Beziehungen, Einsamkeit und die schöne neue Online-Welt

Beziehungsklärung per App? Eher keine gute Idee, sagen Forscher. Bild (KI-generiert): lashkhidzetim – stock.adobe.com

Zum Psychosomatik-Kongress, der vom 12.-14.03.2025 in Berlin unter dem Titel „Beziehungen in der Krise – Aufbrüche“ stattfindet, diskutierten Experten in einer Pressekonferenz aktuelle Erkenntnisse zum Themenfeld Trauma, Misstrauen und Einsamkeit in der heutigen, durch Online-Medien geprägten Welt.

Dass Einsamkeit zu einem bedeutenden Problem in unserer Gesellschaft, in der angeblich alles auf einen Klick verfügbar sein soll, geworden ist, hat inzwischen auch die Politik begriffen. Doch woher kommt das Phänomen und wie kann man Betroffenen abhelfen? Die Psychosomatik versucht hier, Antworten zu finden. Im Berliner Henry-Ford-Bau findet dazu die 32. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Psychosomatische Medizin und Ärztliche Psychotherapie (DGPM) gemeinsam mit der 75. Arbeitstagung des Deutschen Kollegiums für Psychosomatische Medizin (DKPM) statt.

Laut Prof. Hans-Christoph Friederich, DGPM-Vorsitzender und Ärztlicher Direktor der Klinik für Allgemeine Innere Medizin und Psychosomatik am Universitätsklinikum Heidelberg, ist Einsamkeit definiert als Diskrepanz zwischen dem Wunsch nach sozialer Interaktion und dem Fehlen derselben. Eine Voraussetzung für soziale Interaktion ist Vertrauen, aber die Bereitschaft, jemand anderem zu vertrauen, kann durch verschiedene Faktoren gestört sein.

Die Rolle belastender Kindheitserfahrungen

So können belastende Kindheitserfahrungen nicht nur zu einem erhöhten Risiko für Depressionen und Angststörungen, sondern auch zu einer gestörten Beziehungsfähigkeit führen. „Die prägendste Lebensphase ist die frühe Kindheit“, betonte Prof. Johannes Kruse, Präsident des Psychosomatik-Kongresses, bei der Online-Pressekonferenz am 06.03.2025. „Frühe emotionale Verletzungen – sei es durch Vernachlässigung, Missbrauch oder unsichere Bindungserfahrungen – können das Vertrauen in andere Menschen tiefgreifend erschüttern. Wenn diese Erlebnisse nicht angemessen verarbeitet oder aufgefangen werden, können sie langfristige Auswirkungen auf die psychische Gesundheit und die Fähigkeit, stabile Beziehungen aufzubauen, haben.“ Es entsteht eine sich selbst verstärkende Spirale von Misstrauen und Einsamkeit. Diese Erfahrungen können sich in eine erhöhte psychovegetative Sensibilität umsetzen und das Selbstbild verändern, erklärte der Direktor der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie am Universitätsklinikum Gießen und Marburg.

Das Problem ist erheblich: Schätzungen zufolge sind in Europa mehr als 55 Millionen Kinder von emotionalem, körperlichem oder sexuellem Missbrauch, Vernachlässigung oder anderen traumatischen Erlebnissen betroffen. Auch in Deutschland sind belastende Kindheitserfahrungen sehr häufig: Etwa ein Drittel der erwachsenen Bevölkerung berichtet über prägende negative Erlebnisse in der Kindheit, die ihre spätere Entwicklung und ihr Wohlbefinden beeinträchtigen. Zudem gibt rund ein Fünftel der Menschen an, in ihrer Kindheit mittelschwere bis schwere Missbrauchs- oder Vernachlässigungserfahrungen gemacht zu haben. Interessanterweise, so berichtete Kruse, zeigen Forschungen, dass in der ehemaligen DDR solche Erfahrungen weniger auftraten als in der damaligen BRD.

Substitut und Parasozialität

Leider ist die zunehmende Digitalisierung auch keine Hilfe. Im Gegenteil spielen das Internet und besonders die „sozialen Medien“ eine nicht unerhebliche Rolle dabei, dass der Beziehungsstatus heute oft mit „es ist kompliziert“ beschrieben werden muss. Laut Dr. Johanna Lisa Degen von der Abteilung Psychologie am Interdisziplinären Institut für Umwelt-, Sozial- und Humanwissenschaften der Europa-Universität Flensburg, erweckt das Internet zwar zunächst den Eindruck, es könne Beziehungen fördern, doch in Wirklichkeit seien Beziehungen, etwa in „sozialen Medien“ nur Substitut – die Forschung spricht von „Parasozialität“. Wie Degen berichtete, verleiten die Online-Anwendungen dazu, ganze Teile der Beziehung ins Virtuelle zu verlagern. Beziehungsregulierung werde mit ellenlangen Nachrichten über WhatsApp, gespickt mit Emoticons, versucht, was ja praktisch sei, da einem niemand ins Wort fallen kann. „Wir gewöhnen uns daran, und dadurch wird es schwieriger, das real auszutragen“, so die Psychologin. „Das führt messbar zu mehr Konflikten.“

Wie passt hierzu, dass, wie Degen berichtete, in den vergangenen fünf Jahren 50 Prozent der Beziehungen über Dating-Apps zustande kamen? Die Forscherin erkennt durchaus an, dass in diesem Fall das Internet als Steigbügel für die Beziehungsanbahnung dienen kann. Doch die mittel- und langfristigen Auswirkungen des Online-Datings sind dann wieder weniger positiv: „Wir beobachten eine Online-Dating-Erschöpfung“, berichtete Degen. Man befürchte Missbrauch und ist dann auch misstrauischer bei der echten Kontaktaufnahme. Zudem fördere diese Form der Beziehungsfindung die „Performance-Orientierung“ und hinterlasse im realen Leben „das Gefühl, im Präsentationsmodus zu bleiben“. Insgesamt komme es zu einer „Verhärtung zwischen den Geschlechtern“.

„Weniger ist in jedem Fall mehr“

Wenn sich Menschen viel in „sozialen Meiden“ aufhalten, hat dies laut Degen einen trennenden, individualisierenden Effekt. Es werde ständige Verfügbarkeit erwartet, der User selbst erwarte Vorhersagbarkeit: „Man will bestätigt werden in dem, was man immer schon wusste, und nicht mit anderen Meinungen konfrontiert werden“. Habe sie früher noch dafür plädiert, die Medienkompetenz im Jugendalter durch Umgang mit den „sozialen Medien“ einzuüben, so habe die Wissenschaftlern inzwischen ihre Meinung in Bezug auf Kinder und Jugendliche geändert: „Ich laufe durch die Uni und sage: Wie müssen die sozialen Medien abschalten und die Handys wegschließen.“ Wer ohne soziale Medien aufgewachsen sei, lasse sich weniger in deren Logik hineinziehen, betonte Degen. „Weniger ist in jedem Fall mehr.“

(ms)