Auch das Kleinhirn spielt bei Spinaler Muskelatrophie eine Rolle

Bei schwerer Spinaler Muskelatrophie verlieren die Nervenzellen im Kleinhirn wichtige Verbindungen: Synapsen der Körnerzellen (magenta) gehen zugrunde, und Purkinje-Zellen (grün) sterben ab. (Quelle: © Dr. Christian Simon | Universität Leipzig)

Die Spinale Muskelatrophie galt lange Zeit als eine Erkrankung, die ausschließlich durch den Verlust von Nervenzellen im Rückenmark verursacht wird. Ein Forschungsteam der Universität Leipzig konnte nun jedoch zeigen, dass auch das Kleinhirn eine Rolle bei ihrer Entstehung spielt. Die Studie wurde im Journal „Brain“ veröffentlicht.

Die Spinale Muskelatrophie (SMA) wurde lange Zeit ausschließlich als eine Erkrankung der Motoneurone verstanden, bei der jene Nervenzellen ihre Funktion verlieren, die direkt für die Ansteuerung der Muskulatur verantwortlich sind. In den vergangenen Jahren konnten Wissenschaftler jedoch zeigen, dass auch andere Nervenzellen im Rückenmark, die die Muskulatur nicht direkt steuern, zur Krankheit beitragen. Basierend auf diesen Ergebnissen haben Forschende des Carl-Ludwig-Instituts für Physiologie an der Universität Leipzig nun untersucht, ob weitere Regionen des Nervensystems an der Entstehung der SMA beteiligt sind.

In der aktuellen Studie fanden sie heraus, dass auch das Kleinhirn zur Krankheitsentstehung beiträgt. „Unsere Ergebnisse verdeutlichen, dass das Kleinhirn nicht nur von der Krankheit betroffen, sondern ein eigenständiger Treiber der Symptome ist. Damit liefern die aktuellen Befunde eine mögliche Erklärung für die anhaltenden motorischen Einschränkungen und die neu auftretenden sozialen sowie kognitiven Probleme von Patienten trotz moderner Therapien“, erklärt Dr. Christian Simon, Leiter der Studie und Wissenschaftler an der Medizinischen Fakultät.

Nicht nur motorische, sondern auch kommunikative Defizite

Bei ihren Untersuchungen konnten die Leipziger Forscher nachweisen, dass Purkinje-Zellen bei SMA geschädigt werden. Ursache ist die Aktivierung eines bestimmten Signalwegs, der zum Zelltod und zu erheblichen Störungen in den Netzwerken des Kleinhirns führt. Die Folgen zeigten sich im Mausmodell: Tiere mit SMA wiesen neben motorischen Beeinträchtigungen auch eine deutlich verringerte kommunikative Aktivität auf, die sich in reduzierten Ultraschallvokalisationen äußerte. Durch die gezielte Wiederherstellung des fehlenden Proteins in den Purkinje-Zellen konnten sowohl die motorischen als auch sozialen Defizite teilweise verbessert werden.

Für die aktuellen Untersuchungen wurden hochauflösende Bildgebung und Patch-Clamp-Messungen an Kleinhirnschnitten von Mäusen genutzt. Zusätzlich setzten die Leipziger Wissenschaftler virale Vektoren ein, um die Genexpression der Mäuse gezielt zu manipulieren.

„Unsere Forschung liefert eine wichtige Basis für weitere Studien, die die Veränderungen im Kleinhirn bei Spinaler Muskelatrophie in größeren Gruppen von Patienten untersuchen sollen. Als nächsten Schritt wollen wir vorhandene Therapien an unseren Mausmodellen testen, um zu prüfen, ob sich die Veränderungen im Kleinhirn und die damit verbundenen sozialen Symptome bei der Erkrankung verbessern lassen“, erklärt Simon.