Barmer-Kritik: GKV-Rekordausgaben kommen nur teilweise an

Grafik: Barmer-Heilmittelreport

Laut Barmer Heilmittelreport profitieren Therapeuten trotz hoher Ausgaben nicht ausreichend von den Beiträgen der Gesetzlichen Krankenversicherung. Der Bundesverband selbstständiger Physiotherapeuten weist dies in einer Stellungnahme deutlich zurück.

Die Gesetzesänderungen im Heilmittelbereich haben zu einem massiven Kostenanstieg in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) geführt und dennoch zentrale Ziele verfehlt. Denn obwohl die GKV-Ausgaben für Heilmittel binnen weniger Jahre um bis zu 80 Prozent gestiegen sind, haben angestellte ambulante Therapeutinnen und Therapeuten davon nur unzureichend profitiert. Das geht aus dem Heilmittelreport 2024 der Barmer hervor.

Dieser hat Erträge der Praxen und Gehälter angestellter ambulanter Therapeuten zwischen den Jahren 2017 und 2022 untersucht. Demnach sind die Umsätze je Rezept in Physiotherapie-, Ergotherapie- und Logopädie-Praxen im Schnitt zwischen 53 und 59 Prozent angewachsen. Im selben Zeitraum haben sich die Gehälter der angestellten ambulanten Therapeuten in Vollzeit nach Zahlen der Bundesagentur für Arbeit zwischen 28 und 34 Prozent erhöht.

„Die Ausgaben der Gesetzlichen Krankenkassen für Heilmittel sind innerhalb weniger Jahre mehr als doppelt so stark gestiegen wie die GKV-weiten Aufwendungen insgesamt. Trotz dieser immensen Steigerung haben sich die Einkommen angestellter Therapeutinnen und Therapeuten nur unzureichend verbessert. Künftig sind zusätzliche Kontrollmechanismen erforderlich, damit die Gelder auch ankommen“, sagt der Vorstandsvorsitzende der Barmer, Prof. Christoph Straub. Gerade in der aktuell schwierigen Finanzsituation der GKV sei es wichtiger denn je, dass die Mittel ihren vorgesehenen Zweck erfüllten.

Gehaltsabstände wurden kaum reduziert

Das Heil- und Hilfsmittelstärkungsgesetz im Jahr 2017 und das Terminservice- und Versorgungsgesetz im Jahr 2019 hätten Vorgaben für ein stetiges Vergütungsplus bei den angestellten Therapeuten geschaffen. Dadurch hätten die Gesetzlich Versicherten allein im vergangenen Jahr 5,3 Milliarden Euro mehr für fast die gleiche Menge an Heilmittel-Leistungen aufgebracht als im Jahr 2017. Doch wenn die Gelder nur vermindert bei den Therapeuten ankämen, würden sie als ein wichtiges Mittel gegen den Fachkräftemangel nicht helfen, so Barmer-Chef Straub weiter.

Quelle: Barmer-Heilmittelreport 2024

Zudem hätten sich die Gehaltsabstände zwischen angestellten Therapeuten im ambulanten und stationären Bereich kaum verringert. Während Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten in Krankenhäusern im Jahr 2017 im Schnitt 943 Euro im Monat mehr verdienten, waren es im Jahr 2022 immer noch 823 Euro. Damit hat sich der Abstand bei den Gehältern im Vergleich zu Physiotherapeuten in Praxen nur um 120 Euro im Monat verringert. Bei Therapeuten in der Ergotherapie und Logopädie waren es 111 Euro beziehungsweise 118 Euro. Bei einer angemessenen Verteilung der zusätzlichen Gelder durch die Praxen hätte sich der Gehaltsabstand zwischen stationären und ambulanten Therapeuten hingegen je nach Bereich um 688 bis 703 Euro reduziert.

„Das Gehaltsniveau zwischen Therapeutinnen und Therapeuten im Krankenhaus und in der Praxis hätte sich längst viel stärker angleichen müssen. Es ist das notwendige Geld im System für eine dauerhaft ausfinanzierte vollständige Angleichung bei den Therapeuten-Gehältern“, so Straub. Allein im Jahr 2024 bekämen die Heilmittel-Praxen gegenüber dem Jahr 2017 zusätzlich voraussichtlich rund sechs Milliarden Euro an Versichertengelder durch Preissteigerungen.

Deutliche regionale Unterschiede

Wie aus dem Heilmittelreport mit Blick auf Zahlen der Bundesagentur für Arbeit weiter hervorgeht, gibt es erhebliche regionale Unterschiede zwischen den Bundesländern bei der Gehaltsstruktur angestellter Therapeuten. Am größten war der Einkommensunterschied zwischen dem ambulanten und stationären Bereich im Jahr 2022 in Sachsen-Anhalt mit monatlich 905 Euro, gefolgt von Nordrhein-Westfalen mit 847 Euro. Am geringsten war die Spanne in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern mit 570 beziehungsweise 571 Euro.

Quelle: Barmer Heilmittelreport 2024

Zugleich sind die Gehaltsunterschiede zwischen ambulant und stationär angestellten Therapeuten in den Jahren von 2017 bis 2022 teils nur minimal gesunken. In Hessen und Schleswig-Holstein verringerte sich der Gehaltsunterschied um 6,2 beziehungsweise 6,5 Prozent. Am stärksten fiel die Angleichung in Niedersachsen und Rheinland-Pfalz mit 23,3 und 21,9 Prozent aus. In Sachsen hat sich der Gehaltsabstand sogar noch um monatlich 70 Euro vergrößert.

„In allen Bundesländern haben die Praxen noch ganz erheblichen Nachholbedarf bei der Anpassung der Gehälter für angestellte Therapeutinnen und Therapeuten. Hier sind die Praxen in der Pflicht, den vorhandenen Spielraum auszuschöpfen“, fordert der Barmer-Chef.

IFK-Stellungnahme: „Politisch motivierte Falschbehauptungen“

Der Bundesverband selbstständiger Physiotherapeuten (IFK) kritisiert den aktuellen Heilmittelreport deutlich und spricht von einer „Reihe der Falschbehauptungen” der er „deutlich zurückweist“. Laut Barmer Heilmittelreport seien die Gehälter der ambulant angestellten Therapeuten in der Physiotherapie im Zeitraum von 2017 bis 2022 nach Zahlen der Bundesagentur für Arbeit um 29,4 Prozent erhöht worden. Tatsächlich liegen dem IFK zufolge aber offizielle Zahlen der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW) vor, die sämtliche Gehaltszahlen der in Physiotherapiepraxen Beschäftigten abbilden und einen Wert von 43,0 Prozent für den betrachteten Zeitraum nachweisen.

Die Umsatzsteigerungen in der Physiotherapie beziffere der Heilmittelreport von 2017 bis 2022 mit 57,8 Prozent. Dabei ist laut dem Bundesverband IFK jedoch zu berücksichtigen, dass nur rund 70 Prozent der Gesamtumsätze einer Physiotherapiepraxis durch Einnahmen aus der GKV resultieren. Der Gesamtumsatz in der Physiotherapie sei daher im Zeitraum von 2017 bis 2022 lediglich um ca. 40,5 Prozent gestiegen (70 Prozent von 57,8 Prozent).

Zudem vergleich de Heilmittelreport die Entwicklung des Rezeptwertes (Umsatz je physiotherapeutischer Verordnung) mit den vermeintlichen Gehaltssteigerungen der angestellten Physiotherapeuten. Daraus werde die Behauptung abgeleitet, die angestellten Therapeuten in den Praxen seien nicht angemessen an den Vergütungssteigerungen der letzten Jahre beteiligt worden, moniert der IFK weiter. „Der Heilmittelreport zieht für diese Berechnungen fälschlich Zahlen des Entgeltatlas der Bundesagentur für Arbeit heran. Die Barmer ignoriert dabei bewusst, dass für den Nachweis der tatsächlich gezahlten Gehälter in den Heilmittelberufen laut Gesetz die entsprechende Statistiken der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege heranzuziehen sind, die eine deutlich höhere Steigerung der Gehälter nachweisen”, so der Bundesveband, der die Aussagen des Barmer Heilmittelreports als „falsche Behauptungen“ und „politisch motivierte Ableitungen zur wirtschaftlichen Situation der Heilmittelpraxen und ihrer Mitarbeiter“ bezeichnet.

Hintergründe zum Barmer-Heilmittelreport 2024

Für den Report wurden Gehaltsstatistiken 2017 bis 2022 der Bundesagentur für Arbeit herangezogen (web.arbeitsagentur.de/entgeltatlas/). Diese sind öffentlich zugänglich und bieten eine vollständige bundesweite Datenerhebung sowie für Vollzeitangestellte eine Aufgliederung bis auf Landesebene. Zudem können die Gehälter ambulant und stationär tätiger angestellter Therapeuten unterschieden werden.