Antibiotikaproduktion: Zur Vermeidung von Resistenzen bedarf es weltweit stärkerer Kontrollen

Eine Prüfer vom IWW nimmt eine Wasserprobe. (Foto: © IWW Rheinisch-Westfälisches Institut für Wasserforschung)

Eine Pilotstudie zur ökologischen Nachhaltigkeit in der Antibiotikaversorgung zeigt laut den Verantwortlichen ergeben, dass verbindliche Umweltkriterien für die Zulassung und laufende Produktion ausgewählter Arzneimittel, insbesondere Antibiotika, sowie einheitliche Kontrollsysteme nötig sind.

Gestartet worden war die Untersuchung von der AOK-Gemeinschaft im Jahr 2020 unter der Federführung der AOK Baden-Württemberg gemeinsam mit dem IWW Rheinisch-Westfälischen Institut für Wasserforschung und mit Unterstützung des Umweltbundesamtes. Laut den Verantwortlichen handelt es sich um die weltweit erste Studie mit detaillierten Einblicken in die globale Antibiotikaproduktion. Ergebnisse wurden aktuell (10. November) auf einer Pressekonferenz vorgestellt.

„Unsere Erfahrungen zeigen einen dringenden Handlungsbedarf, der nicht länger in politischen Diskussionen ausgeklammert werden darf“, fasst Johannes Bauernfeind, Vorstandsvorsitzender der AOK Baden-Württemberg, die Ergebnisse zusammen. „Die Arzneimittelversorgung kann nur dauerhaft stabilisiert werden, wenn sie in allen drei Dimensionen – ökonomisch, sozial und ökologisch – nachhaltig gestaltet wird.“

Vor drei Jahren hatte die AOK Baden-Württemberg als bundesweite Verhandlungsführerin für die Arzneimittelrabattverträge der AOK-Gemeinschaft ein optionales Nachhaltigkeitskriterium in die Ausschreibung für Antibiotika implementiert. Das Ziel: Anreize für eine umweltgerechte Produktion schaffen. So können pharmazeutische Unternehmen bei der Vergabe einen Bonus auf ihr Angebot erhalten, wenn sie sich freiwillig verpflichten, wirkungsbasierte Maximalkonzentrationen im Produktionsabwasser einzuhalten, erklärt die AOK Baden-Württemberg.

„Belastete Produktionsabwässer sind ein wichtiger Grund für die Entstehung von Antibiotikaresistenzen, neben dem Risiko durch den massiven Einsatz von Antibiotika in der Human- und Veterinärmedizin“, stellt Dr. Malgorzata Debiak, Leiterin des Fachgebiets Arzneimittel am Umweltbundesamt, klar. Das Umweltbundesamt begleitet die Studie wissenschaftlich und hat die AOK bei der vertraglich vereinbarten Festlegung der Maximalkonzentrationen beraten. „Die Ausbreitung von multiresistenten Mikroorganismen in der Umwelt hat Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit. Wenn sich multiresistente Keime im und über belastete Produktionsabwässer ausbreiten können, ist die Wirksamkeit von Antibiotika stark gefährdet“, erklärt Debiak. Das habe massive gesundheitliche, gesellschaftliche und finanzielle Auswirkungen. „Wir müssen weltweit die Produktionsbedingungen im Blick haben, denn antibiotikaresistente Keime können sich in kurzer Zeit global ausbreiten und lassen sich nicht von Landesgrenzen aufhalten.“

Massive Schwellenwertüberschreitungen im Produktionsabwasser

von links: Johannes Bauernfeind, Malgorzata Debiak und Tim aus der Beek. (Foto: © AOK Baden-Württemberg)

Die Einhaltung wird durch die Entnahme und Analyse von Proben bei den Wirkstoffherstellern vor Ort durch Experten des IWW vorgenommen. Im Auftrag der AOK-Gemeinschaft wurden bis heute an zehn Standorten in Indien und Europa Messungen durchgeführt und Wasserproben auf die im Abwasser enthaltenen Antibiotika-Konzentrationen geprüft. Zudem untersuchte man Gewässerproben der durch die Produktionsstätten beeinflussten Umwelt auf Antibiotika. Das Ergebnis: „An 40 Prozent der untersuchten Produktionsstätten konnten wir zum Teil massive Überschreitungen der vertraglich zugesicherten maximalen Wirkstoffkonzentrationen im Produktionsabwasser oder in der angrenzenden Umwelt feststellen“, beschreibt Dr. Tim aus der Beek, Bereichsleiter Wasserressourcen-Management am IWW, die Messergebnisse. Die höchste Überschreitung innerhalb der Produktionsanlagen konnte beim Antibiotikum Ciprofloxacin festgestellt werden. „Bei Ciprofloxacin haben wir eine Abwasserkonzentration, die den vertraglich vereinbarten Schwellenwert um 11.000 Prozent überschreitet. Auch andere Schwellenwertüberschreitungen lagen in Größenordnungen von mehreren 1000 Prozent.“

Besonders gravierend sei das Problem in der durch Produktionsanlagen beeinflussten Umwelt aufgetreten, erklärt die AOK Baden-Württemberg. „Wir fanden besorgniserregende Konzentrationen in der Umwelt, die schädliche Effekte im Ökosystem und vermehrte Resistenzbildungen erwarten lassen“, schildert aus der Beek. Die höchste Überschreitung wurde einem Gewässer in Indien entnommen. „Die gemessene Gewässerkonzentration des Antibiotikums Azithromycin übersteigt den ökotoxikologisch relevanten Schwellenwert um mindestens 1.600.000 Prozent. Dieses Ergebnis ist sehr besorgniserregend“, unterstreicht der Wasserexperte. Das Problem trete ihm zufolge allerdings nicht nur in Indien auf: „Von den beprobten Gewässern entstammt die Umweltprobe mit den meisten gemessenen Antibiotikafunden einem europäischen Bach.“

Die Pilotstudie zeige gleichzeitig aber auch positive Effekte, betont die AOK Baden-Württemberg. „Durch unseren intensiven Dialog vor Ort und den direkten Zugang zu den Produktionsanlagen konnten wir bei den Wirkstoffherstellern das Wissen über die umweltkritischen sowie gesundheitsgefährdenden Auswirkungen der Produktion nachweislich erweitern“, berichtet aus der Beek. „Die Sensibilisierung bewirkt bereits lokale Verbesserungen im Umgang mit Antibiotika und den Produktionsabwässern. Wir konnten mit der Vergrößerung der Abwasseraufbereitung und der Optimierung der Lagerung bei einzelnen Produktionsstätten sogar nachhaltige Veränderungen durch die pharmazeutischen Unternehmen anstoßen“, hebt auch Bauernfeind hervor.

Politischer Handlungsbedarf

Insgesamt zeigt die Pilotstudie laut Bauernfeind, dass dringender Handlungsbedarf besteht: „Die Ergebnisse bestätigen eine enorme Belastung der Produktionsabwässer und umliegender Gewässer mit antibiotischen Wirkstoffen. Das Problem reicht dabei weit über die Möglichkeiten der Gestaltung von Arzneimittelrabattverträgen hinaus und erfordert politische Maßnahmen auf europäischer Ebene.“ Ihre politischen Handlungsempfehlungen haben die AOK Baden-Württemberg, das IWW und das Umweltbundesamt in einem Policy Paper zusammengefasst. Nach Ansicht der Projektpartner benötigt es Änderungen im EU-Arzneimittelrecht, um das Problem der antimikrobiellen Resistenzen bei der Wurzel zu packen.