Azidose fördert Überleben und Wachstum von Krebszellen

Krebszellen verändern die Form ihrer Mitochondrien (gelb), in saurer Umgebung. Das zusammengesetzte Bild zeigt zwei Zellen unter neutralem pH-Wert (links) im Vergleich zu einer sauren Umgebung (rechts), in der die Mitochondrien längliche Netzwerke bilden. Quelle: Groessl/DKFZ

Mangelnde Durchblutung und gesteigerte Stoffwechselaktivität sorgen in Tumoren häufig für unwirtliche Bedingungen: Typisch sind ein Mangel an Sauerstoff sowie Glukose und anderen Nährstoffen, die Anreicherung teils schädlicher Stoffwechselprodukte und eine Ansäuerung des Tumormilieus. Experten sprechen von einer Azidose.

Ein Forschungsteam vom Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) und vom Forschungsinstitut für Molekulare Pathologie (IMP) in Wien hat nun entdeckt, dass v. a. die Azidose entscheidend dafür ist, wie Bauchspeicheldrüsenkrebszellen ihren Energiestoffwechsel anpassen, um unter diesen widrigen Bedingungen zu überleben. Die Ergebnisse wurden in der Fachzeitschrift „Science“ veröffentlicht.

Gene einzeln ausgeschaltet

Das Team unter der Leitung von Dr. Wilhelm Palm vom DKFZ und Dr. Johannes Zuber vom IMP schaltete dazu zunächst in Bauchspeicheldrüsenkrebszellen mithilfe der Genschere CRIPR-Cas9 systematisch jedes Gen einzeln aus. Dann verfolgten die Wissenschaftler, wie sich der jeweilige Verlust unter definierten Stressbedingungen auf Überleben und Wachstum der Zellen auswirkte.

Diese Experimente fanden zunächst in der Kulturschale statt. Anschließend wurden die mit diesem Ansatz identifizierten Gene gezielt in Mäusen mit Pankreaskrebs ausgeschaltet und die Auswirkungen mit den Ergebnissen aus der Zellkultur verglichen.

Energiehaushalt wird an die Tumorazidose angepasst

Die vergleichende Analyse von Hunderten solcher Gene, die für das Krebszellwachstum unter Stress­bedingungen relevant sind, zeigte überraschend, dass der Stoffwechsel von Krebszellen im Mausmodell stark durch Anpassungen ihres Energiehaushalts an die Tumor­azidose geprägt war. Der Stoffwechsel von Krebszellen innerhalb eines Tumors unterscheidet sich deutlich von dem in herkömmlicher Zellkultur und lässt sich am ehesten durch eine saure Umgebung nachbilden.

„Es ist nicht allein der Sauerstoffmangel oder die Nährstoffarmut, die den Stoffwechsel im Tumor verändern – es ist v. a. die Ansäuerung des Tumormilieus“, erklärt Palm. Die Azidose hilft den Krebszellen, von einer zuckerbasierten Energiegewinnung (Glykolyse) umzuschalten auf eine effizientere Energieproduktion durch Atmung in den Mitochondrien.

Mitochondrien-Netzwerke unter sauren Bedingungen

Die Forscher konnten zeigen, dass der saure pH-Wert tiefgreifende Veränderungen in den Mitochondrien auslöst. Normalerweise liegen sie in Krebszellen als kleine, fragmentierte Strukturen vor. Unter sauren Bedingungen verschmelzen sie jedoch zu ausgedehnten Netzwerken, die deutlich leistungsfähiger sind.

Möglich wird dies, weil Azidose die Aktivität des Signalproteins ERK hemmt. Eine Überaktivierung dieses Signalwegs sorgt in Krebszellen normalerweise dafür, dass Mitochondrien immer wieder in viele kleine Fragmente geteilt werden. Bleibt diese Fragmentierung in Folge der Tumorazidose aus, können Mitochondrien verschiedene Nährstoffe effizienter zur Energieproduktion nutzen. Wird durch einen genetischen Eingriff unterbunden, dass die Mitochondrien verschmelzen, so verlieren Krebszellen ihre Stoffwechselflexibilität und wachsen im saurem Milieu eines Tumors deutlich schlechter.

„Unsere Ergebnisse zeigen, dass Azidose nicht einfach ein Nebenprodukt des Tumorstoffwechsels ist, sondern ein wichtiger Schalter, der die Energieversorgung und Überlebensstrategien der Krebszellen steuert“, erklärt Ko-Studienleiter Zuber. Langfristig könnten diese Erkenntnisse neue Ansatzpunkte für Therapien eröffnen, die gezielt in den Energiestoffwechsel von Tumoren eingreifen.