Cochlea-Implantate: Auch Erwachsenen empfehlen

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Erwachsenen mit mittelschwerer bis schwerer Hörbeeinträchtigung sollte öfter als bisher die Versorgung mit einem Cochlea-Implantat angeboten werden, so die Empfehlung eines internationalen Expertenteams. Die Gruppe erhofft sich, dass Cochlea-Implantate häufiger bei Erwachsene eingesetzt werden – und damit besseres Hören und mehr Lebensqualität für die Betroffenen.

Die Konsenserklärung, veröffentlicht Ende August im Journal JAMA Otolaryngology, wurde von einer Gruppe von 31 Hörexperten und Hörexpertinnen entwickelt, unter der Leitung von Craig A. Buchman, MD, Lindburg Professor and Leiter des Department of Otolaryngology-Head & Neck Surgery at Washington University School of Medicine in St. Louis, USA.

Laut der Gruppe um Buchman könnten weltweit 50 Millionen Menschen mit einer so starken Hörminderung, dass diese die Lebensqualität der Betroffenen negativ beeinflusst, von einem Cochlea-Implantat profitieren. Die Empfehlungen sollen auch das Bewusstsein für die Thematik bei Allgemeinärzten und -ärztinnen wecken, die Patienten an Fachärzte überweisen.

„Auch wenn Cochlea-Implantate seit 1985 in den USA zugelassen sind, bekommen nur zehn Prozent aller, die davon profitieren würden auch ein Cochlea-Implantat“, erklärt Buchman. „Da gibt es möglicherweise Missverständnisse, etwa dass Cochlea-Implantate nur für kleine Kinder, die mit einer schwerwiegenden Hörbeeinträchtigung geboren wurden, geeignet sind. Aber diese Geräte können auch bei Erwachsenen, die später im Leben einen Hörverlust erleiden, sehr effektiv sein. So sind zum Beispiel Erwachsene, die Schwierigkeiten mit dem Hörverständnis bei Telefonaten haben, Kandidaten für eine Cochlea-Implantation.“ Ärzte und Patienten würden möglicherweise auch normale Hörsysteme bevorzugen, um Eingriff zu vermeiden, der von vielen als große Operation wahrgenommen werde, so Buchman weiter.

„Cochlea-Implantate können auch im Rahmen eines einstündigen ambulanten Eingriffs eingesetzt werden“, erläutert Buchman. „Der Eingriff ist sicher und effektiv. Außerdem nützen Hörgeräte nur denjenigen, die etwas Verstärkung brauchen. Aber wenn das Gehör nachlässt, hören die Menschen auch weniger deutlich. Aber undeutliche Sprache lauter zu machen, macht sie nicht verständlicher.“ An diesem Punkt sei die Versorgung mit einem Cochlea-Implantat zu empfehlen, denn das bringe die Deutlichkeit wiederherstellen, so Buchman.

Die Konsenserklärung nennt 20 Statements auf die sich die Autoren und Autorinnen geeinigt haben. Die Empfehlung basieren auf eine Analyse der wissenschaftlichen Literatur zu Cochlea-Implantaten. Sie konzentrieren sich auf sieben Themengebiete:

  • Aufmerksamkeit für Cochlea-Implantate.
  • Best-Practice-Richtlinien zur Diagnose von Schwerhörigkeit.
  • Best-Practice-Richtlinien zu Cochlea-Implantation.
  • Klinische Wirksamkeit von Cochlea-Implantaten.
  • Mit dem klinischen Ergebnis einer Cochlea-Implantation zusammenhänge Faktoren.
  • Zusammenhang zwischen Hörverlust, Depression, sozialer Isolation und Demenz.
  • Kostenauswirkungen einer Cochlea-Implantation.

Laut Buchman könnte ein weiteres Hindernis zum vermehrten Einsatz, die Schwierigkeiten der Diagnose einer Hörminderung sein. So hätten Allgemeinärzte häufig nicht die nötige Ausrüstung und Patienten seien geübt darin mit einem schwindenten Gehör umzugehen. Es seit leicht selbst einen schwerwiegenden Hörverlust zu übersehen. Dieser passiere graduell und oft seien sich die Betroffenen nicht bewusst, in welchem Ausmaß sie sich auf Lippenlesen und Verständnis aus dem Kontext des Gesagten verlassen, um das was sie nicht verstehen auszugleichen. Dafür sei allerdings ein Face-to-Face-Kontakt nötig, so Buchman.

„Wenn sie als Arzt ein Patientengespräch führen, gibt es eine einfache Methode, um auf eine Schwerhörigkeit zu testen: Gehen sie zum Waschbecken und waschen sie sich die Hände. Mit dem Rücken zum Patienten und dem Geräusch des Wassers im Hintergrund stellen sie einige Fragen. Wenn der Patient nicht adäquat reagiert, ist es angebracht eine mögliche Schwerhörigkeit zu thematisieren und einen ausführlichen Hörtest zu empfehlen“, rät Buchman.

Schwerverlust ist mit Depression, sozialer Isolation und Demenz assoziiert. Auch wenn derzeit noch daran geforscht werde, welche Roll der Hörverlust spielt sieht die Gruppe um Buchman ausreichend Belege dafür, dass eine Verbesserung des Gehörs einen starken Einfluss auf die Lebensqualität hat. „Aktuelle Forschungen legen nahe, dass der Hörverlust der einzige große Demenz-Risikofaktor ist, der beeinflusst werden kann und eine Cochlea-Implantation könnte dieses Risiko reduzieren“, sagt Buchman. „Wir hoffen, dass diese Empfehlungen zu formalen klinischen Leitlinien führen. Solche Leitlinien könnten den Zugang zu Cochlea-Implantaten weltweit verbessern, Ungleichheiten in der Versorgung adressieren und zu besserem Hören und Lebensqualität für Erwachsenen mit einem beeinträchtigendem Hörverlust führen.“ (red/ja)

Originalpublikation:
Buchman et al. Unilateral Cochlear Implants for Severe, Profound, or Moderate Sloping to Profound Bilateral Sensorineural Hearing Loss: A Systematic Review and Consensus Statements JAMA Otolaryngol Head Neck Surg 2020 Aug 27.