“Ausgepresst wie eine Zitrone”

Private Equity. Symbolbild: wladimir1804 – stock.adobe.com

Beim 74. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Urologie (DGU) in Hamburg hat DGU-Generalsekretär Prof. Maurice Stephan Michel die Urologen vor dem Zugriff von Private-Equity-Investoren gewarnt.

Das Thema ist nicht neu und wurde verschiedentlich bereits in allgemeiner Form auf Kongressen und Fachärztetagen aufgegriffen. Doch wie Michel es beschrieb, ist die Versuchung groß, sich im eigenen Fachgebiet nicht betroffen zu fühlen – und ehe man es sich versieht, gehört die Praxis einem internationalen Private-Equity-Konzern. “Das nimmt richtig Fahrt auf in den letzten fünf Jahren und steigt tatsächlich exponenziell an”, so Michel. Derzeit seien 14.000 von über 480.000 Krankenhausbetten und 950 Praxisstandorte in Private-Equity-Hand, besonders in der Augenheilkunde und Zahnmedizin – “kaum in der Urologie, aber die Anfragen mehren sich”. Denn auch die Urologie steht vor dem Problem, dass die Ärzte älter werden und es gleichzeitig zu wenig Nachwuchs gibt, sodass der Inhaber sich durchaus überlegen muss, wie er seinen Kassensitz mit gutem Erlös weitergibt. Gleichzeitig tendiert die junge Ärztegeneration verstärkt dazu, sich anstellen zu lassen, anstatt selbst eine Praxis zu führen. Gerade die Urologie als Zukunftsfach, das in den kommenden Jahren mit einem Patientenzuwachs von 20 Prozent rechnet, sei für die Investoren zunehmend interessant. Der DGU-Generalsekretär rechnet daher damit, “dass vermehrt Anfragen kommen werden, ob urologische Praxen angekauft werden können”.

Die Besonderheit bei Private Equity besteht darin, wie Michel berichtete, dass die Investition nicht auf Dauer angelegt ist, sondern dass die Praxis nach einigen Jahren gewinnbringend weiterverkauft werden soll. “Sie investieren nach der Maxime ‘kaufen, um gewinnbringend zu verkaufen, teilweise will man aber im laufenden Geschäft auch bis zu 20 Prozent Rendite haben.”

Das Geschäftsmodell funktioniert, so Michel, indem irgendwo ein kleines Krankenhaus gekauft wird, das in Schieflage geraten ist. Dieses wird weiterbetrieben, und von hier aus kann das Unternehmen dann im gesamten Bundesgebiet Medizinische Versorgungszentren (MVZ) gründen, die wiederum die Arztpraxen erwerben und an die MVZs anschließen. 

In der Folge werden die Kosten verringert durch zentralisierten Einkauf mit Verbesserung der Einkaufskonditionen, Zusammenlegen von EDV, Logistik und Verwaltung sowie durch eigene Tarif- und Vergütungsmodelle, Kündigungen und den Einsatz geringer qualifizierten Personals. Gleichzeitig versucht man, die Einnahmen zu optimieren, indem man die Behandlungszahlen steigert, zuzahlungspflichtige oder Privatleistungen vermehrt bewirbt, die Tätigkeit auf lukrative Untersuchungen und Behandlungen fokussiert (Patientenselektion) sowie Kodierung und Abrechnung möglichst zum eigenen Nutzen gestaltet. 

Negative Auswirkungen auf das Gesundheitssystem, Ärzte und Patienten

“Ausländische Investoren greifen hiermit in unser Gesundheitsversorgungssystem ein, das ein Sozialsystem ist und von uns allen getragen wird”, warnte Michel. Es gebe wenig Transparenz und kaum politische Beschränkungen. Doch es gibt eine ganze Reihe potenzieller negativer Auswirkungen, wie Michel auflistete: „Eine Renditeerwartung von 20 Prozent wird erwartet, da muss ausgepresst werden wie eine Zitrone.“ Die Steuervermeidung durch Sitz in Steueroasen sei ungünstig für das System, und die Kostenträger würden vermutlich durch die Abrechnungsmaximierung stärker belastet. “Die angestellten Ärzte haben aus meiner Sicht eine Einschränkung der ärztlichen Freiheit, die Gefahr unethischen Verhaltens unter wirtschaftlichem Druck ist gegeben”, konstatierte Michel. “Für unsere Patienten kann das wenig sinnvolle bzw. unnötige Behandlungen und verringerte Wahlmöglichkeiten bedeuten und es kann dazu führen, dass komplexe, wenig lukrative Patienten vielleicht auch nicht in diese Praxen gehen können, sondern sich andere Praxen suchen müssen“.

DGU-Generalsekretär Michel hob zusammenfassend die Bedeutung des Problems noch einmal hervor: “Wir müssen eine gesellschaftliche Debatte innerhalb der Urologie stimulieren, weil es bestimmt so ist, dass alle gleich rausgehen und sagen: ‘Das würde ich nie machen!’ Ich glaube, das war vor fünf Jahren bei den Augenärzten auch so, und im Moment werden die meisten Praxen, die Nachfolger kriegen, in der Augenheilkunde tatsächlich an Private-Equity-Firmen verkauft.”

(ms)

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Quellen 74. DGU-Kongress: Plenum der Präsidentin: Ansprache des Generalsekretärs, Hamburg, 22.09.2022