Bertelsmann Stiftung: Reform des Medizinstudiums darf nicht scheitern

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Die Approbationsordnung in Deutschland ist nicht mehr zeitgemäß. Doch die zeitnahe Verabschiedung der Reform steht auf der Kippe: Eine Mini-Reform statt des großen Wurfes beklagt die Bertelsmann Stiftung.

Mehr chronische Erkrankungen, mehr ambulante und vernetzte Versorgung, mehr digitale und telemedizinische Anwendungen, neue Diagnose- und Therapieverfahren: Die Anforderungen an den Arztberuf haben sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten erheblich verändert. Trotzdem wird in Deutschland noch immer nach der Approbationsordnung aus dem Jahr 2002 ausgebildet. Eine Erneuerung des Medizinstudiums gilt als überfällig, um die künftigen Ärztinnen und Ärzte auf eine zeitgemäße Versorgung der Patientinnen Patienten vorzubereiten.

Doch nicht die angestrebte große Reform, sondern nur wenige Teilaspekte sollen noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet werden. Das geht aus einem neuen Referentenentwurf des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) hervor. Daher appelliert die Bertelsmann Stiftung an die Politik, die novellierte Approbationsordnung bald und vor allem in ihrer Gesamtheit ins Ziel zu führen. “Die Reform des Medizinstudiums darf nicht scheitern. Die Ärztinnen und Ärzte von morgen müssen bestmöglich für die Gesundheitsversorgung der Zukunft ausgebildet werden. Das ist für uns alle von hoher Bedeutung”, sagt Brigitte Mohn, Vorstand der Bertelsmann
Stiftung.

Mehr Praxisbezug notwendig

Über die inhaltliche Neuausrichtung des Medizinstudiums herrscht in Politik, Gesundheitsversorgung und Wissenschaft weitgehend Einigkeit. Im Referentenentwurf des BMG vom November 2020 steht Kompetenzorientierung statt des bloßen Faktenwissens als übergeordnetes Ziel im Fokus. Das Studium soll praxisnäher und fächerübergreifender werden, einen größeren Fokus auf die Allgemeinmedizin legen sowie mehr wissenschaftliche und kommunikative Kompetenzen vermitteln.

Insbesondere die Kommunikation spielt eine zentrale Rolle für die ärztliche Tätigkeit, denn im Lauf des Berufslebens führen Ärzte und Ärztinnen im Schnitt rund 200.000 Gespräche mit Patientinnen und Patienten. Der große Entwurf sieht zudem vor, dass Medizinstudierende früher als bisher Erfahrungen im Umgang mit Patientinnen und Patienten sammeln. Der neue Referentenentwurf greife diesen Paradigmenwechsel nicht mehr auf, sondern beinhalte nur einige wenige Punkte, etwa zum Öffentlichen Gesundheitsdienst und zu digitalem Unterricht, kritisiert die Bertelsmann Stiftung. Die große Reform soll in der nächsten Legislaturperiode erneut verhandelt werden.

Bereits 2017 hatten die Gesundheits- und Bildungsminister:innen auf Bundes- und Landesebene mit dem „Masterplan Medizinstudium 2020“ eine Reform von Lehre und Prüfung beschlossen. Ein wichtiger Teil davon sind neue Prüfungsformate. Daran hat das staatliche Institut für Medizinische und Pharmazeutische Prüfungsfragen (IMPP) in den vergangenen Jahren, unter anderem mit Unterstützung der Bertelsmann Stiftung, gearbeitet. Die jetzt bekannt gewordene, vorläufige Suspendierung der IMPP-Direktorin Jana Jünger könnte daher nach Einschätzung der Bertelsmann Stiftung einen empfindlichen Rückschlag für die Einführung der neuen Approbationsordnung bedeuten.

“Diese Reform ist eine Jahrhundertreform”

“Diese Reform ist eine Jahrhundertreform”, betont Prof. Dr. Ferdinand Gerlach vom Institut für Allgemeinmedizin der Universität Frankfurt am Main, „sie sollte nicht kurz vor Verabschiedung verwässert werden.“ Doch der Bundesrat meldete Anfang Mai gegenüber dem BMG Nach-besserungsbedarf zum ersten Referentenentwurf an, was nun zu einem gestückelten Reformprozess führen wird.

Einzelne Bundesländer störten sich unter anderem an den Mehrkosten infolge der neuen Approbationsordnung. Aktuell wendet der Staat pro vollständig abgeschlossenem Medizinstudium rund 300.000 Euro auf. Der zusätzliche Ausgabenbedarf je Studienplatz beträgt Schätzungen zufolge zwischen vier und 20 Prozent.

“Bund und Länder sollten sich endlich auf eine Finanzierung einigen und zugleich die medizinischen Fakultäten in die Pflicht nehmen, einen Teil der Mehrkosten durch interne Anpassungen und Umverteilungen zu übernehmen”, so Eckhard Volbracht, Gesundheitsexperte der Bertelsmann Stiftung. Darüber hinaus gibt es Bedenken seitens der Länder, die vorgesehene Regulierung und Standardisierung der Prüfungen würden einen zu starken Eingriff in die Freiheit der Lehre darstellen. Jedoch hat der Bund die Pflicht, die Qualitätsanforderungen an die medizinische Ausbildung unabhängig vom Studienort zu definieren, um eine hochwertige Versorgung und die Patientensicherheit zu garantieren, betont die Bertelsmann Stiftung.

Eine baldige Verabschiedung der gesamten Reform würde nicht nur politische Klarheit bringen, sondern es den medizinischen Fakultäten erleichtern, sich in einer Übergangsphase auf die neuen Anforderungen vorzubereiten. Neue Lehrinhalte müssen überprüft und abgestimmt, das Lehrpersonal und die Prüferinnen und Prüfer geschult werden.

“Die Novelle der Approbationsordnung ist überfällig – sie passt das Medizinstudium von gestern an die Medizin von morgen an”, sagt Lucas Thieme, Präsident der Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland. “Am Ende sollte vor allem eines im Vordergrund stehen: Die bestmögliche Ausbildung unserer zukünftigen Ärztinnen und Ärzte.”

Zusatzinformationen: Das Institut für Medizinische und Pharmazeutische Prüfungsfragen (IMPP), eine rechtsfähige Anstalt des öffentlichen Rechts, erstellt unter anderem die Prüfungsaufgaben in den Studienfächern Medizin, Pharmazie und Psychotherapie. Ziel des 2017 gestarteten, von der Bertelsmann Stiftung unterstützten IMPP-Projekts war es, neue Prüfungsformate zur gemeinsamen Entscheidungsfindung und ärztlichen Dokumentation für die mündlich-praktische Abschlussprüfung zu erarbeiten. Daran beteiligt waren unter anderem Expertinnen und Experten verschiedener Gesundheitsfachberufe, die Initiative “Was hab‘ ich?” gGmbH und die Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland.