Ausgehungert – Neuer Wirkstoff hemmt das Wachstum von Krebszellen17. Dezember 2020 Schematische Darstellung des POLRMT-Inhibitor-Komplexes. Grafik: © Hauke S. Hillen Ein neu entwickelter Wirkstoff lässt Krebszellen aushungern, indem er die Mitochondrien angreift. Der neue Wirkstoff verhindert das Ablesen der genetischen Information der Mitochondrien. Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Biologie des Alterns, des Stockholmer Karolinska Instituts und der Universität Göteborg berichten in ihrer in “Nature” veröffentlichten Studie, dass die chemische Verbindung auch Potential für die Krebstherapie bei Menschen haben könnte. Lange Zeit ging man davon aus, dass das Wachstum von Krebszellen weniger stark vom Beitrag der Mitochondrien abhängt. Diese seit langem bestehende Lehrmeinung wurde jedoch in den letzten Jahren zunehmend in Frage gestellt. Besonders Krebsstammzellen sind in hohem Maße vom mitochondrialen Stoffwechsel abhängig. Aufgrund der zentralen Rolle der Mitochondrien für die normale Gewebefunktion und weil Medikamente, die auf die Mitochondrienfunktionen abzielen, normalerweise sehr toxisch sind, hat es sich bisher als schwierig erwiesen, Mitochondrien im Rahmen der Krebsbehandlung gezielt anzugreifen.Jetzt hat ein internationales Forscherteam einen Weg gefunden, diese Schwierigkeiten zu überwinden. „Es ist uns gelungen, ein potenzielles Krebsmedikament zu entwickeln, das auf die Funktion der Mitochondrien abzielt, ohne schwere Nebenwirkungen zu verursachen und ohne gesunde Zellen zu schädigen“, erklärt Erstautorin Dr. Nina Bonekamp. Mitochondrien enthalten ihr eigenes genetisches Material, die mitochondrialen DNA-Moleküle (mtDNA). Das Ablesen dieser Gene wird durch einen speziellen Satz von Proteinen gesteuert. Eines dieser Proteine ist das Enzym „mitochondriale RNA-Polymerase”, abgekürzt POLRMT. „Unsere früheren Studien haben gezeigt, dass sich schnell vermehrende Zellen, wie z.B. embryonale Zellen, sehr empfindlich auf eine Hemmung der mtDNA-Expression reagieren, während differenzierte Gewebe wie Skelettmuskel diesen Zustand überraschend lange tolerieren können. Wir kamen zu dem Schluss, dass POLRMT als ein Schlüsselregulator der mtDNA-Expression ein vielversprechendes Ziel darstellen könnte”, sagt Prof. Nils-Göran Larsson, Leiter des Forschungsteams.In Zusammenarbeit mit dem Lead Discovery Center, einer von Max-Planck-Innovation gegründeten Einrichtung für translationale Wirkstoffforschung, entwickelte das Forschungsteam eine Hochdurchsatz-Testmethode zur Identifikation eines POLRMT-hemmenden Wirkstoffs. Der POLRMT-Hemmer verringerte die Lebensfähigkeit von Krebszellen stark und verlangsamte das Tumorwachstum in tumortragenden Mäusen signifikant. Gleichzeitig wurde der Wirkstoff aber gut von den Tieren vertragen. „Unsere Daten deuten darauf hin, dass wir Krebszellen im Grunde aushungern und so zum Sterben bringen. Das gelingt, zumindest für eine gewisse Zeit, ohne große, toxische Nebenwirkungen. Dies gibt uns ein potenzielles therapeutisches Zeitfenster für die Behandlung von Krebs”, sagt Bonekamp. „Ein weiterer Vorteil unseres Hemmstoffs ist, dass wir genau wissen, wo er an POLRMT bindet und was er mit dem Protein macht. Das steht im Gegensatz zu einigen anderen Medikamenten, die sich sogar im klinischen Einsatz befinden.” Mit Hilfe der ACUS-Laboratorien in Köln und des Max-Planck-Instituts für biophysikalische Chemie in Göttingen identifizierte das Team die chemische Bindungsstelle des Inhibitors und erhielt Informationen über die Struktur des Komplexes aus POLRMT und Inhibitor.Bonekamp und Larsson sind sich einig, dass es ein spannendes Unterfangen war, grundlegende Erkenntnisse in ein potenzielles Medikament umzusetzen. Umso mehr freuen sie sich über die Möglichkeiten, die ihre Erkenntnisse eröffnen werden. „Angesichts der zentralen Rolle des mitochondrialen Stoffwechsels innerhalb der Zelle bin ich sicher, dass unser Inhibitor als Werkzeug in einer Vielzahl von Bereichen Verwendung finden wird”, erklärt Bonekamp. „Natürlich ist es faszinierend, sein Potenzial als Krebsmedikament weiter zu verfolgen, aber auch als Modellverbindung, um die zellulären Auswirkungen mitochondrialer Funktionsstörungen und mitochondrialer Erkrankungen besser zu verstehen.“ Publikation: Nina A. Bonekamp*, Bradley Peter*, Hauke S. Hillen, Andrea Felser, Tim Bergbrede, Axel Choidas, Moritz Horn, Anke Unger, Raffaella di Lucrezia, Ilian Atanassov, Xinping Li, Uwe Koch, Sascha Menninger, Joanna Boros, Peter Habenberger, Patrick Giavalisco, Patrick Cramer, Martin S. Denzel, Peter Nussbaumer, Bert Klebl, Maria Falkenberg, Claes M. Gustafsson and Nils-Göran Larsson.Small molecule inhibitors of human mitochondrial DNA transcription.Nature, 2020; online: 16.12.2020https://www.nature.com/articles/s41586-020-03048-z*Gleichberechtigte Erstautoren
Mehr erfahren zu: "Neue Studie: weitaus weniger Mikroorganismen in Tumoren als bisher angenommen" Weiterlesen nach Anmeldung Neue Studie: weitaus weniger Mikroorganismen in Tumoren als bisher angenommen Ein Forschungsteam der Johns Hopkins University (USA) hat herausgefunden, dass sequenzierte Tumorproben deutlich weniger mikrobielles Erbgut aufweisen, das tatsächlich mit einer bestimmten Krebsart assoziiert ist, als bisher angenommen. Bisherige Ergebnisse […]
Mehr erfahren zu: "Genetische Schwachstelle bei Synovialsarkomen erkannt" Genetische Schwachstelle bei Synovialsarkomen erkannt Neue Forschungsergebnisse zeigen, dass der Einsatz eines kleinen Moleküls als Blocker zur Hemmung des SUMO2-Proteins eine erfolgreiche Strategie gegen Synovialsarkome sein könnte.
Mehr erfahren zu: "KI in der Medizin: Wie Patienten darüber urteilen" KI in der Medizin: Wie Patienten darüber urteilen Was denken Patienten über Künstliche Intelligenz (KI) in der Medizin? Eine internationale Studie liefert eine Antwort. Zentrales Ergebnis: Je schlechter der eigene Gesundheitszustand, desto eher wird der Einsatz von KI […]