Cochrane-Review: Es fehlt an Evidenz zur Schmerzbewertung bei Neugeborenen17. April 2025 Symbolfoto: ©MoiraM/stocka.dobe.com Mit welchen Messinstrumenten lassen sich Schmerzen bei Neugeborenen valide ermitteln? Ein aktueller Cochrane-Review findet erhebliche Evidenzlücken zu den bisherigen Bewertungsskalen. Die Experten meinen: Es wird Zeit für ein grundlegend neues Tool. Bei rund sechs bis neun Prozent aller Neugeborenen ist aufgrund einer Erkrankung oder einer Frühgeburt der Aufenthalt auf einer neonatalen Intensivstation (NICU) nötig. Diese Säuglinge müssen täglich mehrere schmerzhafte Eingriffe über sich ergehen lassen, was zu langfristigen negativen Auswirkungen führen kann. Aus diesem Grund sind valide Instrumente zur Beurteilung von Schmerzen von großer Bedeutung. Weltweit wurden über 40 Bewertungsskalen entwickelt und angepasst, die unterschiedliche Parameter und verschiedene Arten von Schmerzen erfassen. Eine kürzlich veröffentlichte Cochrane-Studie zeigt jedoch erhebliche Lücken in den klinischen Bewertungsskalen zur Schmerzbeurteilung bei Neugeborenen auf. Die Cochrane-Auswertung ergab, dass keine der verfügbaren Skalen durch qualitativ hochwertige Evidenz und methodische Maßnahmen gestützt wird, die erforderlich sind, um ihre Gültigkeit und Zuverlässigkeit in der klinischen Praxis zu bestätigen. Die Publikation unterstreicht somit den dringenden Bedarf an verbesserten Instrumenten und globaler Zusammenarbeit. Schmerzskalen für Säuglinge haben keine solide Evidenz In der Cochrane-Studie wurden 79 Studien mit mehr als 7000 Säuglingen in 26 Ländern analysiert und 27 verschiedene klinische Bewertungsskalen bewertet. Bei allen Bewertungsskalen wurde festgestellt, dass sie nur über eine sehr geringe Evidenz verfügen, was auf erhebliche Einschränkungen bei ihrer Wirksamkeit und klinischen Anwendbarkeit hinweist. „Bei mehr als 70 Prozent der Bewertungsskalen in dieser Untersuchung wurden weder die inhaltliche noch die strukturelle Validität bewertet“, sagt Kenneth Färnqvist, Physiotherapeut und Doktorand an der Abteilung für molekulare Medizin und Chirurgie am Karolinska-Institut in Stockholm (Schweden). Dabei seien diese beiden Faktoren bei der Auswahl eines Messinstruments von entscheidender Bedeutung. „Ohne eine solide Grundlage in diesen Bereichen können andere notwendige Maßnahmen, wie die Zuverlässigkeit, nicht genau bewertet werden. Künftige Studien müssen einer strengen Validierung den Vorrang geben, um die Bewertung von Schmerzen bei Neugeborenen zu verbessern“, fordert Färnqvist. Die Messung von Schmerzen bei Neugeborenen ist im Vergleich zu Erwachsenen besonders komplex. Das kann zu einer Über- oder Unterschätzung der Schmerzen führen, was eine unnötige Sedierung oder eine unzureichende Schmerzbehandlung zur Folge hat, die möglicherweise die Sicherheit des Säuglings durch Nebenwirkungen der Behandlung wie Entzugserscheinungen oder anhaltendes Unwohlsein gefährdet. Bei Frühgeborenen kommt erschwerend hinzu, dass sie aufgrund ihrer Unreife oft nicht in der Lage sind, ein robustes Schmerzverhalten zu zeigen. Das Gleiche gilt auch für kranke oder sedierte Säuglinge. „Es ist wichtig, daran zu denken, dass klinische Bewertungsskalen nur ein Surrogat für die Schmerzmessung sind“, sagt Roger F. Soll, Professor für Neonatologie an der Universität von Vermont (USA). „In Anbetracht der in dieser Studie aufgezeigten Unsicherheiten sollte sich das klinische Personal nicht zu sehr auf die derzeit in der Praxis verwendeten Bewertungsskalen verlassen und stattdessen versuchen, schmerzhafte Eingriffe bei dieser gefährdeten Bevölkerungsgruppe so weit wie möglich zu reduzieren.“ Globale Zusammenarbeit zur Entwicklung einer validen Skala Trotz der enttäuschenden Ergebnisse könnte die Untersuchung eine Chance für Fortschritte bei der Beurteilung von Schmerzen bei Neugeborenen bieten, insbesondere durch globale Zusammenarbeit und Innovation. Emma Persad, Ärztin und Doktorandin am Department of Women’s and Children’s Health des Karolinska-Instituts, erläutert: „Dies ist unsere Chance, Kliniker und Methodiker zu vereinen, um eine streng validierte Skala von Grund auf zu entwickeln, die alle notwendigen Prüfungen vor der Implementierung in Forschung und Praxis erfüllt. Wir freuen uns darauf, mit dieser wichtigen Arbeit zu beginnen, und auf die Auswirkungen, die sie auf die Bewertung und das Management von Schmerzen bei Neugeborenen weltweit haben wird.“ (ah)
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