Cisplatin-Chemotherapie: Langzeiteffekt auf das Gehör

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Eine aktuelle US-amerikanische Studie liefert neue Erkenntnisse über die langfristigen Auswirkungen einer Chemotherapie mit Cisplatin auf Krebsüberlebende. Erstmals wurden Hörprobleme und fortschreitender Hörverlust untersucht.

Die im „Journal of the American Medical Association Oncology veröffentlichte Studie“ verfolgte eine Kohorte von Hodenkrebs-Überlebenden, die eine Chemotherapie auf Cisplatin-Basis erhalten hatten. Es zeigte sich, dass 78 Prozent von ihnen in Alltagssituationen erhebliche Hörschwierigkeiten hatten, mit negativen auf Auswirkungen auf die Lebensqualität der Probanden. Die interdisziplinäre Studie von Forschenden der University of South Florida (USF) und der Indiana University ist die erste, die die realen Hörprobleme und das Fortschreiten des Hörverlusts bei Krebsüberlebenden über einen langen Zeitraum hinweg misst.

Patienten für die Studie wurden zwischen 2012 und 2018 rekrutiert, eine Nachverfolgung findet noch statt. An der Indiana University und dem Memorial Sloan Kettering Cancer Center wurden 100 Teilnehmer ohne audiometrisch definierten hochgradigen Hörverlust (HL) zu Beginn und mindestens 3,5 Jahre nach der ersten audiologischen Untersuchung untersucht. Die Daten wurden von Dezember 2013 bis Dezember 2022 ausgewertet.

Langfristige Lebensqualität von Krebsüberlebenden verbessern

Es sei wichtig, die realen Auswirkungen der sensorischen Probleme der Patienten verstehen, so Robert Frisina, Universitätsprofessor und Vorsitzender des USF-Departments für Medizintechnik. Denn dann könnten bessere therapeutische Strategien und Präventivmaßnahmen entwickelt werden, um die langfristige Lebensqualität von Krebsüberlebenden zu verbessern.

Cisplatin wird unter anderem bei Blasen-, Lungen-, Hals- und Hodenkrebs als Chemotherapeutikum eingesetzt. Im Innenohr führt das Medikament zu Entzündungen und zur Zerstörung von Sinneszellen. Das wiederum kann einen dauerhaften Hörverlust zur Folge haben, der sich noch lange nach Abschluss der Cisplatin-Behandlung verschlimmern kann.

Der Studie zufolge führen höhere Dosen von Cisplatin zu einem schwereren und fortschreitenden Hörverlust, insbesondere bei Patienten mit Risikofaktoren. Zu diesen gehörten die kumulative Cisplatin-Dosis, Bluthochdruck, Hypercholesterinämie, Diabetes, Tabakkonsum, körperliche Inaktivität, Body-Mass-Index, HL in der Familienanamnese, kognitive Funktionsstörungen, psychosoziale Symptome und Tinnitus. Diese Patientengruppe hatten auch größere Schwierigkeiten, in bestimmten Alltagssituationen zu hören, etwa in einem lauten Restaurant.

Die wichtigsten Ergebnisse waren der audiometrisch gemessene HL, definiert als Mittelwert der hochfrequenten Reintöne (4-12 kHz) in beiden Ohren, und die mit WIN gemessene Spracherkennungsleistung in lauter Umgebung. Multivariable Analysen untersuchten Faktoren, die mit dem Risiko für die WIN-Werte und das Fortschreiten der audiometrisch definierten HL in Verbindung stehen.

Das Durchschnittsalter der 100 Teilnehmer betrug bei der Untersuchung 48 (25-67) Jahre. Die Chemotherapie lag bei den Patienten zwischen 4 und 31 Jahren zurück (Median: 14 Jahre). Bei der Nachuntersuchung hatten 78 (78 %) Prostatakrebs-Überlebenden einen audiometrisch definierten HL. Diejenigen, die selbst einen HL angaben, hatten ein zweifach schlechteres Hörvermögen als Studienteilnehmer ohne selbst angegebenen HL (48 vs. 24 dB HL; P < 0,001). Insgesamt 54 (54 %) Patienten mit selbst angegebenem HL wiesen beim WIN-Test eine klinisch signifikante Funktionsbeeinträchtigung auf. Eine schlechtere WIN-Leistung war mit Hypercholesterinämie (β = 0,88; 95% CI, 0,08 bis 1,69; P = 0,03), niedrigerem Bildungsstand (F1 = 5,95; P = 0,004) und dem Schweregrad des audiometrisch definierten HL (β̂ = 0,07; 95% CI, 0,06 bis 0,09; P < .001) assoziiert.

Risikofaktoren Hypercholesterinämie, Alter und kumulative Dosis

Die Progression des mit Cisplatin assoziierten Hörverlusts (CRHL) war mit Hypercholesterinämie (β̂ = -4,38; 95% CI, -7,42 bis -1,34; P = 0,01) und zunehmendem Alter (β̂ = 0,33; 95% CI, 0,15 bis 0,50; P < 0,001) assoziiert. Als besonders wichtig hoben die Autoren hervor, dass sich im Vergleich zu Normdaten gleichaltriger Männer die kumulative Cisplatin-Dosis signifikant auf die audiometrisch definierte CRHL-Progression auswirkte (F1 = 5,98; P = 0,02): Patienten, die 300 mg/m2 oder weniger erhalten hatten, erfuhren eine signifikant geringere Progression. Hingegen hatten kumulative Cisplatin-Dosen von mehr als 300 mg/m2 eine stärkere zeitliche Progression zur Folge.

Die Hauptautorin Victoria Sanchez, außerordentliche Professorin in der USF Health-Abteilung für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde und Kopf- und Halschirurgie, sagte, dass es trotz der bekannten Risiken landesweit an routinemäßigen Hörtest für Krebspatienten unter Chemotherapie fehlt. Sie geht davon aus, dass die meisten Patienten ihr Gehör vor, während oder nach einer Chemotherapie nicht testen lassen. Sanchez betonte: „Unsere Studie unterstreicht die Notwendigkeit regelmäßiger Hörtests, um langfristige Hörschäden zu kontrollieren und abzumildern.“ Nachuntersuchungen für Krebsüberlebende mit Cisplatin-Chemotherapie sollten neben regelmäßigen Hörtests auch ein strikte Kontrolle der Cholesterinwerte umfassen, empfehlen die Studienautoren für die Praxis.

Das Autorenteam hofft, dass diese Studie weitere Untersuchungen zu alternativen Chemotherapieprotokollen und Präventivmaßnahmen anregen wird, wie zum Beispiel von der FDA zugelassene Medikamente zur Verhinderung oder Reduzierung von Hörverlust. „Die Ergebnisse liefern Onkologen die Informationen, die sie brauchten, um alternative Behandlungspläne zu erforschen, die die Langzeitnebenwirkungen reduzieren könnten“, erklärte Frisina. Als mögliche Beispiele nannte er die Änderung der Dosierung und des Zeitpunkts der Cisplatin-Behandlung, wenn dies möglich ist. Er verwies außerdem auf Natriumthiosulfat als Injektion (Pedmarqsi), das zur Prävention des durch Cisplatin verursachten Hörverlust bei Kindern zugelassen ist. (ja)