Begehrte Ressource Arzt

Politische Diskussionsrunde beim 5. SpiFa-Fachärztetag mit Axel Gehrke, Kirsten Kappert-Gonther, Tino Sorge, Jan Scholz (Moderator), Dirk Heinrich, Sabine Dittmar, Christine Aschenberg-Dugnus und Achim Kessler (v.l.) Foto: Andreas Schoelzel/SpiFa

Sollten die Krankenkassen für die von ihnen ausgelöste Bürokratie selbst bezahlen? Wie kann es gelingen, auch die Patienten in die Ressourcenverantwortung einzubinden? Neben viel Kritik am neuen Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) brachte eine politische Diskussionsrunde auf dem 5. Fachärztetag am 5. April in Berlin auch ein paar interessante Ideen hervor.

„Auslaufmodell Vertragsarzt?! – Sind ärztliche Strukturen noch zeitgemäß?“, fragte sich die Runde, bestehend aus Tino Sorge (CDU), Sabine Dittmar (SPD), Dr. Kirsten Kappert-Gonther (Grüne), Dr. Achim Kessler (Linke), Christine Aschenberg-Dugnus (FDP) und Prof. Axel Gehrke mit Dr. Dirk Heinrich, dem Vorstandsvorsitzenden  des Spitzenverbandes Fachärzte Deutschlands (SpiFa) als Gastgeber.

Dittmar hat die Entwicklung als Hausärztin bereits längere Zeit aus nächster Nähe beobachtet und schließt daraus: „Die ambulante Versorgung wird sich in ihrer Struktur stark verändern, davon bin ich schon seit geraumer Zeit überzeugt.“ Junge Ärzte wollen heute lieber im Team denn als EinzelkämpferIn arbeiten, glaubt sie. „Und sie wollen auch strukturierte Arbeitszeiten, geplanten Urlaub, darauf muss die Versorgung reagieren.“ Auch Kappert-Gonther hat als Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie in niedergelassener Einzelpraxis direkte Erfahrung mit dem Gesundheitssystem. Sie bezweifelt, dass die Niederlassung per se ein Auslaufmodell darstellen soll, pflichtet ihrer hausärztlichen Kollegin aber bei, dass die jungen Ärzte andere Ansprüche haben als früher und vermehrt die Kooperation mit anderen Gesundheitsberufen suchen. Kappert-Gonther begrüßt diese Entwicklung. „Ich glaube nicht, dass wir mit der Ressource Arzt so umgehen können wie bisher.“ Den Trend sieht sie darin, dass bestimmte Tätigkeiten auf andere, mit den Ärzten kooperierende Berufe abgegeben werden. „Das nimmt uns Ärzten ja nichts weg“, ist sie überzeugt.

Bürokratie und Misstrauenskultur

Zu dem zunehmenden Trend, sich als Arzt anstellen zu lassen, stellte Aschenberg-Dugnus die Frage, was denn die jungen Ärzte von einer Niederlassung abhält, und erntete Applaus aus dem Publikum. „Zeitplausibilitätsprüfungen, Budgets, Regresse, QA-Management hier, Praxisbegehung da – und dann wundern wir uns?“, fragte sie rhetorisch. Für die Rechtsanwältin aus Schleswig-Holstein sind die Rahmenbedingungen und die Bürokratie die Hauptgründe, die eine Niederlassung als Arzt für junge Menschen unattraktiv machen. Als Mittel dagegen empfahl sie, den Bürokratieaufwand zu bepreisen. „Dann würden die Krankenkassen schon zusehen, wie viel sie verlangen, denn sie müssen es auch bezahlen.“ Das TSVG dagegen verursacht in ihren Augen nur mehr Bürokratie – erneuter Beifall.

Beifall, wenn auch schamhaft verhaltenen, gab es ebenfalls für AfD-ler Gehrke. Der Internist und emeritierte Professor für Physikalische Medizin und Rehabilitation vertrat nämlich viele Ansichten, die in ähnlicher Weise in den Äußerungen von Ärzteverbänden zu hören sind. Gehrke sieht das Gesundheitswesen mit Spahn gerade an einem Scheideweg zwischen Marktwirtschaft und Planwirtschaft. Wie die Politik derzeit mit der ärztlichen Selbstverwaltung umgehe, nämlich „mit Zuckerbrot und Peitsche“, bezeichnete Gehrke als „bodenlose Überheblichkeit“: „Die Ärzte brauchen kein Zuckerbrot, sie wollen freie Marktwirtschaft und einen Abbau der Regulierungswut, der Bürokratie und – das ist das Entscheidendste – der Misstrauenskultur.“ Gehrke bemängelte, die Ärzteverbände böten eine „Bresche der Schwäche“ dar, in welche die Politik hineinspringe.

Arztsitze im Visier des Kapitals

Die Auswirkungen einer ungebremsten Marktwirtschaft sind es aber auch, die vielen Ärzten derzeit Bauchschmerzen bereiten. Es war der Vertreter der Linken, der das Problem in der Berliner Runde als erster ansprach: „Ich befürchte, dass sich die Rahmenbedingungen bei der ambulanten Versorgung gravierend verschlechtern werden. Mein Stichwort sind die sogenannten Private Equity Fonds. Das sind Kapitalgesellschaften, deren Zweck es gar nicht mehr ist, Gesundheitseinrichtungen zu betreiben, um die Versorgung sicherzustellen, sondern deren einziger Zweck ist, den Wert eines Unternehmens, das sie aufkaufen, zu steigern und es spätestens nach sechs Jahren wieder mit Gewinn zu verkaufen.“ Untersuchungen haben Kessler zufolge gezeigt, dass Private Equity Fonds in den letzten beiden Jahren zunehmend Arztsitze aufgekauft haben, „mit der Folge, dass die Preise steigen, und wenn man weiß, das 25 Prozent der niedergelassenen Ärzte über 60 sind und sich vorstellt, die Arztsitze werden alle aufgekauft, dann haben wir eine völlig umstrukturierte ärztliche Versorgung. Dann werden wir angestellte Ärzte haben, die den Heuschrecken ausgeliefert sein werden. Wir müssen jetzt eingreifen, sonst wird der ambulante Sektor Stück für Stück aufgekauft werden.“ Kessler fordert als ersten Schritt ein MVZ-Register, in dem die Besitzverhältnisse transparent sind.

„Hier finden sich die Ärzte einmal in der Forderung der Linken wieder“, bemerkte SpiFa-Chef Heinrich treffend, denn sein Verband hat eine ähnliche Vorstellung: „Wir brauchen ein MVZ-Transparenzgesetz, damit der Patient weiß, wem die Struktur gehört, in der er behandelt wird.“ Ein weiterer Vorschlag besteht darin, Arztsitze verfallen zu lassen, wenn ein MVZ zu früh weiterverkauft würde.

CDU-Mann Sorge reagierte stattdessen mit dem bekannten Reflex und warf Kessler „Klassenkampfattitüden“ vor. Zu der Veränderung in der Versorgung würden auch verschiedene Finanzierungsmodelle zählen. Gerade auf dem Land sei man oft froh, wenn von außen Geld investiert würde. Dennoch stimmte er zu, dass es nicht sein darf, dass ein niedergelassener Arzt gar keinem Zugang mehr zum Markt hätte.

Ärzte steuern, Patienten steuern

Ein Kritikpunkt am TSVG war, dass durch die Regelungen zu Neupatienten und offenen Sprechstunden die chronisch kranken Patienten, die regelmäßige Betreuung brauchen, ins Hintertreffen geraten könnten (vgl. Interview mit Dr. Axel Schroeder, Präsident des Berufsverbandes der Deutschen Urologen, Urologische Nachrichten 3/2019, S. 3). Psychiaterin Kappert-Gonther hob dieses Problem beim SpiFa-Tag hervor: „Die schwer chronisch Kranken sind generell in Deutschland diejenigen, mit denen man nicht viel Geld verdienen kann und die tendenziell nicht so gut versorgt werden, wie sie könnten.“ Das TSVG verschlimmert ihrer Ansicht die Situation noch. Arztkollegin Dittmar von der SPD sorgte für Gemurmel im Publikum und Widerspruch von ihrer Grünen-Kollegin mit der Idee, man könne Medikamente eventuell auch im halbjährlichen Rhythmus oder von den Hausärzten weiterverschreiben lassen, um Arzttermine zu sparen. „Man muss doch den Patienten sehen!“, war aus dem Publikum zu hören. Auch Heinrich betonte, dass chronische Erkrankungen sich verändern und verschlimmern können und kündigte an, die Patienten in so einem Fall entbudgetiert in der offenen Sprechstunde zu behandeln.

Mit dem TSVG versucht der Gesetzgeber in gewisser Weise, die Ärzte zu steuern. Doch wer steuert die Patienten? Sorge forderte, die Patienten müssten dafür sensibilisiert werden, was die ärztliche Behandlung finanziell und zeitlich kostet, und plädierte dafür, dass Patienten mit Bagatellfällen in der Notaufnahme bezahlen sollten: „Wir brauchen Anreizsysteme, die dazu führen, dass man als Patient einmal genauer nachdenkt.“ Die Vertreterin der Grünen dagegen findet eine „Eintrittsgebühr“ in die Notaufnahme „richtig falsch“.  Es sei stattdessen überfällig, das Notfallsystem selbst zu reformieren. „Wir brauchen endlich eine integrierte Leitstelle, einen gemeinsamen Tresen und eine vernünftige Triage.“

Die Ideen zur Steuerung beziehen sich gewöhnlich darauf, dass zu viele Patienten zum Arzt kommen. Über den Fall, dass der Patient nicht kommt, wird weniger nachgedacht, dabei sind Ärzte mit dieser Situation häufig konfrontiert Heinrich richtete eine klare Forderung an die Anwesenden: „Schaffen Sie eine gesetzliche Grundlage dafür, dass wir die versäumten Termine den Patienten in Rechnung stellen können!“ – Applaus. Der HNO-Arzt führte als Beispiel eine Schwindeluntersuchung an, für die Zeit und Ressourcen reserviert werden müssen. Wenn der Patient dann ohne Absage fern bleibt, bedeute dies nicht nur einen finanziellen Verlust, sondern auch ungenutzte Arztzeit. Er beklagte die „Zalando-Mentalität“ nach dem Motto „Das kann ich wieder zurückschicken“. Der Patient müsse in die Ressourcenverantwortung einbezogen werden, ist der SpiFa-Chef überzeugt.

(ms)