Autoantikörper vermutlich verantwortlich für Myokarditis nach SARS-CoV-2-Impfung26. September 2022 Abbildung: ©Teeradej/stock.adobe.com Einem neuen Kurzbericht im „New England Journal of Medicine“ zufolge scheinen Autoantikörper gegen körpereigene Entzündungsregulatoren eine Rolle bei der Entstehung der sehr seltenen Herzmuskelentzündungen nach mRNA-Impfungen gegen SARS-CoV-2 zu spielen. Einem multidisziplinären, internationalen Forscherteam verschiedener Universitäten und kardiologischer Kliniken in Deutschland und Israel ist es gelungen, einen neuen Mechanismus bei der Entstehung von sehr seltenen Myokarditiden nach mRNA-Impfungen gegen SARS-CoV-2 aufzudecken. Von deutscher Seite mitgewirkt haben Forschende des Universitätsklinikums des Saarlandes unter maßgeblicher Beteiligung der Kardiopathologie des Universitätsklinikums Tübingen, des Forschungslabors der Klinik für Kinderrheumatologie der Westfälischen Wilhelms-Universität (WWU) Münster sowie der Klinik für Kinder und Jugendliche in Kempten/Klinikverbund Allgäu. Die Myokarditis wurde als sehr seltene Nebenwirkung von mRNA-Impfungen gegen SARS-CoV-2 bei männlichen Jugendlichen und jungen Männern letztes Jahr zuerst in Israel beschrieben. Sie tritt in der Regel im engen zeitlichen Kontext nach einer mRNA-Impfung auf und zeigt häufig einen milderen Verlauf im Vergleich zu klassischen viralen und nichtinfektiösen Herzmuskelentzündungen. In der aktuellen Studie wurden Blutproben von Patientinnen und Patienten (Alter 14 bis 79 Jahre) analysiert, von denen meist auch eine Herzmuskelbiopsie mit dem histologischen Befund einer Myokarditis vorlag. Insbesondere bei männlichen Jugendlichen und jungen Männern konnten Autoantikörper gegen den zentralen körpereigenen Entzündungshemmer Interleukin-1(IL-1)-Rezepetor-Antagonist (IL-1-Ra) nachgewiesen werden. IL-1 ist ein wichtiger Botenstoff, der bei Infekten an der Alarmierung und Mobilisierung des Immunsystems beteiligt ist – er bewirkt beispielsweise Fieber. Ist die IL-1-Ausschüttung allerdings zu hoch, können viele entzündliche Erkrankungen entstehen. „Gerade bezüglich Entzündungen an Herzbeutel, Herzmuskel sowie Gefäßen wissen wir bereits um die zentrale Bedeutung von IL-1. Unser Immunsystem reguliert sich jedoch normalerweise selbst und gerade hochpotente Interleukine haben natürliche Gegenspieler, die gegebenenfalls überschießende Entzündungsreaktionen bremsen können“, erklärt PD Dr. Christoph Kessel, er leitet das Translational Inflammation Research Center der Abteilung Kinderrheumatologie und Immunologie am Universitätsklinikum Münster (UKM). Bei IL-1-Ra handelt es sich um einen solchen natürlichen Gegenspieler. „Bei den Patienten mit Myokarditis findet sich meist eine atypische Form mit einer zusätzlichen Phosphorylierung des IL-1-Ra. Das Immunsystem bewertet diesen dann als körperfremde Struktur und bildet fälschlicherweise Antikörper dagegen. Dadurch wird der so wichtige körpereigene Entzündungshemmer neutralisiert und somit die Wirkung entzündungsfördernder Botenstoffe begünstigt“, schildert PD Dr. Lorenz Thurner die Zusammenhänge. Er leitet eine Arbeitsgruppe am José-Carreras-Center der Klinik für Innere Medizin I des Universitätsklinikums des Saarlandes (UKS) in Homburg, die sich mit fehlgeleiteten Immunreaktionen bei Krebs- oder Autoimmunerkrankungen beschäftigt. „Wir sind zunächst eher zufällig darauf gestoßen, dass die bei schwerem COVID-19-Verlauf häufig nachgewiesenen Autoantikörper die IL-1-Ra abfangen und dadurch seine physiologische entzündungshemmende Wirkung unterdrücken, auch bei den sehr seltenen Herzmuskelentzündungen nach SARS-CoV-2-Impfungen auftreten können“, beschreibt Thurner die Entdeckung weiter. „Man muss in diesem Kontext jedoch klarstellen, dass Impfungen gegen SARS-CoV-2 unzählige schwere Krankheitsverläufe verhindert und sehr viele Leben gerettet haben. Wir sind fest davon überzeugt, dass der Nutzen der mRNA-Impfungen mit dem daraus resultierenden Schutz gegen schwere SARS-CoV-2-Infektionen und schwere Komplikationen bei weitem das Risiko einer milden Myokarditis überwiegt, die durch die von uns beschriebenen, insgesamt sehr selten auftretenden IL-1-Ra-Autoantikörper hervorgerufen werden kann“, stellt Prof. Karin Klingel, Leiterin der Kardiopathologie und Infektionspathologie am Universitätsklinikum Tübingen, klar. Interessanterweise konnten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zuvor bereits die gleichen Antikörper bei schweren Verlaufsformen von COVID-19 bei Erwachsenen und bei dem Multisystemischen Entzündungssyndrom bei Kindern (MIS-C – „Multisystem Inflammatory Syndrome in Children“ oder auch PIMS – „Pediatric Inflammatory Multisystem Syndrome“ genannt) nachweisen. Der aktuellen Studie kommt eine besondere Bedeutung zu, da sie zum besseren Verständnis der zugrunde liegenden Mechanismen bei einer sehr seltenen Begleiterscheinung der SARS-CoV-2-mRNA-Impfung beiträgt. Trotz dieses substantiellen Erkenntnisgewinns bleiben jedoch noch viele Fragen bestehen und das Team arbeitet an deren Klärung sowie an weiteren, verwandten Projekten.
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