Ansatz für neue Gentherapie: Humane Organoide und Retina-on-Chip-Modell23. Oktober 2025 Das Bild links zeigt das Netzhaut-Organoid mit den für die CLN2-Erkrankung typischen toxischen Lipofuszinablagerungen (grün), die die Photorezeptoren (rosa) beeinträchtigen. Rechts sind nach der Gentherapie fast keine Ablagerungen mehr zu sehen. Bild: © Kevin Achberger Forschenden ist es gelungen, die Wirksamkeit einer Gentherapie gegen ein Symptom der seltenen Kinderdemenz „CLN2 – Batten-Syndrom“ in einem menschlichen Netzhautmodell nachzuweisen. Dies war möglich ohne den Einsatz von Tierversuchen. Die neuronale Ceroid-Lipofuszinose Typ 2 (CLN2) ist eine sehr seltene erbliche Kinderdemenz, die durch Mutationen im TPP1-Gen verursacht wird. Bereits ab dem Kleinkindalter kommt es zu fortschreitender Degeneration von Gehirn und Netzhaut. Die Fotorezeptoren sind davon besonders betroffen. Die Kinder erblinden innerhalb weniger Jahre und erreichen ohne Behandlung in der Regel nur ein Alter von acht bis zwölf Jahren. Die bislang verfügbaren Therapien können nur das Fortschreiten einiger Krankheitssymptome verlangsamen, aber es gibt keine Behandlung für den Verlust des Sehvermögens. CLN2 in humanem Netzhautmodell realitätsgetreu nachgebildet Einem Tübinger Forschungsteam vom Institut für Neuroanatomie & Entwicklungsbiologie und dem Institut für Biomedical Engineering ist es nun gelungen, die Erkrankung in einem komplexen Modell der menschlichen Netzhaut realitätsgetreu zu simulieren. Diesen besteht aus Retina-Organoiden aus Stammzellen in Kombination mit einem „Retina-on-Chip“-Modell und bildet die Strukturen und Funktionen der menschlichen Netzhaut so realitätsnah ab, dass sich die bei CLN2 krankheitstypische Lipofuszin-Ablagerung präzise nachweisen ließ. In dem Plastikchip, der eta so groß ist wie eine Ein-Euro-Münze, werden die natürliche Mikroumgebung der Netzhautzellen detailgetreu nachgebildet und eine Art künstlicher Blutfluss ermöglicht, der die Zellen wie im Körper dynamisch mit Nährstoffen und Sauerstoff versorgt. Funktionierende Kopie des fehlenden TPP1-Gens in Netzhaut übertragen In diesem In-vitro-Krankheitsmodell wurde nun eine von dem US-amerikanischen Biotechnologieunternehmen Tern Therapeutics entwickelte Gentherapie (TTX 381) getestet. Ein modifiziertes Virus dient dabei als Transportvehikel. Ähnlich einem kleinen Shuttle überträgt es eine funktionierende Kopie des fehlenden TPP1-Gens präzise in die Netzhautzellen. Die Ergebnisse zeigen, dass die Produktion des fehlenden Enzyms wiederhergestellt werden konnte. Die schädlichen Lipofuszin-Ablagerungen gingen durch die Behandlung zurück oder traten erst gar nicht auf. „Unsere Netzhaut‑Organoide zeigen, dass wir Erkrankungen des Auges auf diese Weise realistisch im Labor nachbilden und die Wirksamkeit des gentherapeutischen Ansatzes erfolgreich daran erproben können. Und das in einer für den Menschen aussagekräftigen Art und Weise und ohne dabei auf Tierversuche zurückgreifen zu müssen“, erläutert Forschungsgruppenleiter Dr. Kevin Achberger. Die Ergebnisse wurden in „Cell Reports Medicine“ veröffentlicht. Studie für Kinder mit CLN2-bedingten Netzhautschäden in England Dank dieser präklinischen Ergebnisse konnte eine klinische Studie für Kinder mit CLN2-bedingten Netzhautschäden in England genehmigt werden – und das ohne eine vorherige Testung der Wirksamkeit der Gentherapie an Tiermodellen. Die ersten Zwischenergebnisse der klinischen Studie TTX-381 machen zusätzlich Hoffnung. So gibt es bereits erste Anzeichen, dass durch die Gentherapie eine Stabilisierung und sogar Verbesserung des Sehvermögens bei Patienten erzielt wurde. Weiteres Therapieziel: Lebenserwartung verlängern Parallel zur Netzhauttherapie arbeitet Tern Therapeutics an einer zweiten Gentherapie (TTX-181), die direkt im Gehirn der Betroffenen wirken soll. Ziel ist es, nicht nur die Erblindung zu verhindern, sondern den neurologischen Krankheitsverlauf zu verlangsamen oder sogar zu stoppen und die Lebenserwartung deutlich zu verlängern. „Eine der größten Ängste von Familien, deren Kinder an CLN2 erkrankt sind, ist der Verlust des Sehvermögens. Deshalb war es so wichtig, uns zunächst auf die Behandlung des Sehverlustes bei CLN2 zu konzentrieren. Unserer Therapie hat das Potenzial, die Lebensqualität der kleinen Patientinnen und Patienten erheblich zu verbessern. Wir sind uns jedoch der vielen anderen Herausforderungen bewusst, denen diese Kinder und ihre Familien gegenüberstehen, und entwickeln daher auch Gentherapien zur Behandlung anderer Aspekte der CLN2-Erkrankung“, erklärt Alex M. Bailey, CEO von Tern Therapeutics. Neue Möglichkeiten für die Medikamentenentwicklung Die Kooperation gilt als eines der ersten Beispiele, in denen der Weg zur klinischen Erprobung von Gentherapien ohne den Einsatz von Tierversuchen möglich wurde. Den Forschenden zufolge eröffnen Retina-Organoide in Kombination mit der Organ-on-Chip-Technologie neue Möglichkeiten für die Medikamentenentwicklung: Sie können menschliche Erkrankungen zum Teil so realistisch nachbilden, dass sie als fester Bestandteil im Methodenmix zunehmend zum Einsatz kommen. Darüber hinaus haben sie das Potenzial, die Zeit zwischen der Entwicklung eines Medikamentes und der Behandlung von Patienten zu verkürzen, was insbesondere für Patienten mit seltenen Krankheiten von entscheidender Bedeutung ist. Publikation:Corti S et al. Recreating pathophysiology of CLN2 disease and demonstrating reversion by TPP1 gene therapy in hiPSC-derived retinal organoids and retina-on-chip. Cell Rep Med 2025 Aug 19;6(8):102244.
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