Breaking old dogmas – Mammatumoren bei der Hündin reloaded: Interview mit Julia Gedon5. Januar 2023 Julia Gedon Foto: © Gedon/Tierklinik Hofheim Julia Gedon ist Oberärztin im Fachbereich Onkologie der Tierklinik Hofheim. Sie hat eine Residency ECVIM-Ca (Onc.) abgeschlossen. Studiert hat Frau Gedon an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Derzeit läuft ihre Promotion an der Tierklinik Hofheim in Zusammenarbeit mit der Justus-Liebig-Universität, Gießen, zum Thema „Malignität von Mammatumoren beim Hund“. Das Interview, das in Kompakt VetMed 06/2022 erschienen ist, führte Tierärztin Sigrun Grombacher. Jede 8. Hündin im Alter von ungefähr 10 Jahren, die eine Tierarztpraxis betritt, hat oder hatte bereits einen Mammatumor. Frau Gedon, wie oft kommen Mammatumoren bei der Hündin vor? Gedon: Mammatumoren gelten als die häufigsten Tumoren der (unkastrierten) Hündin, eine genaue Inzidenz anzugeben, ist aber gar nicht so einfach. Aktuellere Untersuchungen aus Großbritannien und Schweden geben bspw. ein 5- bis 7-fach höheres Risiko bei den schwedischen (krankenversichterten) Hündinnen, als bei den britischen Hündinnen an. Diese Unterschiede in den Häufigkeitsangaben sind durch die unterschiedliche Zusammensetzung der Studienpopulationen, also Reproduktionsstatus, Zeitpunkt der Kastration, Alter etc. der Hündinnen zu erklären. Stichwort Kastration: Wann wird in Deutschland im Regelfall kastriert, wann in anderen Ländern? Gedon: In Deutschland wird in der Regel keine Frühkastration, also eine Kastration im Alter von wenigen Monaten, wie sie etwa in den USA typisch ist, durchgeführt. Als Grundlage für die Frühkastration dient u.a. eine Publikation von Schneider et al. von 1969, welche angibt, dass eine Kastration vor der 1. Läufigkeit das Mammatumorrisiko fast vollständig eliminiert (relatives Risiko von Frühkastraten im Vergleich zur intakten Hündin 0,05%), wohingegen eine späte Kastration keinen Einfluss mehr auf die Mammatumorentstehung haben soll. In Deutschland wird meist erst nach der 1. oder 2. Läufigkeit kastriert. Mammatumoren treten signifikant häufiger bei intakten Hündinnen auf. Welche Rollle spielt Östrogen? Gedon: Ja, Mammatumoren kommen deutlich häufiger bei der intakten Hündin als bei der kastrierten vor. Im Rahmen meiner Doktorarbeit habe ich unser Patientengut über einen Zeitraum von 10 Jahren ausgewertet und konnte zeigen, dass 80% der Tumorpatientinnen intakt waren, wohingegen in der Kontrollpopulation nur ca. 60 % intakt waren, was einen signifikanten Unterschied ergeben hat. Östrogen hat nicht nur in der Humanmedizin eine etablierte Rolle in der Brustkrebs-Entstehung, man geht auch in der Tiermedizin mittlerweile davon aus, dass bspw. in der frühen Karzinogenese Sexualhormone als Promotoren eine wichtige Rolle einnehmen. Über den Östrogenrezeptor kommt es unter anderem zu einer autokrinen Produktion von Wachstumshormonen im Mammagewebe. Eine aktuelle Publikation von Sorenmo et al. zum Östrogeneffekt beschreibt den Einfluss von Östrogen etwas differenzierter und zeigt neben einem pro-karzinogenen Einfluss auch einen protektiven Effekt vermutlich über Östrogenrezeptor-negative Mechanismen. Das könnte auch erklären, weswegen manche anderen Tumoren ggf. häufiger bei Kastraten vorkommen. Welche Arten von Mammatumoren kommen bei der Hündin vor? Gedon: Bei der Hündin kommt eine Vielzal verschiedener histologischer Mammatumor-Arten vor. Wurden in der alten WHO-Mammatumor-Klassifizierung von 1999 nur knapp 3 Handvoll maligner Tumorarten unterschieden, werden mittlerweile mehrere Dutzend maligne Tumor-Subtypen beschrieben. Am häufigsten kommen bei der Hündin komplexe oder einfache Karzinome vor, wohingegen Sarkome in weniger als 10% der Fälle beschrieben sind. Sie konnten in einer Studie nachweisen, dass das Risiko für einen bösartigen Tumor mit der Tumorgröße zunimmt (Gedon J. et al. (2021)). Können Sie dies näher erläutern? Gedon: Dafür muss ich etwas ausholen. 2009 wurde der Begriff des „histologischen Kontinuums“ von Sorenmo et al. eingeführt. Dabei wird davon ausgegangen, dass, wie in der Humanmedizin schon lange akzeptiert, auch bei der Mammatumorentstehung des Hundes eine maligne Transformation vonstattengeht. Es wurde vorgeschlagen, dass sich mit zunehmender Tumorgröße aus einem benignen, ein maligner Tumor entwickelt. Wir konnten dies in unserer Studie ebenfalls bestätigen und einen signifikanten Zusammenhang zwischen Malignität und Tumorgröße nachweisen: Maligne Tumoren waren signifikant größer als ihre benignen Gegenspieler. Für den Alltag ist hier besonders interessant, dass Tumoren unter 1cm in etwa 70% der Fälle gutartig waren, wohingegen Tumoren ab 2 cm Größe in fast 70 % der Fälle bösartig waren. Neben einer Progression von benigne zu maligne, konnten wir auch eine Progression von weniger zu höher malignen Subtypen mit zunehmender Größe zeigen. In anderen Studien konnten auch Zusammenhänge zwischen zunehmender Tumorgröße und Sinken der Überlebenszeiten oder einem erhöhten Risiko für Lymphknotenmetastasen gefunden werden. Heißt also, dass eine abwartende Haltung beim Vorliegen eines Mammatumors eine initial günstige Prognose verschlechtern kann. Solitäre versus multiple Tumoren: In einer anderen Studie (Gedon J et al. (2022)) konnten Sie nachweisen, dass multiple Mammatumoren signifikant häufiger bei intakten Hunden auftraten. Bitte erläutern Sie dies etwas genauer. Gedon: Wir konnten in unseren Studien zeigen, dass in etwas mehr als der Hälfte der Patienten 2 oder mehr Tumoren vorlagen. Fast 60 % der intakten Hündinnen hatten mehr als 1 Tumor, im Vergleich zu gut 40% der kastrierten Hündinnen. 8 oder mehr Tumoren kamen nur bei unkastrierten Patientinnen vor. Wichtig für die Praxis ist daher, dass immer die ganze Mammaleiste gut palpiert wird, um keinen Knoten zu verpassen. Auch konnten Sie nachweisen, dass kastrierte Hundinnen nicht nur signifikant häufiger einen bösartigen Mammatumor hatten, sondern sie waren auch signifikant häufiger von aggressiveren Tumorsubtypen betroffen … Gedon: Wie bereits angesprochen sind Mammatumoren ja grundsätzlich deutlich häufiger bei der intakten Patientin anzutreffen. Interessanterweise, und da sind wir nicht die Einzigen, die zu diesem Ergebnis gekommen sind, hatten kastrierte Hündinnen häufiger maligne und vor allem auch aggressivere Tumoren, als intakte Hündinnen. Zudem scheint die vorher bereits erwähnte maligne Transformation bei kastrierten Hündinnen bereits bei kleineren Tumorgrößen aufzutreten. Das Risiko einen kleinen (<1cm im Durchmesser) malignen Tumor zu haben, ist bei der kastrierten Hündin doppelt so hoch wie bei der Intakten. Bei einer kastrierten Hündin sollte man daher nochmal besonders aufmerksam sein, wenn Knoten in der Mammaleiste auftreten. Wann sollte eine radikale Mastektomie vorgenommen werden? Gedon: Das empfohlene Ausmaß der Mammatumor-Resektion ist ein durchaus umstrittenes Thema und wir empfehlen immer, den Umfang der OP individuell festzulegen. Eine radikale Mastektomie ist vor allem dann sinnvoll, wenn (fast) alle Mammakomplexe einer Seite Tumoren aufweisen. Bei einem solitären Tumor erscheint dies nicht mehr angebracht. Kann bei der Entfernung eines vorliegendem Mammatumors durch eine zeitgleiche Kastration ein Vorteil für die betroffene Hunde-Patientin erzielt werden (Banchi P et al., (2021))? Gedon: Wie vorhin bereits angesprochen, ist man lange davon ausgegangen, dass nur eine Frühkastration einen protektiven Einfluss auf die Mammatumorentstehung hat. In den letzten Jahren sind aber einige Studien publiziert worden, die den Einfluss einer späten Ovariohysterektomie (OHE), insbesondere zum Zeitpunkt der Mastektomie durchaus sehr positiv betrachten. Kristiansen et al. (2013 und 2016) haben herausgefunden, dass Patienten mit benignen Tumoren, malignen Grad 2-Tumoren oder auch Östrogen-Rezeptor-positiven malignen Tumoren von einer zeitgleichen Kastration bei der Mammatumorentfenung profitieren können. Ganz aktuell, wurde auch in einer italienischen Studie gezeigt, dass die krankheitsfreie Überlebenszeit signifikant länger war, wenn die Hündin nicht nur mastektomiert, sondern auch kastriert wurde. Auch konnten wir zeigen, dass selbst eine späte Kastration einen protektiven Effekt ausüben kann, da im Vergleich zur Kontrollpopulation signifikant mehr Hündinnen mit Mammatumoren intakt waren. Östrogen wird aber bspw. bei Östrogenrezeptor-negativen malignen Tumoren durchaus auch ein protektiver Effekt zugesprochen, wenn wir zurück an den „Östrogen-Effekt“ denken. Es ist daher davon auszugehen, dass Östrogen nicht nur eine pro-karzinogene Rolle hat, sondern auch bei einigen Patienten einen protektiven Effekt ausübt und nicht jeder Patient vom Östrogen-Entzug profitiert. Aus der Perspektive des Kleintierpraktikers, der sich den Hundehaltern gegenüber häufig zu Prognose und Überlebenszeiten äußern muss: Welche Vorteile erbringt die Subtypen-spezifische Enteilung? Gedon: Wie vorhin kurz angesprochen, unterscheidet man heutzutage etliche verschiedene Mammatumor-Subtypen, was, insbesondere dann, wenn im pathologischen Befund noch eine Tumorgradierung nach Peña angegeben ist, manchmal etwas überwältigend sein kann. In einer prospektiven Studie hat sich aber gezeigt, dass eine Unterscheidung der Subtypen durchaus Sinn macht und es konnten sogar Subtypen-spezifische Überlebenszeiten beschrieben werden. Patienten mit anaplastischen Karzinomen hatten bspw. eine mediane Überlebenszeit von etwa 3 Monaten, wohingegen beim komplexen Karzinom die mediane Überlebenszeit nicht erreicht worden ist. Für die Praxis kann in der Tat eine etwas abgespecktere Einteilung herangezogen werden, so haben wir etwa in unseren Studien die Tumoren in komplexe, einfache, solide und anaplastische Karzinome (nach aufsteigender Malignität) gruppiert. Die US-Amerikaner Benjamin L. Hart und Lynette Hart, beide von der University of California, Davis, haben mehrere Untersuchungen zu den Auswirkungen der Kastration bei Hunden durchgeführt. So veröffentlichten sie eine Studie, in der sie die 35 populärsten Hunderassen untersucht haben, um eine Empfehlung zum idealen Zeitpunkt der Kastration bei einzelnen Rassen geben zu können (Hart BL et al. (2020)). Wie ist hier der Erkenntnisstand? Gedon: Kastration ist ja ein riesengroßes Thema, mit dem sich im Endeffekt fast jeder Patientenbesitzer irgendwann auseinandersetzt. Die Diskussionen sind hier häufig sehr emotionsgeladen und es ist schön, dass immer mehr wissenschaftliche Studien die komplexen Einflüsse des Hormonentzugs untersuchen. Die größte Erkenntnis ist sicher, dass es keine allgemeingültige perfekte Lösung gibt, unter anderem weil es eine so große Bandbreite an verschiedenen Rassen und Hundegrößen gibt. Wie allseits bekannt, kann eine Kastration ggf. das Risiko für eine Urininkontinenz und orthopädische Erkrankungen (wie den Kreuzbandriss) steigern. Auch ein Zusammenhang zu vermehrter Ängstlickeit bzw. einer Verhaltensstörung etwa bei frühkastrierten Viszlas wurde gezeigt. Am wichtigsten für uns Onkologen ist sicherlich, dass wir durch die Kastration zwar das Risiko für einen Mammatumor senken, aber dafür das Risiko an einem anderen Tumor (z.B. einem Osteosarkom der Gliedmaßen, Mastzelltumoren, Melanomen oder einem Lymphom) zu erkranken mit der Kastration auch steigen kann. Der Kollege Hart hat versucht diese Punkte zu berücksichtigen und für die gängigen Rassen eine Alters-Empfehlung für einen optimalen Kastrationszeitpunkt zu geben. Gibt es Erkenntnisse zu Scheinträchtigkeit und Anzahl der Geburten in Bezug auf das Risiko, an einem Mammatumor zu erkranken? Gedon: Entgegen der Erkenntnisse aus der Humanmedizin, wo neuere Studien eine komplexe Assoziation zwischen Schwangerschaften, Stillzeiten und dem Brustkrebs-Risiko ergeben haben, konnte beim Hund kein Zusammenhang zwischen Geburten- oder Welpenanzahl bzw. Östrusstörungen und dem Mammatumor-Risiko gefunden werden. Selbiges gilt vermutlich auch für die Scheinträchtigkeit. Eine Läufigkeitsunterdrückung mit einem Progestagen hingegen führt zu einer gesteigerten (Dosis-assoziierten) Mammatumor-Inzidenz. Auch bei der Frau stellt die Gabe von Kontrazeptiva einen Risikofaktor für die Entwicklung von Brustkrebs dar. Wir ersetzen demnach die alten Dogmen durch neue Erkenntnisse … Gedon: Lange ist man ja davon ausgegangen, dass in der Mammatumorentstehung nur eine Frühkastration einen positiven Effekt hat, und Tumoren entweder gut oder bösartig sind, und es keine Einflussfaktoren auf die Dignität gibt. Heutzutage wissen wir aber, dass es zu einer Progression der Malignität mit zunehmender Tumorgröße kommt, eine späte Kastration durchaus einen protektiven Effekt auf die Mammatumor-Entstehung haben kann und auch der Reproduktionsstatus der Hündin einen Einfluss auf die Dignität des Mammatumors hat. Liebe Frau Gedon, herzlichen Dank für das Gespräch.
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