Bundesregierung stärkt Früherkennung von Herz-Kreislauferkrankungen – Kostenfalle oder Chance?

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Das Bundesgesundheitsministerium hat mehrere Maßnahmen initiiert, um die Prävention von Herz- Kreislauferkrankungen in Deutschland zu fördern. Die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie und die Deutsche Herzstiftung diskutieren in einer am 8. Dezember veröffentlichten Stellungnahme Kritikpunkte am Vorhaben des Gesundheitsministeriums. Sie kommen zu dem Schluss, dass der Nutzen die Kosten deutlich überwiegt.

Schon länger fordern kardiovaskuläre Fachgesellschaften eine Verbesserung von Forschungsbedingungen und Präventionsmaßnahmen in Deutschland. Zu diesem Zweck schlossen sich die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie – Herz- und Kreislaufforschung e. V. (DGK) und weitere herzmedizinische Fachgesellschaften und die Herzstiftung als Patientenvertretung zur Nationale Herz-Allianz zusammen. Die Initiative hat das Ziel, die Forschung und Patientenversorgung im Bereich Herzgesundheit zu verbessern.

Die Themen Vorbeugung und Früherkennung haben in diesem Jahr durch die Gesundheitspolitik viel Aufmerksamkeit erfahren. Zu den Auslösern gehörte unter anderen der aufmerksamkeiterregende Artikel „The underwhelming German life expectancy“, erschienen im April beim „European Journal of Epidemiology“. Darin heißt es, die in Deutschland lebenden Menschen hätten im Vergleich zu anderen OECD-Ländern die geringste Lebenserwartung (mit Ausnahme der USA) bei gleichzeitig hohen Gesundheitsausgaben. Die Autoren schreiben diesen Umstand einer hohen Sterblichkeit bei Herz-Kreislauferkrankungen sowie mangelnder Früherkennung und Prävention derselbigen zu.

Im Zuge dieser Entwicklungen teilte das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) Anfang Oktober mit, ein neues Bundesinstitut für Prävention und Aufklärung in der Medizin (BIPAM) aufbauen zu wollen, welches mit der Vermeidung nichtübertragbarer Erkrankungen beauftragt werden soll. Neben Krebs und Demenz werden hier erstmals auch Koronare Herzkrankheiten in den Mittelpunkt gestellt. Zudem veröffentlichte das BMG ein Impulspapier mit Plänen, die Früherkennung und Prävention kardiovaskulärer Ereignisse zu forcieren. Mittelfristig sollen diese in eine Gesetzesinitiative überführt werden. Die vorgeschlagenen Maßnahmen umfassen unter anderen eine Verbesserung der Früherkennung bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen zur Identifizierung der familiären Hypercholesterinämie (FH).

Past-Präsident der DGK Stephan Baldus. Foto: ©HKM/Ronny Kretschmer

In der gemeinsamen Stellungnahme erläutern DGK und Deutsche Herzstiftung, weshalb sie dies für „bemerkenswert“ halten. Ihnen zufolge hat die aktuelle Früherkennungsmaßnahme, nämlich ein simples Anamnesegespräch beim Kinderarzt, „versagt“. 95 Prozent der Fälle würden hierzulande nicht entdeckt, obwohl etwa eins von 250 Kindern in Deutschland mit der Erkrankung geboren wird. „Damit ist die familiäre Hypercholesterinämie die häufigste vererbbare Krankheit in Deutschland“, sagt Prof. Stephan Baldus, Past-Präsident der DGK. „Bei diesen Zahlen müssen wir davon ausgehen, dass heute über 315.000 Menschen in Deutschland mit dieser Stoffwechselkrankheit leben, die bei ihnen nicht diagnostiziert ist. Das bedeutet, 315.000 Menschen haben aktuell ein deutlich erhöhtes Risiko, vor ihrem 40. Geburtstag einen Herzinfarkt zu erleiden, und wissen es nicht einmal.“

Ein einfaches und kostengünstiges Lipid-Screening mittels Kapillarblutentnahme im Rahmen der U9-Untersuchungen beim Kinderarzt könnte laut DGK schon in frühen Jahren Gewissheit bringen. „Das würde die Möglichkeit eröffnen, diese Menschen frühzeitig zu therapieren“, heißt es in der Stellungnahme. Aktuell laufen die beiden Vroni-Studien in Bayern und Niedersachsen, die nach Ansicht von DGK und Herzstiftung den Nutzen dieser Früherkennungsmaßnahme untersuchen und bestätigen werden. Sie verweisen auf erste Zwischenergebnisse, die einen deutlichen Anstieg der Zahl leitliniengerecht behandelter Kinder seit Februar 2023 von 49 auf 84 Prozent zeigen. Auch würden schon jetzt Langzeitdaten von Kindern mit FH, die mit Statinen behandelt wurden, im Vergleich zu unbehandelten eine erhebliche Risikoreduktion für das Auftreten einer kardiovaskulären Erkrankung demonstrieren: Von den 156 unbehandelten Patientinnen und Patienten starben 11 vor dem 40. Lebensjahr an Herzinfarkten. Aus der behandelten Gruppe starb niemand. „FH frühzeitig zu erkennen und therapieren, rettet also Leben“, betonen die Herzorganisation.

Vorstandsvorsitzender der Deutschen Herzstiftung Thomas Voigtländer. Foto: ©Deutsche Herzstiftung/Andreas Malkmus

„Halten wir uns weiterhin die Schäden vor Augen, die ein Herzinfarkt bei den Patientinnen und Patienten verursacht. Ein Herzinfarkt erhöht nicht nur die Gefahr eines plötzlichen Herztods, sondern er erhöht auch das Risiko für irreparable Schäden am Herzmuskel und damit für Einbußen an Herzfunktion in Form der Herzinsuffizienz (Herzschwäche). Hinzu kommen die Einweisung sowie Behandlung im Krankenhaus und der damit verbundene Ausfall von Arbeitskraft, was zwangsläufig auch negative Konsequenzen für Betriebe, die Volkswirtschaft und die Krankenkassen hat“, erklärt Prof. Thomas Voigtländer, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Herzstiftung. Im Jahr 2020 beliefen sich die Krankheitskosten für Erkrankungen des Herz-Kreislaufsystems laut Statistischem Bundesamt auf 56,7 Milliarden Euro. Allein der akute Herzinfarkt hatte daran einen Anteil von 2,81 Milliarden Euro. Nach Angaben von DGK und Herzstiftung belaufen sich die Kosten für die Lipid-Screenings auf 2090 Euro pro verhindertem Todesfall. „Vor diesem Hintergrund sind die überschaubaren Mehrkosten für diese Präventionsmaßnahme mehr als vertretbar. Bereits die Vroni-Studie in Bayern konnte zeigen, dass ein Behandlungsbeginn im Kindesalter bedrohliche koronare Folgeereignisse kosteneffizient verhindern, die Lebensqualität verbessern und die Sterblichkeit senken kann“, so Voigtländer.

Unabhängig vom finanziellen Aspekt könne man die Frage nach personellen Hürden stellen, merken DGK und Herzstiftung an. So stehe berechtigterweise zu befürchten, dass dieser zusätzliche Aufwand von den Ärztinnen und Ärzten aufgrund des Fachkräftemangels im Gesundheitswesen derzeit nicht gestemmt werden könne. „Der Politik liegen aber bereits entsprechende Konzepte vor, um diesem Umstand zu begegnen“, schreiben sie. Ihnen zufolge sollten konkret zum einen die Chancen der Digitalisierung stärker genutzt und schnellstmöglich flächendeckend umgesetzt werden, um bestimmte Prozesse effizienter zu gestalten. Zum anderen könnten Screening-Untersuchungen problemlos in den nichtärztlichen Bereich ausgelagert werden. Diese Konzepte gelt es nun „zum Wohle einer gesamtheitlich positiven Entwicklung unseres Gesundheitssystems umzusetzen“.

Abschließend betonen sie: „Die Primärprävention kardiovaskulärer Erkrankungen ist sicherlich kein Allheilmittel. Vor allem in Verbindung mit anderen Maßnahmen, wie der Verhältnisprävention, ist sie aber ein wichtiger, komplementärer Baustein zur Verbesserung der Herzgesundheit der Bürgerinnen und Bürger in Deutschland. Diese Chance sollte dringend genutzt werden.“