Cochrane Review zu Abnehmspritzen: Unabhängige Studien fehlen5. November 2025 Foto: © pixel-shot/stock.adobe.com Neue Cochrane Reviews zeigen: Die als „Abnehmspritzen“ bekannten Wirkstoffe Tirzepatid, Semaglutid und Liraglutid führen bei Menschen mit schwerem Übergewicht zu einer medizinisch bedeutsamen Gewichtsabnahme, solange die Therapie beibehalten wird. „Diese Medikamente können insbesondere im ersten Jahr zu einem deutlichen Gewichtsverlust führen“, erklärt Dr. Juan Franco von der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. „Nach jahrzehntelangen erfolglosen Versuchen, wirksame Behandlungen für Menschen mit Adipositas zu finden, ist das ein bemerkenswerter Schritt nach vorn“, fügt er hinzu. Franco leitet die Düsseldorfer Cochrane Evidence Synthesis Unit (ESU), eine Arbeitsgruppe, die systematische Übersichtsarbeiten erstellt – und hat als Autor an allen drei jetzt veröffentlichten Cochrane Reviews mitgearbeitet. Effekt von Tirzepatid, Semaglutid und Liraglutid verglichen Alle drei neuen Cochrane Reviews vergleichen den Effekt der „Abnehmspritzen“ mit einem Placebo. Sie zeigen folgendes: 1.) Wird Tirzepatid einmal wöchentlich unter die Haut gespritzt, sinkt das Ausgangsgewicht nach zwölf bis 18 Monaten im Mittel wahrscheinlich um rund 16 Prozent (acht Studien mit 6361 Teilnehmenden). „Wahrscheinlich“ schreiben die Cochrane-Autoren deshalb, weil sie sich wegen eines Verzerrungsrisikos in den Studien nicht ganz sicher sind, dass die beobachtete Wirkung der tatsächlichen Wirkung von Tirzepatid exakt entspricht. Die Autoren stufen die Vertrauenswürdigkeit der Ergebnisse daher nicht als hoch, sondern nur als moderat ein. Eine Studie über dreieinhalb Jahre mit 1023 Teilnehmenden legt nahe, dass die Menschen ihr Gewicht wahrscheinlich auf diesem Niveau halten können, wenn sie die Therapie so lange fortsetzen. Allerdings ist Tirzepatid eine Substanz mit einem neuen Wirkungsmechanismus („Twincretin“) – und es gibt dementsprechend noch kaum Daten zur Langzeitsicherheit. 2.) Wird Semaglutid einmal wöchentlich unter die Haut gespritzt oder – nur in einer Studie –täglich als Tablette eingenommen, sinkt das Ausgangsgewicht nach sechs bis 17 Monaten im Mittel um knapp elf Prozent (15 Studien mit 8651 Teilnehmenden). Dieses Ergebnis gilt als sicher, denn die Cochrane-Autoren stufen die Vertrauenswürdigkeit der Evidenz als hoch ein. Diese Gewichtsreduktion bleibt nach zwei Jahren fortgesetzter Therapie wahrscheinlich bestehen. Die Analyse von zwei Studien mit 17.908 übergewichtigen Teilnehmer, die fast alle bereits eine Herz-Kreislauferkrankung hatten und bis zu viereinhalb Jahre lang Semaglutid bekamen, zeigte zudem: Mit dieser Therapie kommt es bei diesen Risiko-Patienten wahrscheinlich etwas seltener zu erneuten, schwerwiegenden Herz-Kreislauf-Ereignissen wie Schlaganfall oder Herzinfarkt. Im Studienzeitraum (bis zu viereinhalb Jahre) erlitten nur etwa 64 von 1000 Patienten erneut solche ernsten Herz-Kreislauf-Probleme. Zum Vergleich: Mit Placebo waren es 78 von 1000 Risiko-Patienten. Diesen kleinen Unterschied bewerten die Cochrane-Autoren aber als wahrscheinlich klinisch kaum oder gar nicht relevant. 3.) Für Liraglutid, das täglich unter die Haut gespritzt werden muss, reicht die Datenbasis nicht aus, um wirklich verlässlich zu sagen, wie viel Prozent ihres Körpergewichts schwer Übergewichtige in den ersten anderthalb Jahren im Schnitt verlieren. Sagen ließe sich aber: In knapp anderthalb Jahren gelang es etwa 64 Prozent der Studienteilnehmer mit Liraglutid, ihr Ausgangsgewicht um mindestens fünf Prozent zu verringern. Ohne Liraglutid schafften das bloß etwa 30 Prozent der Teilnehmenden (18 Studien mit 6651 Teilnehmenden). Dieser positive Effekt von Liraglutid wird nach zwei bis drei Jahren wahrscheinlich etwas schwächer. Das Gewicht um mindestens fünf Prozent zu verringern, gilt in Leitlinien als wichtiges Ziel für Adipositas-Patienten, um die Gesundheit zu verbessern. Langfristige Therapieabbrüche im Fokus Bei allen drei Mitteln treten vermehrt leichte bis moderate Verdauungsprobleme wie Übelkeit und Erbrechen auf. Wahrscheinlich sorgen diese unerwünschten Wirkungen bei einigen Semaglutid-Anwender auf lange Sicht für Therapieabbrüche. Für die beiden anderen Präparate reichten die Daten nicht aus, um diese Frage ausreichend verlässlich zu klären. Auch zu etwaigen schwerwiegenden unerwünschten Wirkungen der „Abnehmspritzen“ können die Cochrane-Autoren auf der aktuellen Datenbasis keine sicheren Aussagen treffen. Die drei Reviews zeigen auch: Im Augenblick laufen zu allen drei Wirkstoffen noch zahlreiche Studien. Insgesamt bleiben momentan einige Fragen offen. So fordern die Cochrane-Autoren mehr randomisiert kontrollierte Studien zu Langzeitwirksamkeit und Langzeitsicherheit der Präparate – und auch dazu, wie sich die Mittel langfristig auf die Herzkreislaufgesundheit auswirken. Damit soll klarer werden, welche Rolle die Medikamente bei der langfristigen Gewichtskontrolle spielen können. Die neuen Reviews wurden im Auftrag der Weltgesundheitsorganisation WHO erstellt. Sie sollen in die geplante WHO-Leitlinie zur Anwendung von GLP-1-Rezeptor-Agonisten zur Behandlung von Adipositas einfließen. Allerdings wurden fast alle der randomisiert kontrollierten Studien, die in den drei Cochrane Reviews ausgewertet wurden, von den Herstellern der Präparate finanziert und durchgeführt. Diese potentiellen Interessenkonflikte schränken die Vertrauenswürdigkeit der Ergebnisse ein. Die Cochrane-Autoren fordern daher mehr unabhängige Forschung.
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