensgrundlage der Menschheit zerstören können, so die Autoren abschließend.
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