Andrologen fordern: Paare mit unerfülltem Kinderwunsch flächendeckend besser versorgen

Dieses Spermiogramm zeigt Asthenozoospermie, eine häufige Ursache für männliche Unfruchtbarkeit. Foto: Saiful52 – stock.adobe.com

Jeder betroffene Mann soll seine Infertilität andrologisch abklären lassen können. Dies fordern die Deutsche Gesellschaft für Andrologie (DGA), die Deutsche Gesellschaft für Urologie (DGU) und der Berufsverband der Deutschen Urologie (BvDU) in einem gemeinsamen Konsenspapier. Darin definieren sie, welche Untersuchungen auf der Grundlage der rechtlichen Rahmenbedingungen und des Wissens über die Ursachen relevant sind.

In Deutschland ist jedes sechste Paar ungewollt kinderlos und auf medizinische Hilfe angewiesen. Die Betreuung der Betroffenen erfordert von Beginn an eine interdisziplinäre Zusammenarbeit von reproduktionsmedizinisch-endokrinologisch tätigen Fachärzten für Gynäkologie und Geburtshilfe und Andrologen, denn die Ursache für eine ungewollte Kinderlosigkeit liegt in der Hälfte der Fälle beim Mann.

DGA, DGU und BvDU sehen dringlichen Handlungsbedarf. „Fruchtbarkeitsstörungen gehören heute zu den sogenannten Volkskrankheiten“, sagt DGA-Präsidentin Prof. Sabine Kliesch. „Da die Fruchtbarkeit durch sozioökonomische Faktoren, aber auch durch Umwelteinflüsse und angeborene Störungen negativ beeinflusst wird, steigt auch die Zahl der Fertilitätsbehandlungen. Eine leitliniengerechte Untersuchung des infertilen Mannes, als Voraussetzung für eine medizinisch begründete Therapieempfehlung für das Paar im Rahmen der interdisziplinären Indikationsstellung zu assistierten Reproduktionsverfahren, muss deshalb in der andrologischen Versorgung flächendeckend für jeden Patienten gewährleistet sein. Konsentierte Diagnostik kann unnötige reproduktionsmedizinische Behandlungen der Frauen verhindern.“ Vor diesem Hintergrund gelte es, so betonen die Verfasser des Konsenspapiers, eine extrabudgetäre Vergütung für die spezifischen Leistungen bei der Diagnostik der männlichen Infertilität sicherzustellen.

Relevante Regelwerke

Als ein interdisziplinäres Teilgebiet der Urologie befasst sich die Andrologie u.a. mit der reproduktiven Gesundheit des Mannes. Die rechtlichen Grundlagen für die Untersuchung des infertilen Mannes sind in mehreren Richtlinien der Bundesärztekammer (BÄK) und des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) verankert. Dabei hebt die Richtlinie des G-BA zur Kostenerstattung von ärztlichen Maßnahmen zur künstlichen Befruchtung (KB-RL) von 2017 die Rolle der andrologischen Diagnostik hervor. Zwei Spermiogramme, die nach den WHO-Richtlinien durchgeführt werden, sind Voraussetzung für eine Kostenübernahme. Die Richtlinie der BÄK zur Entnahme und Übertragung von menschlichen Keimzellen oder Keimzellgewebe im Rahmen der assistierten Reproduktion fordert ebenfalls eine qualifizierte Untersuchung des Mannes durch Ärzte mit der Zusatzbezeichnung Andrologie. Die Richtlinie der Bundesärztekammer zur Qualitätssicherung laboratoriumsmedizinischer Untersuchungen (Rili-BÄK) setzt den Rahmen im Bereich der insbesondere andrologisch relevanten Labordiagnostik. Und auch die 2021 in Kraft getretene Richtlinie des G-BA zur Kryokonservierung von Ei- und Samenzellen sowie Keimzellgewebe sowie entsprechende medizinische Maßnahmen wegen keimzellschädigender Therapie (Kryo-RL) definiert Anforderungen an die medizinische Diagnostik.

Richt- und Leitlinien setzen die Standards

Basierend auf den obigen Richtlinien sowie europäischen Leitlinien und der aktuellen S2k-Leitlinie der AWMF zur Diagnostik und Therapie vor einer assistierten reproduktionsmedizinischen Maßnahme fasst das Konsenspapier die erforderlichen Untersuchungen zusammen – gegliedert in Standard- und Basisuntersuchungen sowie in weiterführende Untersuchungen. Zu den Basisuntersuchungen zählen die Eigen-, Familien- und Paaranamnese einschließlich Sexualanamnese, Medikamenten- und Genussmittelanamnese sowie die körperliche Untersuchung u.a. mit sonographischer Untersuchung der Hoden zur Erkennung von Tumoren oder Varikozelen. Ein zentrales Element der Diagnostik ist das Spermiogramm nach WHO-Standards als Grundlage für die Ejakulatdiagnostik. Endokrine Untersuchungen erfordern zunächst eine Basisdiagnostik mit Hormonanalysen von LH, FSH und Testosteron, um Störungen der Hodenfunktion zu identifizieren.

„Da bei rund 20 Prozent der betroffenen Männer genetische Ursachen der Infertilität vorliegen, ist insbesondere bei einer stark eingeschränkten Spermienzahl, der sogenannten Oligozoospermie, oder dem vollständigen Fehlen von Samenzellen im Ejakulat, der Azoospermie, eine weiterführende genetische Diagnostik angezeigt“ erläutert Kliesch.

Adäquate Vergütung gefordert

Angesichts der gesellschaftlichen Relevanz der Reproduktionsmedizin und des steigenden Versorgungsbedarfs unterstreichen DGA, DGU und BvDU die Dringlichkeit, den medizinischen Standard in der bevölkerungsweiten andrologischen Versorgung sicherzustellen. Der Generalsekretär der DGU, Prof. Maximilian Burger, der ehemalige Generalsekretär und jetzige Vizepräsident Prof. Maurice Stephan Michel und der DGA-Beauftragte für Berufspolitik, Dr. Holger Uhthoff, appellieren an die gesundheitspolitisch Verantwortlichen, den Weg für die adäquate Vergütung dieser Leistungen frei zu machen.

(DGA/ms)