Auch Formfehler rechtfertigen Regressforderungen

Ärzte müssen Verordnungen persönlich unterzeichnen. (Foto: © M.Dörr & M.Frommherz – stcok.adobe.com)

Ein Mediziner, der Rezepte nicht persönlich unterzeichnete, sondern einen Unterschriftenstempel nutzte, muss Regresszahlungen in Höhe von fast 500.000 Euro leisten. Das geht aus einem aktuellen Urteil des Bundessozialgerichtes (AZ: B 6 KA9/24 R) hervor.

Der Facharzt für Innere Medizin mit dem Schwerpunkt Kardiologie hatte in den Quartalen 1/2015 bis 2/2018 Sprechstundenbedarfsverordnungen mit einem Unterschriftenstempel unterzeichnet. Aufgrund dieses Formfehlers hatte die Prüfungsstelle einer Krankenkasse einen Regress in Höhe von rund 490.000 Euro gegen den Mediziner festgesetzt.

Dagegen hatte der Internist vor dem Sozialgericht Marburg geklagt und verloren. Dieses hatte argumentiert, dass im vorliegenden Fall zwar keine Wirtschaftlichkeitsprüfung nach § 106 SGB V vorliege. Dennoch habe der Kläger seine vertragsärztlichen Pflichten mindestens fahrlässig verletzt, da er die Verordnungen nicht persönlich unterzeichnet habe. Dadurch sei der Krankenkasse ein normativer Schaden entstanden.

Regularien müssen bekannnt sein

Diesem Urteil schloss sich das Bundessozialgericht (BSG) nun an. „Zutreffend ist das Sozialgericht davon ausgegangen, dass Rechtsgrundlage des festgesetzten Regresses § 48 Absatz 1 Bundesmantelvertrag-Ärzte in Verbindung mit § 15 der landesrechtlichen Prüfvereinbarung ist. Danach wird der sonstige durch einen Vertragsarzt verursachte Schaden, der einer Krankenkasse aus der unzulässigen Verordnung von Leistungen, die aus der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen sind, oder – wie hier – aus der fehlerhaften Ausstellung von Bescheinigungen entsteht, durch die Prüfungseinrichtungen festgestellt“, heißt es in einer Mitteilung des BSG.

Der Mediziner habe die für Vertragsärzte bestehende Pflicht zur persönlichen Leistungserbringung verletzt. Die persönliche Unterschrift des Arztes (jetzt die qualifizierte elektronische Signatur) sei wesentlicher Bestandteil der Gültigkeit einer Verordnung. Nur mit einem Unterschriftenstempel versehene Verordnungen könnten diese hohen Qualitätsanforderungen und die Gewähr für die Richtigkeit und vor allem Sicherheit der Auswahl des verordneten Arzneimittels nicht erfüllen, argumentierten die Richter. Dem Kläger falle hinsichtlich der Pflichtverletzung auch Verschulden zur Last, da er die Regularien der persönlichen Unterzeichnung jeglicher Art von ärztlichen Verordnungen kennen müsse und diese nicht eigenmächtig ändern dürfe.

„Unverhältnismäßig und überzogen“

Bei der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) stößt das BSG-Urteil hingegen auf völliges Unverständnis. „Geradezu absurd und unglaublich, aber leider wahr: Wegen eines Formfehlers überziehen Krankenkassen ärztliche Kollegen einer Praxis, die medizinisch vollkommen korrekt gehandelt haben, mit einem ruinösen Regress in Höhe von fast 500.000 Euro. Eine Unverhältnismäßigkeit sondergleichen“, kommentierte die KBV das Urteil in einer Pressemitteilung.

Dass die Verordnungen nicht unterschrieben, sondern gestempelt wurden, sei formell falsch gewesen, habe aber zu keinem Schaden geführt. So sei in dem Verfahren stets unstrittig gewesen, dass alle Leistungen medizinisch erforderlich und für die Behandlung der Patienten notwendig gewesen seien.

„Die Richterinnen und Richter des BSG jedoch erhoben nicht die notwendige Versorgung von Menschen, sondern das bürokratische Konstrukt des Formfehlers zum Maß aller Dinge. Die Juristen bewerteten den Formfehler der fehlenden Unterschrift genauso, als wenn das Arzneimittel zu Unrecht ausgegeben worden wäre. Mit fatalen und existenzbedrohenden Folgen für die niedergelassenen Kollegen!“, kritisierten die Vorstände der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Dres. Andreas Gassen, Stephan Hofmeister und Sibylle Steiner.

„Die BSG-Entscheidung ist völlig unverhältnismäßig zum formellen Fehler. Sie wirft aber auch ein grelles Schlaglicht darauf, dass wir dringend eine gesetzliche Klarstellung brauchen, die sogenannte Differenzkostenberechnung auszuweiten. Regresse werden begrenzt auf die Differenz zwischen den tatsächlichen Kosten und den Kosten, die bei einer wirtschaftlichen Verordnung angefallen wären. Einfach formuliert: Wir brauchen eine Anrechnung dessen, was die Versicherten medizinisch sachgerecht erhalten haben.“ (ej/BERMANN)