Besser als Lebensstilintervention: Magenbypass erhöht kardiopulmonale Leistungsfähigkeit und Lebensqualität18. Juli 2023 Foto: ©heike114 – stock.adobe.com Für manche ist sie der letzte Ausweg aus dem krankhaften Übergewicht: Die operative Magenverkleinerung. Dass mit dem Eingriff nicht nur das Abnehmen sehr viel besser klappt als mit einer geleiteten Lebensstilintervention, sondern sich auch die kardiopulmonale Leistungsfähigkeit und Lebensqualität deutlich verbessert, zeigt eine aktuelle Studie aus Würzburg. In der Würzburger Adipositas-Studie (WAS) vergleicht ein interdisziplinäres Team am Universitätsklinikum Würzburg die Effekte einer Magenbypass-Operation gegenüber einer intensiven und psychotherapiegestützten Lebensstilintervention. Es ist weltweit die erste randomisierte Studie zur Adipositas-Chirurgie, in der als Endpunkte die kardiopulmonale Leistungsfähigkeit sowie die Lebensqualität definiert wurden. Die eindrucksvollen Ergebnisse wurden jetzt in der wissenschaftlichen Zeitschrift „Metabolism“ veröffentlicht. Der Leidensdruck von Menschen mit starkem Übergewicht ist groß. Neben der Stigmatisierung und eingeschränkten Lebensqualität kommen Begleiterkrankungen wie Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen hinzu. Die bariatrische Chirurgie kann Erleichterung schaffen und das Gesamtüberleben verbessern. In WAS wurden nun erstmals die positiven Effekte einer Roux-en-Y-Magenbypass(RYGB)-Operation auf die Lebensqualität und Herz-Lungen-Funktion gegenüber einer intensiven Lebensstilintervention in einer randomisierten Studie gezeigt. Die Ergebnisse hatte das interdisziplinäre Team des Uniklinikums Würzburg zwar erwartet, aber spektakulär sei laut WAS-Team, dass diese erstmals formal belegt werden konnten. „Zur Adipositas-Chirurgie gibt es nur eine Handvoll randomisierter Studien, da die Rekrutierung sehr schwierig ist“, berichtet Prof. Martin Fassnacht, Leiter des Lehrstuhls Endokrinologie und Diabetologie in der Universitätsmedizin Würzburg. „Entweder wollen die Patientinnen und Patienten die Operation unbedingt, oder sie lehnen sie aus Angst vor dem irreversiblen Eingriff und den damit verbundenen Lebensveränderungen ab. Da möchten nur wenige mittels Zufallsmechanismus einer Gruppe zugeordnet werden. Darüber hinaus muss bei jedem Studienteilnehmenden eine Indikation sowie eine Kostenzusage der Krankenkasse für einen bariatrischen Eingriff vorliegen.“ Unter anderem deshalb hat es eine randomisierte Studie zur Adipositas-Chirurgie mit den Endpunkten Lebensqualität und kardiopulmonaler Belastungsfähigkeit bisher noch nicht gegeben. Man muss bereit sein für eine Roux-en-Y-Magenbypass-Operation Dr. Ann-Cathrin Koschker, Oberärztin der Endokrinologie am UKW, hat es geschafft, insgesamt 60 Patientinnen und Patienten mit schwerem Übergewicht für die Studie zu randomisieren und sie über viereinhalb Jahre in der Studie betreut. Die Mehrzahl der Studienteilnehmenden (88 %) war weiblich, der durchschnittliche Body-Mass-Index (BMI) lag bei 48 kg/m2. Nach einer sechs- bis zwölfmonatigen Vorlaufphase erhielten 22 Studienteilnehmende einen RYGB und 24 eine psychotherapiegestützte Lebensstilintervention (PELI). Bei der nach dem Schweizer Chirurgen César Roux benannten Operationsmethode wird der Magen verkleinert und die Nahrung durch eine künstlich angelegte, Y-förmige Verbindung an großen Teilen des Magens und des Dünndarms vorbeigeleitet. Als Folge des Eingriffs kann weniger Nahrung aufgenommen werden und der Darmhormonhaushalt ändert sich massiv. „Bestimmte Nahrungsmittel wie Fleisch und Süßigkeiten werden dann oft nicht mehr gut vertragen“, erklärt Koschker die „Nebenwirkungen“ eines solchen Eingriffes. „Nach einem Jahr vertragen zwar viele wieder vieles, aber eben nicht alle alles, und man weiß vorher nicht, zu welcher Gruppe man gehört. Man muss wirklich bereit sein für diese Umstellung.“ Gewichtsabnahme von durchschnittlich 136 kg auf 89 kg WAS hat den beachtlichen Gewichtsverslust nach dem chirurgischen Eingriff noch einmal eindrucksvoll belegt. „Während die Teilnehmenden der PELI-Gruppe durch die Intervention mit ausführlicher Ernährungsberatung und engmaschiger psychotherapeutischer Begleitung immerhin im Schnitt zwei Kilogramm innerhalb eines Jahres abnahmen, verloren die Probandinnen und Probanden mit Magenbypass 34 Prozent ihres Körpergewichts“, schildert Koschker. Im Schnitt waren die Teilnehmenden in der chirurgischen Gruppe 1,67 Meter groß, wogen zu Beginn 136 Kilogramm und brachten ein Jahr nach der Operation 47 Kilogramm weniger auf die Waage. Ihr BMI sank von 49 auf 31 kg/m2. Bessere Sauerstoffaufnahme, Fitness und Lebensqualität Und tatsächlich hat sich der eklatante Gewichtsverlust in der RYGB-Gruppe sichtlich positiv auf die Lebensqualität, Herzfunktion und Begleiterkrankungen ausgewirkt. In der Echokardiographie habe man gesehen, die Masse des Herzmuskels im Verlauf eines Jahres um 32 Gramm zurückging, berichtet Prof. Stefan Störk, Leiter der Klinischen Forschung am Deutschen Zentrum für Herzinsuffizienz Würzburg (DZHI). „Das war ein unerwartet starker Effekt“, meint Störk, der die Studie gemeinsam mit Fassnacht geleitet hat. Die Abnahme der linksventrikulären Herzmuskelmasse hat sich wiederum auf die Leistungsfähigkeit ausgewirkt. Bei der Spiroergometrie auf dem Laufband konnten die RYGB-Operierten ihre Sauerstoffaufnahme um 4,3 ml/min/kg steigern. Beim 6-Minuten-Gehtest schafften sie 44 Meter mehr als noch vor der Operation. Die PELI-Gruppe fühlte sich nach der intensivierten Lebensstilintervention ebenfalls etwas fitter, legte im Schnitt sechs weitere Meter innerhalb der vorgegebenen sechs Minuten zurück und berichtete eine leicht verbesserte Lebensqualität. Bei den Operierten jedoch fiel diese Verbesserung mit +40 Punkten auf der Physical Functioning Scale (Fragebogen zum Gesundheitszustand SF-36), wesentlich deutlicher aus als in der PELI-Gruppe mit +10 Punkten. „Damit war die Lebensqualität der Operierten praktisch wieder so gut wie die von gesunden Normalpersonen“, konstatiert Dr. Bodo Warrings, der die psychotherapeutische Intervention begleitet hat. „Wichtig ist aber, dass die Operation in einen Gesamt-Therapieplan mit Lebensstilinterventionen integriert wird“, fügt der Psychiater und Psychotherapeut am Zentrum für Psychische Gesundheit hinzu. Effekte haben klinische Relevanz „Die Größe der beobachteten Effekte deutet übereinstimmend darauf hin, dass diese Veränderungen klinisch relevant sind“, betont Fassnacht. Beeindruckend seien zum Beispiel die Auswirkungen auf den Blutdruck nach dem chirurgischen Eingriff und dem damit einhergehenden Gewichtsverlust: obwohl die RYGB-Gruppe nach der OP weniger Blutdruckmedikamente als die PELI-Gruppe einnahm, hatte sie niedrigere Blutdruckwerte. Viele Belastungen weniger „15 Patientinnen und Patienten aus der PELI-Gruppe nahmen übrigens das Angebot war und ließen sich nachträglich operieren“, bemerkt Koschker. „Und auch bei ihnen bestätigten sich ganz klar die positiven Effekte der bariatrischen Chirurgie.“ Wie bei Heike R. (42). Die Mutter von drei Kindern und einem damaligen Ausgangsgewicht von 135 Kilogramm war zunächst in der PELI-Gruppe und fühlte sich dort schon sehr gut aufgehoben mit all ihren Problemen, die ihr Übergewicht, mit sich gebracht hatte – von Bluthochdruck, Herz-Kreislauf-Beschwerden und beginnendem Diabetes über Kniegelenksschmerzen bis hin zur psychischen Belastung. Jedes Modul sei wertvoll gewesen, sagt sie rückblickend, aber vor allem die psychotherapeutische Betreuung habe ihr gutgetan. Eine Anlaufstelle zu haben, um „aufzuräumen“, sei von immenser Bedeutung. Während der intensiven Lebensstilintervention hat sie innerhalb eines Jahres zwölf Kilogramm abgenommen. Das war schon beachtlich, ihr jedoch zu wenig und vor allem zu schwankend. „Der Magenbypass im Anschluss war schließlich die beste Entscheidung“, strahlt sie heute, 40 Kilogramm leichter, topfit und glücklich. Ihr eindrücklichstes Erlebnis nach dem starken Gewichtsverlust: „Ich kann wieder problemlos Treppensteigen und aus der Hocke aufstehen!“ Als das damals nicht mehr ging, habe sie sich an das Adipositaszentrum des Uniklinikums gewandt. Die monozentrische Studie wurde mit dem DZHI entwickelt und vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert. Neben der Kardiologie, Endokrinologie, Chirurgie und Psychiatrie waren an der interdisziplinären Studie auch die Hepatologie, Pulmonologie und Radiologie beteiligt.
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