Augenverletzungen: 90 Prozent aller Unfälle wären vermeidbar

Schnelles Augenspülen bei Verätzungen, geeignete Schutzbrillen bei augengefährdenden Freizeitaktivitäten und ein Verbot privat genutzter Pyrotechnik sind laut DOG wichtige Maßnahmen zur Vermeidung einer Großzahl schwerer Augenverletzungen. Bildcollage: Biermann Medizin (Fotos: Schrader/privat, Gabel-Pfisterer/privat. Bilder: ©Mac Dax – stock.adobe.com, ©pandavector – stock.adobe.com, ©PMDesign – stock.adobe.com)

Schätzungsweise 300.000 Augenverletzungen ereignen sich pro Jahr in Deutschland, die meisten bei Freizeitaktivitäten und mit teilweise schwerwiegenden Folgen. Was im Falle eines Unfalls zu tun ist und wie 90 Prozent der Verletzungen vermieden werden könnten, erläuterten Experten anlässlich des 118. Kongresses der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft (DOG), der vom 9. bis 11. Oktober online stattfindet.

Bis zu 95 Prozent der Augenverletzungen sind nach Angaben der DOG leicht und können meist ambulant behandelt werden, die restlichen fünf Prozent seien jedoch oft Ursache einer lebenslangen Behinderung. „Wie stark die Verletzung Berufsfähigkeit und Privatleben beeinträchtigt, hängt davon ab, wie schnell die Behandlung erfolgt“, erläuterte Prof. Wolfgang Schrader, Chefarzt der Abteilung für Augenheilkunde an der Rotkreuzklinik Würzburg. Deshalb sollten Unfallopfer umgehend einen Augenarzt aufsuchen. „Nur am Untersuchungsmikroskop kann entschieden werden, ob es sich um eine leichte oder eine ernsthafte Verletzung handelt“, fügte der Sprecher der AG DOG-Traumatologie hinzu. Zumal auch eine scheinbar glimpflich verlaufende Augenverletzung noch Jahre später zu Folgekomplikationen wie Glaukom, Katarakt oder Netzhautablösung führen könne.

Bei Verätzungen sofort Augen spülen – notfalls mit Bier
Verätzungen zählen zu den besonders ernsten Verletzungen, bei denen oft noch Jahre später Folgeoperationen nötig sind. Auslöser von Verätzungen sind heute neben Kalk und Natronlauge vor allem Industriereiniger, hochkonzentrierte Waschmittel und hochgiftige Fluss-Säure, die in Industrie und Wissenschaft Verwendung findet. „Im Fall von Verätzungen sind Erstmaßnahmen am Unfallort entscheidend“, erklärte Schrader. Das bedeutet: Krankenwagen rufen und möglicherweise ätzende Partikel mechanisch aus dem Augen entfernen. „Dann sofort das Auge ausgiebig mit Wasser spülen, notfalls auch mit Limonade oder Bier“, sagte Schrader. Wenn anschließend das Auge noch 15 Minuten in der Klinik gespült werde, reduziere sich die Rate an schweren Verätzungen um 75 Prozent.

Schutzbrille bei Freizeitaktivitäten
Während sich noch vor 100 Jahren die meisten Augenverletzungen am Arbeitsplatz ereigneten, passieren Unfälle heute zum überwiegenden Teil bei Freizeitaktivitäten, im Sport oder bei Heimwerkertätigkeiten. „In diesen Bereichen ließen sich durch relativ einfache Sicherheitsmaßnahmen 90 Prozent der Augenverletzungen vermeiden“, berichtete Schrader. „Motorbetriebene Geräte für die Werkstatt und den Garten beispielsweise sollten nur mit geeignetem Augenschutz und Sicherheitshandschuhen verkauft werden.“
Im Sportbereich gilt Squash als besonders gefährlich für die Augen. „Das liegt am ungünstigen Größenverhältnis des Balls, der nicht am Knochen aufprallt, sondern ungehindert zum Augapfel vordringen kann“, erklärte Dr. Ameli Gabel-Pfisterer vom Klinikum Ernst von Bergmann in Potsdam. „Wir empfehlen deshalb eine Schutzbrille beim Squash, aber auch beim Golfen – wie es etwa in England oder in den USA bei Turnieren schon zwingend vorgeschrieben ist“, ergänzte die DOG-Expertin. Opfer von Sportverletzungen der Augen seien zu rund 75 Prozent Männer.

Bleibende Sehschäden durch Feuerwerkskörper
Kinder und Jugendliche wiederum werden besonders häufig Opfer von Augenverletzungen durch Feuerwerkskörper. „Der Anteil der Heranwachsenden an diesen Unfällen beträgt 40 Prozent“, berichtete Gabel-Pfisterer, die für die DOG regelmäßig Umfragen über Verletzungen durch Silvester-Feuerwerk in den deutschen Augenkliniken durchführt.* „Bei Kindern sind meist Knallkörper die Ursache“, verdeutlichte die Ophthalmologin. Ein weiteres Detail der Umfrage zeige, dass etwa die Hälfte aller Unfälle durch Böller und Feuerwerkskörper Zuschauer und Passanten treffe– also Unbeteiligte.
Rund ein Viertel aller Feuerwerks-Augenverletzungen sind schwer und müssen stationär behandelt werden. „Durch die Kombination von mechanischen, chemischen und thermischen Einwirkungen können Feuerwerkskörper zu schweren Oberflächenverletzungen, stumpfen Augenprellungen oder Zerreißungen des Augapfels führen, die trotz intensiver Therapie nur mit bleibenden Schäden abheilen“, erläuterte Gabel-Pfisterer. Eine Auswertung der Leipziger Universitäts-Augenklinik habe ergeben, dass Patienten mit schweren Feuerwerks-Augenverletzungen nach Abschluss der Behandlung nur eine mittlere Sehschärfe von 20 Prozent bleibe.

Diskussion über Verbot von privatem Feuerwerk
Aus diesem Grund, so die Fachgesellschaft, plädierten die deutschen Augenärzte wie viele ihrer internationalen Kollegen für Präventionsmaßnahmen. „In Holland hat schon allein eine Verkürzung der Zeiten, in denen private Feuerwerke gezündet werden dürfen, zu einer Halbierung der Verletztenzahlen geführt“, berichtete Gabel-Pfisterer. „Wir setzen uns für die Abgabe von Schutzbrillen beim Kauf von Feuerwerkskörpern ein, aber vor allem für eine Diskussion über ein Verbot privat genutzter Pyrotechnik“, ergänzte DOG-Präsident Prof. Hans Hoerauf. „Feuerwerk gehört in die Hände von Profis, dort ist es sicher“, meinte der Direktor der Augenklinik der Universitätsmedizin Göttingen.

Augenchirurgie kann heute das Augeninnere wiederherstellen
Unterdessen hat die Augenchirurgie große Fortschritte bei der Versorgung schwerer Augenverletzungen gemacht. „Noch vor 40 Jahren wurden Augen, die kein Licht mehr wahrnehmen konnten, entfernt“, berichtete Schrader, „heute können wir durch eine sorgfältige Rekonstruktion des Augeninneren, die unter dem Mikroskop mehrere Stunden dauert, sogar wieder ein orientierendes Sehvermögen erreichen.“ Voraussetzung sei, dass die Rekonstruktion innerhalb der ersten 100 Stunden nach der Verletzung vorgenommen werde.
Über Neuerungen in Therapie und Diagnostik bei Augenverletzungen tauschen sich Experten der International Society of Ocular Trauma (ISOT) bei einem virtuellen Joint Meeting mit Spezialisten der DOG aus.**

*Anm. d. Red.: Siehe hierzu den Fachbeitrag von Dr. Ameli Gabel-Pfisterer in der aktuellen Kongressausgabe der Ophthalmologischen Nachrichten auf Seite 14.

**DOG-Kongressveranstaltungen zum Thema:
– ISOT Joint Meeting online mit der DOG.
Termin: Freitag, 9. Oktober 2020, 12.30 bis 17.15 Uhr, Channel Helmholtz
– Symposium: „Wenn Böller ins Auge gehen – Augenverletzungen durch Feuerwerk“
Termin: Sonntag, 11. Oktober 2020, 14.30 bis 15.15 Uhr, Channel von Graefe

Literatur zum Thema:
1. Wiesner N, Dutescu RM, Uthoff D, Kottek A, Reim M, Schrage N. First aid therapy for corrosive chemical eye burns: results of a 30-year longitudinal study with two different decontamination concepts. Graefes Arch Clin Exp Ophthalmol 2019 Aug;257(8):1795–1803.
2. Gabel-Pfisterer A, Böhringer D, Agostini H. Augenverletzungen durch Feuerwerks- und Knallkörper. Ophthalmologe 2019 Dec;116(12):1136-1137.
3. Kuhn F, Schrader W. Prophylactic chorioretinectomy for eye injuries with high proliferative-vitreoretinopathy risk. Clin Anat 2018 Jan;31(1):28–38.
4. Wolf A et al. Diagnostik und Akuttherapie von Augenverletzungen durch Feuerwerkskörper Ophthalmologe 2019;116:1152–1161.
5. De Faber et al. Landesweite Studien aus den Niederlanden und Finnland zur Häufigkeit von Augenverletzungen durch Feuerwerk. Ophthalmologe 2019;116:1177–1183.
6. Unterlauft JD et al. Firework-Related Eye Trauma in Germany. Curr Eye Res 2018;43:1522–1528.
7. Wedrich A et al. Augenschäden bei Amateurboxern Spektrum der Augenheilkunde 1990;4:137–141.