Blutkrebs: Entzündung verändert Knochenmark schon früh19. November 2025 Bild: ©Nuchjaree – stock.adobe.com Bei Menschen mit altersbedingten Blutstammzellmutationen verändern chronische Entzündungen das Knochenmark bereits in sehr frühen Stadien, wie Mainzer Forscher in „Nature Communications“ berichten. Die Interaktion entzündlicher Gewebestammzellen und bestimmter Immunzellen ruft sich selbst verstärkende Entzündungsprozesse in der Mikroumgebung des Knochenmarks hervor, die die normale Blutbildung beeinträchtigen. Das Knochenmark eines Menschen produziert in jeder Sekunde mehrere Millionen neuer Blut- und Immunzellen. Diese kontinuierliche Zellerneuerung beruht auf einem Zusammenspiel zwischen hämatopoetischen Stammzellen (HSC), stützenden Stromazellen und Molekülen oder Zellen, die das Immunsystem steuern (Immunregulatoren). Für die Bildung von Blutzellen unerlässlich ist die Mikroumgebung des Knochenmarks, auch Knochenmark-Mikromilieu genannt. Sie ermöglicht den Austausch von Signalen zwischen den Zellen und beeinflusst damit das Wachstum sowohl gesunder als auch genetisch veränderter, potentiell krankheitsauslösender Zellen. Trotz ihrer großen Bedeutung für die Blutbildung ist bisher nur wenig darüber bekannt, auf welche Weise die Mikroumgebung des Knochenmarks zur Entstehung von Blutkrebserkrankungen beiträgt. Zelluläre Veränderungen durch chronische Entzündung lange vor ersten Symptomen Ein internationales Forschungsteam hat jetzt entdeckt, dass chronische Entzündungsprozesse bei Menschen mit Blutstammzellmutationen bereits lange bevor Krankheitssymptome auftreten zu zellulären Veränderungen im Knochenmark-Mikromilieu führen können. Die Leitung lag bei Dr. Borhane Guezguez, Arbeitsgruppenleiter an der III. Medizinischen Klinik und Poliklinik der Universitätsmedizin Mainz und Dr. Judith Zaugg, Arbeitsgruppenleiterin am European Molecular Biology Laboratory (EMBL) Heidelberg und Professorin an der Universität Basel. Die Wissenschaftler untersuchten die Mikroumgebung des Knochenmarks von Probanden mit speziellen genetischen Veränderungen in den blutbildenden Stammzellen: Die klonale Hämatopoese von unbestimmtem Potenzial (CHIP) kann im Zuge von Alterungsprozessen entstehen und tritt bei etwa 10 bis 20 Prozent der über 60-Jährigen und bei fast 30 Prozent der über 80-Jährigen auf. Obwohl die CHIP asymptomatisch ist, erhöht sie das Risiko für Blutkrebs um das Zehnfache, verdoppelt das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und geht mit einer erhöhten Sterblichkeit einher. Als Myelodysplastische Syndrome (MDS) wird eine Gruppe von Erkrankungen bezeichnet, die durch eine gestörte Blutkörperchenproduktion und ein fortschreitendes Knochenmarkversagen gekennzeichnet sind. MDS treten ebenfalls vorrangig im höheren Lebensalter auf – bis zu 20 von 100.000 Menschen über 70 Jahre sind davon betroffen. In bis zu 30 Prozent der Fälle entwickeln sich MDS zu einer Akuten myeloischen Leukämie (AML). Inflammatorische mesenchymale Stromazellen locken Immunzellen an Die Forschenden entdeckten in der Mikroumgebung des Knochenmarks der Probanden mit CHIP und MDS eine Gruppe inflammatorischer mesenchymaler Stromazellen, die die normalen Bindegewebsstammzellen im Knochenmark verdrängten. Im Gegensatz zu gesunden Stromazellen setzten die entzündlichen Zellen große Mengen an Signalmolekülen frei, die bestimmte Immunzellen anlocken und aktivieren. Diese wiederum reagieren auf das körpereigene Protein Interferon. Diese Interferon-responsiven T-Zellen verstärkten daraufhin die Entzündungsprozesse weiter und sorgten dafür, dass die normale Blutbildung gestört wurde. „Unsere Untersuchungen zeigen, dass die Mikroumgebung des Knochenmarks die frühesten Entwicklungsstadien von Blutkrebs aktiv beeinflusst“, betont Guezguez, Letztautor der jetzt veröffentlichten Studie. Eindeutige molekulare Signaturen als Biomarker „Dank der Fortschritte bei der Genanalyse können wir Vorstufen von Blutkrebserkrankungen bereits Jahre vor dem Auftreten von Symptomen erkennen. Unsere neuen Erkenntnisse zu den Wechselwirkungen zwischen Stroma- und Immunzellen könnten daher die Grundlage für vorbeugende Therapien bei CHIP oder MDS bilden, die auf die Mikroumgebung des Knochenmarks ausgerichtet sind und das Fortschreiten der Krankheit verhindern, bevor eine Leukämie entsteht. Die eindeutigen molekularen Signaturen von inflammatorischen mesenchymalen Stromazellen und Interferon-responsiven T-Zellen könnten zudem als Biomarker dienen, um Risikopersonen lange vor dem Auftreten klinischer Symptome zu identifizieren“, erläutert Guezguez. Inflammaging besser verstehen Nach Ansicht der Wissenschaftler trägt ihre Forschungsarbeit zu einem besseren Verständnis des sogenannten Inflammaging bei, einer chronischen, leichtgradigen Entzündung, die vielen altersbedingten Erkrankungen zugrunde liegt – von Krebs bis hin zu Herz-Kreislauf- und Stoffwechselerkrankungen. Die Studie wurde in Zusammenarbeit mit dem European Molecular Biology Laboratory (EMBL) Heidelberg, dem Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden, dem Karolinska-Institut in Schweden, der Sorbonne Université sowie Partnerinstitutionen des Deutschen Konsortiums für Translationale Krebsforschung (DKTK), wie dem Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) und dem Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) Dresden, durchgeführt. Gefördert wurde sie vom DKTK-CHOICE-Programm, dem European Research Council (ERC) und der José Carreras Leukämie-Stiftung.
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