Chronischer Stress ist schlecht für gebrochene Knochen

Oberschenkelknochen einer Maus (Quelle: © Melanie Haffner-Luntzer | Uniklinikum Ulm)

In einer Studie haben Mitarbeiter der Ulmer Universitätsmedizin die molekularen Mechanismen identifiziert, über die psychische Traumen und andere massive Stresserfahrungen die Heilung von Knochenbrüchen verzögern.

Rettungskräfte im Notfall-Einsatz oder Opfer von Naturkatastrophen und Gewalttaten – sie alle stehen massiv unter Stress. Im Falle einer schweren Verletzung bleibt dies nicht ohne Folgen. Denn massive Stresserfahrungen und posttraumatische Belastungen können die Wund- und Knochenheilung verzögern. „Eine kontinuierliche Stressbelastung führt dazu, dass Immunzellen ein bestimmtes Enzym produzieren, das wiederum die Ausschüttung von Stresshormonen bewirkt, die die Knochenbildung hemmen“, bringt Studienkoordinator Prof. Stefan Reber das Ergebnis der neuen Untersuchung auf einen einfachen Nenner. Der Neurobiologe leitet an der Ulmer Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie die Sektion für Molekulare Psychosomatik und hat gemeinsam mit Prof. Melanie Haffner-Luntzer vom Institut für Unfallchirurgische Forschung und Biomechanik die Studie koordiniert.

Bei den Immunzellen handelt es sich um Neutrophile Granulozyten. Starker Stress veranlasst sie dazu, das Enzym Tyrosinhydroxylase (TH) zu produzieren, und dieses Enzym wiederum sorgt dafür, dass Stresshormone (Katecholamine) freigesetzt werden. Im Frakturhämatom wirken diese lokal auf die Zonen, in denen Knochenmaterial neu gebildet wird. „Durch den Einfluss der Stresshormone wird der Umbau von Knorpel- in Knochenzellen gehemmt. Die Knochenbildung und damit die Frakturheilung verlangsamt sich“, erklärt Dr. Miriam Tschaffon-Müller. Die Wissenschaftlerin vom Institut für Unfallchirurgische Forschung und Biomechanik gehört wie Elena Kempter, Doktorandin aus Rebers Sektion, zu den beiden Erstautorinnen der Studie.

Mit zelltyp-spezifischen Knockout-Mäusen, bei denen einerseits die TH-Expression unterbunden und andererseits der Adrenorezeptor geblockt war, konnten die Forschenden den Nachweis für diesen stressinduzierten Wirkmechanismus auf molekulargenetischer Ebene erbringen. Die Knockout-Mäuse zeigten keine stressbedingte Verzögerung der Knochenheilung. Im klinischen Teil der Studie wurden in Zusammenarbeit mit der Unfallchirurgischen Klinik und der Klinik für Psychosomatik Patientinnen und Patienten mit Sprunggelenksfraktur untersucht. „Das Ergebnis der klinischen Teilstudie zeigte: Wurde der Grad der psychischen Belastung durch Stress, traumatische Belastungen oder Depressionen als hoch eingeschätzt, war auch ein hoher Level an Tyrosinhydroxylase (TH) im Frakturhämatom zu finden und die Frakturheilung verlangsamt“, so Haffner-Luntzer. Erstaunlich: Ausschlaggebend für diese messbaren Effekte war dabei die subjektive Einschätzung der Belastung und auch das Schmerzempfinden.

Die Studie hat den Autoren zufolge eine gewisse praktische Relevanz. Schon jetzt lassen sich aus den Befunden Empfehlungen für die klinische Praxis ableiten. So könnte es ratsam sein, bei der Behandlung von Patientinnen und Patienten mit Knochenbrüchen und anderen massiven Verletzungen die persönliche Stresshistorie zu berücksichtigen. Unter Umständen macht es Sinn, Beta-Blocker einzusetzen, um den negativen Einfluss von Stresshormonen bzw. Katecholaminen auf die Knochenheilung zu dämpfen.