Autonome Neuropathie: Neue Erkenntnisse zum Einfluss auf Lebensqualität und Prognose bei Menschen mit Diabetes

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Die autonome Neuropathie findet in der klinischen Praxis sowie im Bewusstsein von Menschen mit Diabetes noch nicht die Beachtung, die sie aufgrund des damit einhergehenden Risikos verdient, kritisiert Dr. Gidon J. Bönhof vom DDZ.

Das autonome Nervensystem ist für das Funktionieren vieler Organe und Systeme im menschlichen Körper verantwortlich, wie zum Beispiel für die Steuerung von Herzfrequenz und Blutdruck, die Verdauung und Kontinenz, die sexuelle Funktion sowie auch die Schweißsekretion. Prinzipiell können diabetesbedingte Nervenschäden also zu vielfältigen autonomen Organ-Dysfunktionen führen.

Obwohl ein regelmäßiges pragmatisches Screening für die autonome Neuropathie in aktuellen Leitlinien empfohlen wird, findet die autonome Neuropathie in der klinischen Praxis sowie im Bewusstsein von Menschen mit Diabetes noch nicht die Beachtung, die sie aufgrund des damit einhergehenden Risikos verdient, kritisierte Dr. Gidon J. Bönhof vom DDZ, Leiter der Nachwuchsforschergruppe Neuropathie, Institut für Klinische Diabetologie, Deutsches Diabetes-Zentrum Düsseldorf (DDZ) auf der Kongress-Pressekonferenz anlässlich des Diabetes Kongresses 2025 der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG).

Mehr als dreifach erhöhtes Risiko für Mortalität

In einer kürzlich erschienenen Metaanalyse mit circa 15.000 Teilnehmenden aus über 15 Studien wurde gezeigt, dass das Risiko für das Auftreten kardiovaskulärer Ereignisse bei Menschen mit Diabetes und kardiovaskulärer autonomer diabetischer Neuropathie (KADN) mehr als dreifach erhöht ist. Ebenso ist das relative Sterblichkeitsrisiko bei diesen Menschen mehr als dreifach erhöht, bei fortgeschrittenen Stadien sogar fast vierfach, informiert Bönhof (Chowdhury et al. BMJ Open Diabetes Res Care 2021).

Die Entstehung des diabetischen Fußsyndroms mit chronischen Fußwunden und nach wie vor zu vielen Amputationen ist hauptsächlich durch fortgeschrittene Nervenschäden bedingt. Häufig wird die neuropathische Genese jedoch reduziert auf den durch periphere Nervenschäden bedingten Gefühlsverlust, nicht aber die autonome Komponente der ausbleibenden Schweißsekretion berücksichtigt. Diese führt dazu, dass die Haut trocken und rissig wird und dies ebenfalls diabetischen Fußwunden Vorschub leistet. Gerade hat ein internationales Forscherteam bei über 1.000 Teilnehmenden mit Diabetes gezeigt, dass bei jenen mit autonomen Nervenschäden die Inzidenzrate für Fußulzera dreifach erhöht ist, sogar unabhängig von der Beteiligung peripherer Nervenschäden, so Bönhof. (Pallin et al. Diabetes Care 2025)

Einfache Tests für den klinischen Alltag und zur Selbstkontrolle

Durch einfache Tests der Schweißsekretion an den Füßen könnte dieser Sudomotor-Neuropathie mehr Beachtung geschenkt werden. Zum Beispiel kann mit einem simplen Pflastertest, der auf Flüssigkeit bei intakter Schweißsekretion reagiert, das Risiko für Fußulzera hervorgesagt werden, wie in neueren Studien gezeigt wurde. (Panagoulias et al. Front Endocrinol [Lausanne] 2020)

Aktuelle Leitlinien schlagen ein pragmatisches Screening für Symptome autonomer Nervenschäden bei Menschen mit Diabetes vor, wobei kein standardisiertes Vorgehen oder festes Screening-Intervall festgelegt ist (NVL Typ-2-Diabetes, 2023). „Hier besteht aus unserer Sicht Nachholbedarf für praxisnahe Studien, um effiziente, standardisierte und evidenzbasierte Prozesse für den klinischen Alltag zu entwickeln. Dies beinhaltet sowohl einfachere Fragebögen für autonome Symptome, die von Menschen mit Diabetes selbst ausgefüllt werden können, als auch standardisierte Tests mit validen Normbereichen“, so Bönhof. Hier sei eine neue dänische populationsbasierte Studie besonders hervorzuheben, bei der alters- und geschlechtsspezifische Normwerte für klinische Tests der kardiovaskulären autonomen Funktion erhoben und veröffentlicht wurden, welche aus unserer Sicht in der Praxis Anwendung finden sollten. (Hansen CS et al. Clin Auton Res 2025)

Auswirkungen auf Lebensqualität

Häufig werden die Symptome der autonomen Neuropathie von Betroffenen auch aus Schamgefühl bei zum Beispiel Störungen der Kontinenz oder Sexualfunktion oder aus geringem Bewusstsein bei zum Beispiel trockener Haut an den Füßen oder eingeschränkter Leistungsfähigkeit trotz der teils erheblichen Auswirkungen auf die Lebensqualität nicht aktiv angesprochen und auch auf der behandelnden Seite eher als spätes Problem gesehen. Doch sogar bei Jugendlichen mit Typ-1-Diabetes wurde jüngst beobachtet, dass die Lebensqualität dieser mit der autonomen Nervenfunktion assoziiert ist und eine Einschränkung auch mit einer geringeren sozialen Teilhabe einhergeht, betont der Mediziner. (Rasmussen VF et al. J Diabetes Res 2025)

„Insgesamt sehen wir den Einfluss von Bewegung auf die autonome Nervenfunktion als weiteres Argument für sportliche Betätigung“, sagt Bönhof. Trotz überschaubarer Datenlage legten aktuelle Metaanalysen nahe, dass positive Effekte von Sportprogrammen auf kardiovaskuläre autonome Funktionsparameter möglich sind. (Raje S. et al. Systematic Reviews 2025)

Literatur:
Chowdhury M et al. Cardiac autonomic neuropathy and risk of cardiovascular disease and mortality in type 1 and type 2 diabetes: a meta-analysis. BMJ Open Diabetes Res Care. 2021;9(2):e002480
Hansen CS et al. Normative data on measures of cardio vascular autonomic neuropathy and the effect of pretest conditions in a large Danish non-diabetic CVD-free population from the Lolland-Falster Health Study. Clin Auton Res 2025:35(1):101-113
Nationale VersorgungsLeitlinie (NVL) Typ-2-Diabetes – Langfassung. Version 3.0., Mai 2023
Pallin JA et al. Cardiovascular Autonomic Neuropathy Independently Predicts Incident Foot Ulcers in People with Diabetes: A Prospective Cohort Study. Diabetes Care 2025;48(3):e20-e21
Panagoulias GS et al. Dryness of Foot Skin Assessed by the Visual Indicator Test and Risk of Diabetic Foot Ulceration: A Prospective Observational Study. Front Endocrinol (Lausanne) 2020;11:625
Rasmussen VF et al. Impact of Neuropathy on Well-Being and Health-Related Quality of Life in Adolescents with Type 1 Diabetes. J Diabetes Res 2025;2025:6620727
Raje S. et al. Effect of exercise training on cardiac autonomic function in type 2 diabetes mellitus: a systematic review and meta-analysis. Systematic Reviews 2025:14(1):34