Arthrose bei Adipositas – What’s new, what’s true?

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Der Zusammenhang zwischen Osteoarthrose und Adipositas geht über die Biomechanik der Gelenke hinaus: Der nachfolgenden Fachbeitrag geben unsere Autoren einen Überblick über zelluläre und molekulare Pathways, in denen systemische Prozesse einen direkten Einfluss auf die lokale Gelenkpathophysiologie haben.

Die Osteoarthrose (OA) ist eine der bedeutendsten orthopädischen Erkrankungen und stellt mit über 40 Prozent die größte Gruppe der Erkrankungen des muskuloskelettalen Systems. Weltweit leiden annähernd mehr als zehn Prozent der adulten Population an symptomatischer OA mit einer steigenden Inzidenz pro Lebensdekade. In der Global-Burden-of-Disease-2000-Study wurde die OA als die vierthäufigste Diagnose für „total years lost due to disease“ identifiziert. Vor dem Hintergrund der demografischen Veränderungen in den Industrieländern muss mit einem weiteren deutlichen Anstieg der OA gerechnet werden.

Die OA ist eine multifaktorielle Erkrankung, die, entgegen der ursprünglichen Annahme einer reinen Verschleißerkrankung (tear and wear), komplexe zelluläre Pathomechanismen aufweist. Die Entschlüsselung dieser Pathomechanismen erfordert eine neue Sichtweise, welche die Osteoarthrose nicht als eine isolierte Erkrankung des Knorpels, sondern als eine Erkrankung des gesamten Gelenkes versteht1.

Die Fortführung dieser Sichtweise erfordert die Einordnung der pathophysiologischen Prozesse des Gelenkes in die ganzheitliche Betrachtung des Organismus und schafft hierdurch einen klaren Link zwischen systemischen Erkrankungen wie Adipositas und OA. Dieser Zusammenhang ist interessanterweise nicht einzig im Sinne der biomechanischen Wirkung zu verstehen, sondern etabliert sich vielmehr durch zelluläre und molekulare Pathways, in denen systemische Prozesse einen direkten Einfluss auf die lokale Gelenkpathophysiologie haben. Stu­dien, die eine Korrelation zwischen Adipositas und nichtlasttragenden Gelenken wie dem Handgelenk nachweisen2, verdeutlichen diesen systemischen Zusammenhang.

Das Zusammenspiel aus einer verstärkten synovialen Infiltration von Makrophagen und T-Zellen und einer verstärkten Freisetzung von pro-inflammatorischen Zytokinen und Enzymen führt zu einer Dysbalance zwischen regenerierenden und degenerierenden Mechanismen und scheint entscheidend zur Knorpeldestruktion beizutragen3,4. Diese chronische low-grade Inflammation wird mittlerweile als wesentlicher Faktor bei der Arthrose­progression verstanden.

Weißes Fettgewebe, ein wesent­licher Energiespeicher unseres Organismus, stellt eine Hauptquelle für Zytokine, sogenannte Adipokine, dar. In den letzten Jahren konnten Studien zunehmend aufzeigen, dass diese Adipokine, wie zum Beispiel Leptin, mit einem erhöhten Arthroserisiko assoziiert sind5. Hierbei konnten Studien nachweisen, dass Adipokine pro-inflammatorische Mechanismen induzieren, die so bei OA die Inflammation verstärken und die Knorpeldestruktion vorantreiben5,6. Diese Vermutung legt den Schluss nahe, dass Adipositas als inflammatorische Erkrankung verstanden werden muss, wobei Gelenke, unabhängig von der biomechanischen Mehrbelastung, durch einen systemischen inflammatorischen Einfluss geschädigt werden könnten.

Weiter geht man davon aus, dass bei OA zwischen Knorpeldestruktion und Inflammation ein Circulus vitiosus besteht. Pathologische Prozesse, ausgelöst zum Beispiel durch Mikro- oder Makrotraumata, führen zu einer primären Knorpelschädigung, die sekundär eine Inflammation in den gelenkassoziierten Geweben, insbesondere der Synovialmembran, auslösen. Diese inflammatorischen Prozesse scheinen dann wiederum durch die Freisetzung proinflammatorischer Zytokine/Enzyme eine weitere Knorpeldestruktion zu bewirken.

Adipositas trägt nicht nur bio­mechanisch, sondern auch durch die Erhöhung von inflammatorischen Zytokinen zum Auftreten und Voranschreiten der OA bei. So könnten einmal freigesetzten Zytokine einen Prozess auslösen, der im weiteren Verlauf zu einer verstärkten Korpeldestruktion in unterschiedlichen Gelenken beiträgt, gegebenenfalls auch nach Optimierung der Ernährung und des BMI.

Die pathophysiologischen Prozesse, die durch Adipokine ausgelöst werden und an der Entstehung und Progres­sion von Arthrose beteiligt sein könnten, sind bisher noch nicht ausreichend erforscht. Die vorhandene Literatur zeigt jedoch, dass der Zusammenhang zwischen Adipositas – ein in der Prävalenz weltweit zunehmender Risikofaktor für verschiedene Erkrankungsbilder – und Arthrose komplexer zu sein scheint, als ursprünglich angenommen.

Weitere Studien sind erforderlich, um diese pathophysiologischen ­Prozesse zu untersuchen. Hierdurch könnten wertvolle Erkenntnisse gewonnen werden, um im Verlauf zum Beispiel durch die Inhibition der Adipokin-induzierten Inflammationsmechanismen das Arthroserisiko zu reduzieren. Die Kenntnis darüber, dass Adipokine ebenfalls in anderen Geweben und bei nichtadipösen Patienten produziert werden, verdeutlicht die mögliche Reichweite einer solchen anti-Adipokinen Therapie.

Die Beleuchtung des Einflusses von Adipositas bei OA zeigt zudem, dass in der Therapie der OA eine ganzheitliche Betrachtung des Organismus wesentlich ist und hierdurch neue Wege auf der Suche nach Therapiestrategien eröffnet werden könnten.

Literatur:

  1. Loeser RF, Goldring SR, Scanzello CR et al. Osteoarthritis: A Disease of the Joint as an Organ. Arthritis Rheum 2012;64(6):1697–1707.
  2. Carman WJ, Sowers M, Hawthorne VM et al. Obesity as a Risk Factor for Osteoarthritis of the Hand and Wrist: A Prospective Study. Am J Epidemiol 1994;139(2):119–129.
  3. Rosshirt N, Trauth R, Platzer H et al. Proinflammatory T Cell Polarization Is Already Present in Patients with Early Knee Osteoarthritis. Arthritis Res Ther 2021;23(1):37.
  4. Platzer H, Nees TA, Reiner T et al. Impact of Mononuclear Cell Infiltration on Chondrodestructive Mmp/Adamts Production in Osteoarthritic Knee Joints-an Ex Vivo Study. J Clin Med 2020;9(5):1279.
  5. Simopoulou T, Malizos KN, Iliopoulos D et al. Differential Expression of Leptin and Leptin‘s Receptor Isoform (Ob-Rb) Mrna between Advanced and Minimally Affected Osteoarthritic Cartilage; Effect on Cartilage Metabolism. Osteoarthritis Cartilage 2007;15(8):872–883.
  6. Koskinen A, Vuolteenaho K, Nieminen R et al. Leptin Enhances Mmp-1, Mmp-3 and Mmp-13 Production in Human Osteoarthritic Cartilage and Correlates with Mmp-1 and Mmp-3 in Synovial Fluid from Oa Patients. Clin Exp Rheumatol 2011;29(1):57–64.


Autoren:
Hadrian Platzer, Assistenzarzt1, Prof. Dr. med. Babak Moradi, Direktor – Lehrstuhl Orthopädie2
1. Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie, Universitätsklinikum Heidelberg
Schlierbacher Landstr. 200a, 69118 Heidelberg, E-Mail: [email protected]
2. Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Kiel,
Arnold-Heller-Straße 3, Haus C, 24105 Kiel, E-Mail: [email protected]