Bisher tiefster Einblick in das menschliche Genom gelungen24. Juli 2025 Genom-Mapping, Symbolbild (Foto: © JR-50/stock.adobe.com) Im Jahr 2003 konnte das menschliche Genom erstmals zu mehr als 90 Prozent abgebildet werden, wenige Jahre später gab es dann erste Einblicke in dessen Vielfalt. Jetzt wurden die Proben erneut analysiert: Die Ergebnisse bilden die Vielfalt des menschlichen Genoms in bisher nicht erreichter Tiefe ab. Aufbauend auf dem Human Genome Project (HGP) war es das Ziel des 1000 Genome Projects (2007‒2015), bei dem die Daten von mehr als 2.500 Menschen zusammengetragen wurden, das menschliche Genom eines Querschnitts der Weltbevölkerung abzubilden. Mit Projektabschluss 2015 gelang es, das Ziel zu übertreffen und die Daten von 2500 Menschen aus fünf Kontinenten und 26 Populationen zusammenzutragen. Beide Projekte haben maßgeblich zum Verständnis der menschlichen Genetik beigetragen.Zehn Jahre nach Abschluss des Projektes konnte eine internationale Forschungsgruppe unter Beteiligung des Teams um den Genominformatiker Prof. Tobias Marschall (Institut für Medizinische Biometrie und Bioinformatik an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf [HHU]) einen noch detaillierten Blick auf das menschliche Genom werfen. In den jetzt in „Nature“ vorgestellten Untersuchungen wurden die Genome, die im Rahmen des 1000 Genome Projects gesammelt wurden, mit modernen Technologien, die 2015 noch nicht zur Verfügung standen, analysiert. Tiefergehende Analyse der Genome mit neuen Verfahren Das Neue: Zum Zeitpunkt des 1000 Genome Projects beruhte die Sequenzierung zumeist auf kleinen DNA-Abschnitten, die nicht ausreichten, um ein komplettes Genom zusammenzusetzen. Mit den neuen Long-Read-Sequenzierungsmethoden ist nun eine sehr viel tiefergehende Analyse der Genome möglich. Diese Technologien liefern die Sequenzen längerer DNA-Abschnitte in einem Stück und erlauben es so, genetische Unterschiede zwischen Individuen besser zu identifizieren. Diese genetischen Varianten können in verschiedenen Formen auftreten, etwa als Unterschiede von einem oder wenigen Basenpaaren der DNA-Sequenz. Sie können aber auch tiefgreifender sein, etwa indem längere DNA-Abschnitte bei einzelnen Personen gelöscht, umgekehrt, wiederholt oder hinzugefügt werden, was auch als strukturelle Varianten bezeichnet wird. Diese spielen eine wichtige Rolle bei der Entstehung verschiedener genetischer Krankheiten, unter anderem bei bisher ungeklärten, seltenen genetischen Syndromen. Das Pangenom: Die Kartierung des menschlichen Genoms Im Jahr 2023 veröffentlichte das Human Pangenome Reference Project (HPRC), ebenfalls unter Marschalls Beteiligung, einen Entwurf für eine „Pangenom-Referenz“ ‒ also eine Karte menschlicher genetischer Vielfalt, die auf 47 Individuen basiert. Ziel ist es, dass dieser Entwurf das bisher verwendeten Referenzgenom zukünftig ersetzen soll. Dazu werden laut den Forschenden auch die neuen Studiendaten beitragen.In der ersten der nun veröffentlichten Studien (Schloissnig et al.) wurden 1019 Genome sequenziert. Die Kohorte ist also um mehr als das 20-Fache größer als die Daten des HPRC. Dieser neue, deutlich vergrößerte Referenzdatensatz hilft nach Angaben der beteiligten Wissenschaftler insbesondere, strukturelle Varianten zu untersuchen, die weniger häufig in der Bevölkerung vorkommen. „Die Varianten in einer vielfältigen Kohorte gesunder Menschen ist essenziell, um besser zur verstehen, welche Varianten in Genomen von Patientinnen und Patienten die Ursache für die vorliegenden Erkrankungen sein können“, erläutert Prof. Dagmar Wieczorek (Institut für Humangenetik der HHU), die ebenfalls an der Studie beteiligt war.Auch die zweite Untersuchung (Logsdon et al.) erweitert die vorhandenen Kenntnisse über das menschliche Genom. Der Fokus lag hierbei nicht auf der Quantität neuer Datensätze, sondern auf einer möglichst vollständigen Sequenzierung der Genome. 65 Proben, die ebenfalls Teil des 1000 Genome Projects sind, wurden unter Verwendung besonders leistungsstarker Sequenzierungsmethoden untersucht. Für 1161 Chromosomen (39%) konnten die Forschenden vollständige Genomsequenzen rekonstruieren (T2T oder „telomere-to-telomere“). „Dies ist besonders bemerkenswert, weil menschliche Chromosomen Hunderte von Millionen von Basenpaaren lang sein können und eine vollständige Rekonstruktion eines einzelnen Genoms erst vor wenigen Jahren erstmalig gelang“, erklärt der HHU-Bioinformatiker Prof. Alexander Dilthey (Arbeitsgruppenleiter am Institut für Medizinische Mikrobiologie und Krankenhaushygiene), der ebenfalls an der Studie beteiligt war. Erkenntnisse zu bisher unzugänglichen Abschnitten In den beiden neuen Studien analysierten die Autoren Genomdatensätze von fünf Kontinenten und aus 26 Populationen. So konnte eine besonders große Vielfalt des menschlichen Genoms abgebildet werden. (Grafik: © Siegfried Schloissnig / HHU – Berit Meisenkothen) Darüber hinaus war es durch die nun vollständigen Genome möglich, bestimmte Abschnitte zu verstehen, die mit herkömmlichen Methoden nicht zugänglich sind, wie etwa die Zentromere. Dies sind die Stellen, an denen die beiden Chromosomenstränge bei der Zellteilung miteinander verbunden sind – sie bilden die bekannte X-Form. Die Bedeutung und Konsequenzen von genetischen Varianten in Zentromeren sind bisher nur unvollständig erforscht. Auf Grundlage der neuen Studie können deren Auswirkungen zum Beispiel auf Immunstörungen und Krebs erforscht werden.Dass beide Studien nun zeitgleich erscheinen, ist aus Sicht von Prof. Jan Korbel vom Europäisches Laboratorium für Molekularbiologie Heidelberg (EMBL), Co-Autor beider Arbeiten, ein besonderer Erfolg: „Die erste Studie verwendet zwar weniger leistungsfähige Sequenzierungsmethoden, arbeitet allerdings auf Basis einer sehr viel größeren Kohorte, während die zweite Studie zwar auf einer kleineren Kohorte basiert, dafür fortschrittlichere Sequenzierungsmethoden verwendet. Dies ermöglicht es uns, äußerst robuste und präzise Einblicke in die genetische Variation unseres Erbguts zu gewinnen.“ Eine neue Ressource für die Genomforschung weltweit Auch Marschall betont, dass nicht nur die Ergebnisse der beiden Untersuchungen wichtige Erkenntnisse liefern, sondern auch der Umstand, dass nun eine sehr viel größere Datenmenge zur Verfügung steht, welche die Forschung nachhaltig positiv beeinflussen wird. „Durch diese Studien haben wir eine umfassende und medizinisch relevante Ressource geschaffen, die nun von Forschenden auf der ganzen Welt genutzt werden kann, um die Mechanismen der menschlichen Genomvariationen besser zu verstehen”, sagt Marschall. „Dies ist ein großartiges Beispiel für kollaborative Forschung, die neue Perspektiven in der Genomforschung eröffnet und ein Schritt hin zu einem vollständigeren menschlichen Genom darstellt. Ich bin überzeugt, dass wir auf Grundlage dieser wichtigen Erkenntnisse in Zukunft viele Verbindungen von strukturellen genetischen Varianten zu Krankheitsrisiken finden werden.”Die neuen Datensätze wurden Forschenden auf der ganzen Welt zur Analyse und Nutzung frei zugänglich gemacht. Neben der HHU und dem EMBL waren an beiden Studien Forschungseinrichtungen weltweit beteiligt: an der Untersuchung von 1019 Datensätzen unter anderem die Forschungseinrichtungen Research Institute of Molecular Pathology Vienna in Österreich sowie das Centre for Genomic Regulation Barcelona und die Universitat Pompeu Fabra in Spanien. Zur Sequenzierung der 65 Genomdatensätze trugen neben der HHU und dem EMBL unter anderem die University of Washington School of Medicine, The Jackson Laboratory for Genomic Medicine, Clemson University, University of Connecticut, University of Pennsylvania (alle USA) bei.
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