Auf leisen Schwingen: Vogelgrippe breitet sich zunehmend aus28. Oktober 2025 (Symbolbild) Foto: © cesaresent – stock.adobe.com Die Vogelgrippe verbreitet sich aktuell rasant in Deutschland. Mit dem Vogelzug „reist“ das Virus von Nord nach Süd, 500 000 Tiere wurden bislang gekeult. Drei Experten nehmen eine Einschätzung des Infektionsgeschehens vor – und potenzieller Folgen. Um der Verbreitung des Virus Einhalt zu gebieten, werden derzeit ganze Bestände von Geflügelmastbetrieben in die Ställe gesperrt oder gekeult, wenn Infektionen festgestellt werden. Das Friedrich-Loeffler-Institut (FLI) appelliert an die Bevölkerung, sich in betroffenen Regionen von Wildvögeln fern zu halten und diese nicht aufzuscheuchen sowie tote Wildvögel den zuständigen Veterinärbehörden zu melden. Die Vogelgrippe, auch Geflügelpest genannt, ist eine hochansteckende und bei vielen Vogel- und Geflügelarten rasch tödlich verlaufende Infektionskrankheit. In der Vorgeschichte trat das Virus im Zusammenhang mit dem Vogelzug nur während der kalten Jahreszeit hierzulande in Erscheinung. Mittlerweile werden das ganze Jahr hindurch Nachweise erbracht. Neu ist in dieser Saison in Europa das frühe Auftreten der Fälle und die von der Infektion betroffenen Arten von Zugvögeln. In diesem Jahr sind besonders Kraniche in Deutschland betroffen, was bisher nur aus anderen Ländern wie Israel oder Ungarn bekannt war. In den USA kam es bei vergangenen Ausbrüchen auch in Rinderbeständen zu Infektionen mit dem H5N1-Virus. Experten zum Seuchengeschehen und potenziellen Folgen Drei Fachleute, Prof. Timm Harder, Laborleiter am Institut für Virusdiagnostik des FLI, Greifswald-Insel Riems, Prof. Ursula Höfle, Ärztin und Tierärztin von der Universität von Castilla-La Mancha, Spanien, wo sie Leiterin des Bereichs Infektionskrankheiten bei Wildvögeln (Bereich Vogelpathologie) ist, und Prof. Florian Krammer, Professor für Vakzinologie an der Icahn School of Medicine at Mount Sinai, New York City, USA, äußern sich zur aktuellen Dynamik des Infektionsgeschehens sowie zur Gefährdung und möglichen Schutzmaßnahmen von Tierbeständen und einzelnen Tierarten, einschließlich des Menschen. Die Experten geben ebenfalls eine Einschätzung ab, welchen Stellenwert eine Impfung gegen hochansteckende Vogelgrippe (HPAI) in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern hat. Aktuelle Dynamik im Vergleich zu den Vorjahren Prof. Timm Harder, Laborleiter am Institut für Virusdiagnostik des FLI, Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit, der auch Leiter des WOAH (World Organisation for Animal Health), FAO (Food and Agriculture Organization of the United Nations) und Nationalen Referenzlabors für Aviäre Influenza (AI)/Geflügelpest ist, sagt: „Wir hatten in den Jahren 2021/22 ein ähnliches Geschehen. Die Dynamik, also die Zunahme der Fälle über die Zeit, ist dieses Jahr allerdings höher als beispielsweise 2022. Kraniche waren in Deutschland bislang nicht in dem derzeitigen Umfang von HPAI (highly pathogenic avian influenza)-Infektionen betroffen.“ Prof. Ursula Höfle, Vertragsprofessorin, Ärztin und Forscherin an der Forschungsgruppe für Gesundheit und Biotechnologie (SaBio) des Instituto de Investigación en Recursos Cinegéticos (IREC – CSIC, UCLM, JCCM), Universität von Castilla-La Mancha, Spanien ordnet die Entwicklung des Infektionsgeschehens ein: „Die aktuelle Situation unterscheidet sich zu den Vorjahren in der Vielfalt der befallenen Vogelarten, dem heftigen Verlauf bei infizierten Vögeln, sowie der häufigen Übertragung auf Säugetiere. Darüber hinaus ist das Infektionsgeschehen nicht mehr vollständig abhängig von der kühlen Jahreszeit. Vorher war Vogelgrippe nur im Winter zu erwarten, jetzt gibt es zumindest bei Wildvögeln das ganze Jahr über Fälle. Das Virus hat sich zuletzt auf fast alle Kontinente verbreitet – inklusive Antarktika –, nur Ozeanien ist verschont.“ Auch sieht Höfle Potenzial für weitere, ungünstige Entwicklungen. „Die aktuelle Infektionswelle unterscheidet sich zusätzlich noch von der bisher schlimmsten Welle in 2022 darin, dass sie im Juli bereits wesentlich früher begonnen hat. Außerdem kommt es aktuell auf den amerikanischen Kontinenten und in der Antarktis zumindest sporadisch zur Übertragung von Säugetier zu Säugetier bei Wildtieren (Meeressäuger) und Haustieren (Milchkühe). Zusätzlich ist neu, dass gleichzeitig ein hochpathogenes H7-Virus zirkuliert, das bisher in Madeira, Portugal bei einer Möwe detektiert wurde.“ Gefährdung und Testung von Säugetieren und Nutztieren Zu einem potenziell für Säuge- und Nutztiere bestehenden Risiko des Überspringens des Virus äußerte sich Harder: „Bei den Nutztieren sind naturgemäß die Geflügelbestände gefährdet. Bei Säugetieren sind es vor allem die fleischfressenden Wildtiere wie etwa die Füchse. In betroffenen Geflügelhaltungen sollten auch dort ebenfalls gehaltene Säugetiere untersucht werden. Bei Wiederkäuern gibt es, von einem Fall bei einem Schaf im Vereinigten Königreich im vergangenen Jahr abgesehen, bisher in Europa keine Fälle. Aus Italien wurde 2023 von der H5N1-Infektion einer Schweineherde berichtet, die zusammen mit H5N1-infzierten Hühner gehalten wurde. Systematische H5N1-Monitoringuntersuchungen von Wiederkäuer- und Schweinebeständen gibt es in Europa bislang nicht.“ Prof. Florian Krammer, Professor für Vakzinologie, Abteilung für Mikrobiologie, Icahn School of Medicine at Mount Sinai, New York City, Vereinigte Staaten hierzu: „Geflügelbetriebe sind auf jeden Fall gefährdet, da das Virus ja oft von Wildvögeln auf solche Betriebe überspringt. Bei Säugetieren sind Beutegreifer und Aasfresser besonders gefährdet. Die Übertragung auf Kühe ist in den USA ja mindestens zweimal passiert, allerdings konnte man so etwas außerhalb der USA bisher nicht nachweisen.“ Ursula Höfle sieht auch Folgen für die Artenvielfalt und schwer einzustufende Konsequenzen dessen: „Die weitläufigen und schweren Ausbrüche bei Wildvögeln sind in erster Linie ein Problem für die befallenen Arten – vor allem, wenn diese bedroht sind, und andere die ökologisch von ihnen abhängen – sowie für wilde Säugetiere, die sie fressen. Auf lange Sicht wird dieser Verlust von biologischer Vielfalt Konsequenzen haben, die schwer vorherzusagen sind. Aber die Ausbrüche bei Großelternzuchten von Legehennen, die als genetische Reserve hochgradige Biosicherheit haben, zeigen, dass es sehr schwierig ist, Nutztierfarmen vollkommen abzuschirmen. Daher muss angenommen werden, dass Nutztierbestände aller Arten möglicherweise exponiert sein könnten, was allerdings nicht immer zu einer Infektion führen muss. Da aber jede Infektion bei Vögeln zu kleinen Änderungen (Mutationen) in den neu produzierten Viren führt, besteht die Möglichkeit, dass wie bei den amerikanischen Milchkühen ein Virus entsteht, dass erfolgreicher bei der Infektion und Übertragung zwischen Säugetieren ist. Daher wäre eine Überwachung in Nutztierbeständen wünschenswert. Aktuell wird diese in den meisten Ländern (zumindest in Spanien) bei allen Arten außer Hühnern und Enten passiv durchgeführt. Es wird getestet, wenn eine unerwartete Zahl von Tieren erkrankt oder stirbt. Vor allem werden von den meisten Ländern Verordnungen erlassen, Geflügel nicht mehr ins Freiland zu lassen.“ Schutzmaßnahmen bei Nutztieren – Impfungen denkbar, jedoch mit hohem Aufwand verbunden Für Geflügel gilt es die Biosicherheitsmaßnahmen in der Haltung zu überprüfen und insbesondere den Kontakt zu Wildvögeln zu verhindern, so Harder. Ob es Möglichkeiten der Verbesserung gibt, könnten Halter unter anderem über eine Risikoampel (s. Links) ermitteln. Zum viel diskutierten Thema Impfungen gibt Harder zu bedenken: „Es gibt verschiedene kommerziell erhältliche, zugelassene Impfstoffe für Geflügel, die besonders im vergangenen Jahr auch in Frankreich zum Einsatz kamen. Die Impfung von Geflügel ist jedoch mit umfangreichen Überwachungsmaßnahmen verbunden und eignet sich daher aus Sicht des Friedrich-Loeffler-Instituts nur für bestimmte Geflügelarten, Nutzungs- und Haltungsformen, wie beispielsweise Enten und Gänse in Freilandhaltung sowie für Zoovögel. Sie ist ungeeignet für die Masthähnchenproduktion. Generell muss der Einsatz der HPAI-Impfung sehr sorgsam erwogen werden, da auch etwaige Auswirkungen auf den grenzüberschreitenden Handel mit Geflügelprodukten zu erwarten sind.“ Höfle äußert dazu: „Bisher ist der beste Schutz die Biosicherheit. Verschiedene Impfstoffe existieren und werden zum Beispiel benutzt, um exotische, bedrohte Arten in zoologischen Beständen oder die Entenproduktion in Frankreich zu schützen. Weitere Impfungen sind im Gespräch. Allerdings gibt es auch warnende Stimmen, die befürchten, dass das Auftauchen der H5N1- und H5NX-Viren zum Teil mit der intensiven kontinuierlichen Impfung in Asien zusammenhängen könnte. Daher ist eine generelle Impfung bisher nicht vorhergesehen, obwohl die existierenden Impfstoffe, wenn nötig, in großen Mengen produziert werden könnten.“ Krammer steht einem Geflügelimpfstoff positiver gegenüber: „Bei Geflügel gibt es Impfungen die zum Beispiel in China, Mexiko und Frankreich erfolgreich angewandt werden. Das ist meiner Meinung nach eine gute Strategie. Für Schweine gibt es zwar Impfungen gegen Schweineinfluenza, aber nicht gegen H5N1. Für Kühe steht momentan auch kein H5N1-Impfstoff zur Verfügung. Die Frage stellt sich aber, ob das überhaupt Sinn machen würde, da eine Übertragung auf Kühe ja außerhalb der USA noch nicht detektiert wurde.“ Zoonosepotenzial und Schutzmaßnahmen beim Menschen Ein Zoonosepotenzial für den Menschen läge unbestritten vor, wie Harder klarstellt, werde jedoch in Europa derzeit noch als gering eingestuft. „Für den Menschen besteht prinzipiell ein Infektionsrisiko durch hochpathogene aviäre Influenzaviren. Sie gelten als zoonotisch, wobei unterschiedliche Virusstämme und -linien unterschiedlich ausgeprägte zoonotische Neigungen haben. Die in Europa und den USA dominierenden H5N1-Viren der Klade 2.3.4.4b werden vom ECDC, dem Europäischen Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten als gering zoonotisch eingeschätzt [1].“ Für eine Infektion des Menschen ist ein intensiver Kontakt mit infiziertem Geflügel oder infizierten Wildvögeln nötig, so der Laborleiter am Institut für Virusdiagnostik des FLI. Daher seien umfangreiche Schutzmaßnahmen beim Umgang mit potenziell infiziertem Geflügel, Wildvögeln und Säugetieren erforderlich, d. h. dass Personen, die betroffene Geflügelhaltungen räumen oder tote Wildvögel bergen, geeignete Schutzkleidung tragen müssen. „Hierzu gehören neben einem Schutzanzug auch Einmalhandschuhe, Schutzbrille und eine FFP3-Atemschutzmaske,“ wie Harder verdeutlicht. Der Vakzinologe Krammer empfiehlt exponierten Berufsgruppen wie etwa Tierärzten, Jägern und Geflügelhaltern eine saisonale Influenzaimpfung zum Eigenschutz. „Umso mehr Fälle es in Tieren gibt, desto wahrscheinlicher kann es zu zoonotischen Infektionen kommen. Wenn Säuger infiziert sind, kann es sein, dass das Virus mutiert, um sich besser an Säugerzellen anzupassen, und das könnte dann auch die Infektiosität für Menschen erhöhen. Schützen kann man sich, indem man den Kontakt mit Wildtieren, vor allem mit kranken oder sich auffällig verhaltenden Vögeln vermeidet. Man sollte auch darauf achten, dass Hunde und Katzen zu solchen Tieren keinen Kontakt haben. Für Berufsgruppen, die mit potenziell infizierten Tieren in Berührung kommen, wie Veterinäre, Geflügelbauern, Jäger, Tierrettung und weitere, sollte eine saisonale Influenzaimpfung in Erwägung gezogen werden, um sich vor humaner Influenza zu schützen. Bei einer Koinfektion mit saisonaler Influenza und H5N1 kann es nämlich zur Bildung von Reassortanten zwischen den zwei Viren kommen, also zu einer Neuverteilung der genetischen Informationen. Diese neu entstandenen Viren haben dann möglicherweise Potenzial, eine neue Pandemie auszulösen. In Österreich und einigen anderen europäischen Ländern stehen für diese gefährdeten Personengruppen auch passende H5-Impfstoffe zur Verfügung, die sehr empfehlenswert sind. In Deutschland sind diese allerdings nicht erhältlich.“ Auch Prof. Höfle rät zur jährlichen Grippeimpfung, da diese einen indirekten, wenn auch geringfügigen, Schutz vor Vogelgrippeviren biete: „Das Zoonosenrisiko wird immer noch als gering eingeschätzt, trotz des kürzlich aufgetretenen Falls bei einer Dreijährigen in Mexico, die sich mit H5N1 infizierte und daran starb. Eine Übertragung von Tieren auf den Menschen ist aber immer möglich, da je häufiger das Virus zwischen Vögeln und Säugern übertragen wird, umso häufiger können neue Varianten entstehen. Zusätzlich existiert in einigen Arten das Risiko der Koinfektion mit Vogelgrippe und anderen Grippeviren zum Beispiel bei Mensch und Schwein und bei speziellen Arten wie der Wachtel. Durch Koinfektionen erhöht sich das Risiko des Austausches von Genen zwischen Viren, die zu einem neuen gefährlicheren Virus führen können (Rekombination). Im Endeffekt ist es wie eine Lotterie. Nach aktuellem Wissen muss für eine Übertragung ein sehr enger und lang andauernder Kontakt mit erkrankten Vögeln und ihren Exkrementen bestehen (zum Beispiel auf einer Hühnerfarm). Personen, die auf Nutztierfarmen oder mit Wildtieren arbeiten, sollten aufgrund der Rekombinationsgefahr die jährliche normale Grippeimpfung erhalten, die auch ein bisschen indirekten Schutz vor Vogelgrippe bieten kann. Zusätzlich sind in Europa mehrere Impfstoffe so weit entwickelt, dass sie im Falle eines Zoonoseausbruchs schnell zugelassen und produziert werden können.“ Ausblick Ursula Höfle, die an der Justus-Liebig-Universität, Gießen, Veterinärmedizin studiert hat, wagt einen vorsichtigen Ausblick, mit welchen potenziellen Folgen die Vogelgrippe in diesem Winter einhergehen könnte: „Vor allem ist zu erwarten, dass mit dem Wintereinbruch und dem Vogelzug die Anzahl der Ausbrüche im Süden Europas weiter zunimmt, was vor allen Dingen die Preise von Eiern und Hühnerfleisch ansteigen lassen kann. Es könnten neue Vogel- oder Säugetierarten betroffen sein. Weitere Entwicklungen darüber hinaus sind schwer vorherzusagen.“ Die Einschätzung von Florian Krammer lautet wie folgt: „Problematisch wird die Situation für Menschen erst dann, wenn es Mensch-zu-Mensch-Übertragung mit H5-Viren gibt. Momentan ist die Situation für Geflügelbetriebe ein Problem und natürlich für gefährdete Wildvogelpopulationen – aber es gibt keinen Grund zur Panik, was eine Pandemie in Menschen betrifft.“ Zitierte Literaturstelle [1] European Centre for Disease Prevention and Control: Risk assessment H5 clade 2.3.4.4b viruses.
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