BVMed-Rechtssymposium: MDR-Reform nimmt konkrete Züge an

Podium mit Marc-Pierre Möll, Christina Ziegenberg und Ortwin Schulte (BMG) (v.l.). Foto: BVMed

Die Reform der EU-Medizinprodukte-Verordnung (MDR) nimmt konkrete Formen an. Das verdeutlichten die Expertinnen und Experten des 20. Rechtssymposiums des Bundesverbandes Medizintechnologie (BVMed) in Berlin.

Ortwin Schulte vom Bundesgesundheitsministerium (BMG) nannte Sonderregelungen für Kleinserienprodukte sowie Schnellverfahren für versorgungsrelevante Innovationen als besonders wichtige Maßnahmen für die MDR-Reform aus der Perspektive Deutschlands. Gemeinsames Interesse aller Mitgliedsstaaten sei die Entbürokratisierung und Erleichterung der Rezertfizierung. Insbesondere müsse es einheitliche Leitlinien für die Zertifizierungspraxis der Benannten Stellen und klare Fristenregelungen geben. Die Kommission spricht dabei von einer Reformumsetzung 2026, wobei EU-Kommissar Oliver Varhelyi öffentlich ankündigt, die Arbeiten in 2025 voranzutreiben zu wollen. BVMed-Geschäftsführer Dr. Marc-Pierre Möll erwartet in diesem Jahr zumindest Eckpunkte der EU-Kommission für die MDR-Reform.

Schulte, Referatsleiter Medizinproduktesicherheit im Bundesgesundheitsministerium zog eine kritische Bilanz der MDR-Implementierung. Stichpunkte seien der Zertifizierungsstau, die Verschiebung des Geltungsbeginns, die Verlängerung der Übergangsfristen, das Thema Sonderzulassungen und die Akzeptanz von Nichtkonformität. „Wenn ein Geltungsbereich drei Mal verschoben wird, ist das ein Indiz dafür, dass man sich zu viel vorgenommen hat“, konstatierte Schulte. Hinzu komme ein verschärfter Systemwettbewerb mit den USA und Asien sowie eine deutliche Erhöhung der regulatorischen Komplexität. EU-Kommissar Oliver Varhelyi habe die Reform der MDR für dieses Jahr angekündigt. Eine wichtige Grundlage für die Reform sei das 9-Staaten-Papier, dass zur EPSCO-Sitzung im Dezember 2024 vorgelegt wurde. Die Initiative ging von Deutschland und Frankreich aus.

Gemeinsames Interesse: Entbürokratisierung und Erleichterung der Rezertfizierung

Für Deutschland sind insbesondere Sonderregelungen für Kleinserienprodukte sowie Schnellverfahren für versorgungsrelevante Innovationen wichtig. Für Frankreich spielen die Zentralisierung der Systemsteuerung bei der EMA und klare Ablauferwartungen an Benannte Stellen eine wichtige Rolle.

Einfluss auf die MDR haben zudem weitere Rechtsetzungsvorhaben der EU. Bei der EU-Verordnung zur Künstlichen Intelligenz (KI) sollten Doppelregulierungen mit der MDR vermieden werden. Bei der EU-REACH-Verordnung laufen umfangreiche Überprüfungsprozesse auch für Medizinprodukte. Hauptthema ist hier PFAS, aber auch Ethanol, wo es zu Bereichsausnahmen kommen sollte.

Möll betonte die Bedeutung der Initialzündung durch das MDR/IVDR-Whitepaper von BVMed und VDGH aus dem Jahr 2023 sowie die Resolution der EVP-Fraktion zur MDR-Reform. Der BVMed sucht dabei vor allem den Schulterschluss mit dem französischen Verband SNITEM und ist im intensiven Austausch mit der EU-Kommission, um MDR-Verbesserungen voranzutreiben. Als ein Schwerpunkt der notwendigen Verbesserungen bezeichnete die Regulatory-Expertin des BVMed, Dr. Christina Ziegenberg, die Steigerung der Effizienz der MDR-Prozesse. Von großer Bedeutung seien zudem gute Lösungen für „Orphan Devices“ sowie medizintechnische Innovationen. Hier hätten die Vorarbeiten bereits begonnen.

Bürokratieabbau – Was braucht die MedTech-Branche?

In der Paneldiskussion des Rechtssymposiums ging es um die Frage „Bürokratieabbau: Was ist für die MedTech-Branche notwendig?“. Moderator Björn Kleiner, Politikleiter beim BVMed, stellte einleitend fest, dass Deutschland als Wirtschaftsstandort in den letzten Jahren durch überbordende Bürokratie unattraktiver geworden ist. Dies sei gerade für eine so innovationsdynamische und mittelständisch geprägte Branche wie die Medizintechnik eine große Herausforderung.

Barbara Lengert von Johnson & Johnson, Sprecherin des Regulatory Affairs-Arbeitskreises des BVMed: „Es ist mittlerweile bei jedem angekommen, dass die MDR über das Ziel hinausgeschossen ist. Die Regelungen sind zu kompliziert und zu komplex.“ Sie plädierte dafür, wieder einen pragmatischeren Weg zu finden. Die MedTech-Unternehmen benötigten vor allem bessere Planbarkeit und Vorhersehbarkeit. Nur so würden Investitionen künftig wieder vermehrt in Europa getätigt werden. Möglichkeiten der Vereinfachung sieht sie beispielsweise bei einem standardisierten Format für die technische Dokumentation mit einheitlichen Modulen. Außerdem könnten die überbordenden jährlichen Berichtspflichten stark reduziert werden, ohne dass die Patientensicherheit leidet.

Bürokratisierung belastet besonders den Mittelstand

Angela Specht von KREWI Medical Produkte sagte, dass die zunehmende Bürokratisierung insbesondere den Mittelstand treffe. Denn die Regelungen seien für Konzerne wie KMU weitestgehend gleich, ohne dass der Mittelstand die personellen Ressourcen dafür habe. Dadurch würden die Innovationen, die vor allem vom Mittelstand kommen, stark gehemmt. „Man verliert sich in Berichtspflichten und ist permanent mit Akten beschäftigt. Wer soll denn bei einem kleinen Unternehmen die Berichte alle schreiben?“, erklärte Specht. Ihr Plädoyer: „Wir brauchen pragmatische Lösungen auch für kleinere Unternehmen.“

Jurist und Mediziner Dr. Adem Koyuncu beleuchtete den Bereich der klinischen Forschung und klinischen Prüfungen. In diesem Bereich sei die Komplexität durch die MDR enorm. Das beginne bei den unterschiedlichen Zuständigkeiten. Für die klinische Prüfung seien Behörden zuständig, für die klinische Bewertung aber die Benannten Stellen, die eigene Vorstellungen haben. „Das Zusammenspiel funktioniert nicht gut“, kritisierte Koyuncu. Dies führe zu erhöhter Komplexität, die verwaltet werden müsse – und damit zu mehr Bürokratie führe. Nicht umsonst gehe die Zahl klinischer Studien in Europa und insbesondere Deutschland zurück und wandere wieder mehr in die USA ab. Dort seien die Aspekte der Fristenkontrolle und Planbarkeit besser. Hilfreich seien umfassende Standardvertragsklauseln. Dabei müssten aber auch die Fragen standardisiert werden, die in der Praxis zum größten Aufwand führen.

Vergaberechtsexperte Dr. Oliver Esch betonte, dass das Vergaberecht grundsätzlich EU-weit harmonisiert sei und dem nationalen Gesetzgeber wenig Spielraum biete. Die Grundsätze des Vergaberechts seien gut, die Frage sei aber, wie die Verfahren umgesetzt werden. So habe jedes Bundesland seine eigenen Vergaberichtlinien mit eigenen Schwerpunkten, die abgeschafft werden könnten. Die Länder sollten keine eigenen Anforderungen bei Ausschreibungen oberhalb des EU-Schwellenwertes erheben können.

Von der KI-Regulierung über die Datennutzung: Spezifischere Rechtsthemen

Rechtsanwalt Dr. Markus Fuderer von Meisterernst Rechtsanwälte und Ulrich Juknat von Johnson & Johnson beleuchteten die anstehende europäische KI-Verordnung (AI Act) und das Zusammenspiel mit der MDR. Der AI Act lehne sich grundsätzlich an die MDR-Systematik an, verfolge also ebenfalls einen risikobasierten Ansatz. In den nächsten Tagen wird ein MDCG-Papier zur Vergleichbarkeit der beiden Regelungen erwartet, das bereits in einer Entwurfsversion vorliegt. Das Dokument listet beispielsweise die Gemeinsamkeiten der Anforderungen auf, so dass Dokumente der MDR weitestgehend für die KI-Verordnung verwendet werden können, allerdings müssen Schwerpunkte neu gesetzt bzw. erweitert werden, beispielsweise die möglichen Auswirkungen auf die kritische Infrastruktur.

Rechtsanwalt Dr. Frank Pflüger von Baker McKenzie und Rechtsanwalt Dr. Roland Wiring von CMS Hasche Sigle betrachteten Herausforderungen für Betreiber und Anwender bei KI-Medizinprodukten, beispielsweise Haftungsfragen oder andere rechtliche Fallstricke. Sie gingen dabei insbesondere auf Beschränkungen durch das ärztliche Berufsrecht oder das Erstattungsrecht ein. Spannend sei beispielsweise die Frage, ob Ärzte die Patienten über den Einsatz von KI-Systemen aufklären müssen.

Maria Heil von Novacos Rechtsanwälten beleuchtete das neue Datenrecht in der Medizinprodukteindustrie. Aus ihrer Sicht hat der europäische Datenraum EHDS hat ein großes Potenzial, Gesundheitsinnovationen in der EU voranzutreiben. Allerdings seien noch viele Fragen offen – nicht nur inhaltlich, sondern auch technisch und formal, beispielsweise die Gestaltung der Datenbehörden oder technische Normen. Offen sei auch die Frage der Verzahnung aller Regelungen und Rahmenbedingungen für eine praktikable Umsetzung des Datenzugangs. Die Gesundheitswirtschaft sei ein wichtiger Datenhalter und Datenlieferant für den wissenschaftlichen Fortschritt. Gemeinsames Ziel sollte sein, alle Beteiligten zu involvieren, um die Einführung und den Betrieb des EHDS erfolgreich zu gestalten.

Rechtsanwalt Timo Mackenzie-Owen ging der Frage nach, welche notwendigen Inhalte ein Liefervertrag haben sollte und wann eine Qualitätssicherungsvereinbarung aus Sicht der Industrie sinnvoll ist.

Rechtsanwalt Hartmut Scheidmann von Redeker Sellner Dahs betrachtete die Schnittstelle zwischen Medizinprodukterecht und Chemikalienrecht. Er beleuchtete insbesondere die REACH-, die CLP- und die Biozidverordnung und deren Auswirkungen auf die Medizinprodukteindustrie.