Comfort Food: Menschen mit chronischen Schmerzen neigen zu emotionalem Essen

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In einer australischen Studie griffen zwei Drittel der Patienten mit chronischen Schmerzen zu Comfort Food. Was einerseits Freude und Trost im Schmerzalltag schenkt, kann auch zu einem Teufelskreis aus Gewichtszunahme und weiteren Gesundheitsproblemen führen, warnen die Forscher.

„Menschen, die täglich mit Schmerzen leben, müssen Wege finden, damit umzugehen“, erklärt Studienautor Prof. Toby Newton-John. „Wir denken bei Strategien zur Schmerzbewältigung an Medikamente, Physiotherapie oder Wärmepackungen, aber normalerweise nicht an Essen“, verdeutlicht der Professor für Klinische Psychologie von der University of Technology Sydney.

Emotionales Essen zur Schmerzbewältigung

Als emotionales Essen, emotional eating oder comfort eating gilt der Verzehr von Nahrung (Comfort Food), die in Zusammenhang mit bestimmten Emotionen aufgenommen wird anstatt aufgrund eines Hungergefühls. So kann es bspw. bei Langeweile, Stress und depressiven Verstimmungen (Stichwort: Frustessen), aber auch in Verbindung mit positiven Emotionen (die klassische Belohnung) zum emotionalen Essen kommen.

In die Reihe von Gründen für emotionales Essen scheint sich nun auch die Schmerzbewältigung einzureihen. So gaben in der aktuellen Befragung von 141 Erwachsenen mit chronischen Schmerzen zwei Drittel an, dass sie mindestens einmal alle zwei Wochen zu Essen griffen, wenn die Schmerzen aufflammten. Die Wissenschaftler bezeichnen dieses Verhalten als schmerzbedingtes emotionales Essen (pain-induced comfort eating, PICE). Sie definieren PICE als übermäßigen Verzehr von schmackhaften und typischerweise energiereichen Lebensmitteln mit dem spezifischen Ziel, die mit dem Schmerzempfinden verbundenen Beschwerden zu lindern.

Comfort Food als schöne Alltagserfahrung

Als Hauptgründe für PICE nannten die Befragten „eine angenehme Erfahrung machen“ (51,8 %), gefolgt von „Ablenkung“ (49,6 %) und „Emotionen reduzieren“ (39 %). Das berichten Newton-John und seine beiden Kolleginnen Claudia Roche und Dr. Amy Burton im „Journal of Clinical Psychology in Medical Settings“.

„Das war ein etwas unerwartetes Ergebnis“, sagt Burton. „Das Essen diente nicht nur der Ablenkung oder der Betäubung negativer Gefühle, obwohl auch diese Aspekte wichtig waren. Für viele war das Essen von Comfort Food eine schöne Erfahrung in ihrem Alltag und etwas, worauf sie sich freuen konnten. Wenn man ständig mit Schmerzen lebt, wird dieser Moment des Genusses zu einer ziemlich starken Motivation.“

Den Autoren zufolge könnte es aber auch eine biologische Erklärung für ihre Entdeckung geben. „Untersuchungen zeigen, dass kalorienreiche Lebensmittel eine leicht schmerzlindernde Wirkung haben können. Selbst in Experimenten mit Tieren suchen Ratten, die Schmerzen haben, nach Zucker. Es scheint also nicht nur eine psychologische Wirkung zu sein. Es ist möglich, dass diese Lebensmittel auch eine echte schmerzstillende Wirkung haben“, spekuliert Burton.

Vorsicht vor dem Teufelskreis aus Schmerz und Essen

Allerdings hat das emotionale Essen seinen Preis. Rund 38 Prozent der Studienteilnehmer galt als übergewichtig und weitere fast 30 Prozent als adipös. Damit unterscheiden sich die Werte nicht wesentlich von der australischen Allgemeinbevölkerung. Dennoch warnen die Forscher davor, dass die Schmerzbewältigung durch Essen zu einem Teufelskreis werden kann, in dem sich beide Zustände gegenseitig verstärken.

„Kurzfristig fühlen sich Menschen durch kalorienreiche Lebensmittel besser. Sie lindern die Schmerzsymptome und erhöhen die Schmerztoleranz. Langfristig können sie jedoch zu Gewichtszunahme und Entzündungen führen, was den Druck auf die Gelenke erhöht und die Schmerzen verschlimmert. Dadurch können Menschen in eine Spirale geraten, aus der sie nur schwer wieder herauskommen.“

Ernährungsberatung, um den Kreislauf zu durchbrechen

Bislang konzentrieren sich Schmerzmanagementprogramme (beispielsweise die multimodale Schmerztherapie) auf den Einsatz von medikamentösen, physiotherapeutischen und psychologischen Behandlungsstrategien. Nach Ansicht der australischen Forscher sollte erwogen werden, eine Ernährungsberatung in solche Programme zu integrieren, um Alternativen zu Bewältigungsmechanismen durch Essen anzubieten.

„Wir vermitteln in der Regel Fähigkeiten wie Entspannung, Dehnungsübungen oder das richtige Tempo bei Aktivitäten, aber wir sprechen in diesem Zusammenhang selten über Ernährung“, sagt Newton-John. „Diese Arbeit zeigt, dass wir den Menschen helfen müssen, zu erkennen, ob sie Essen als Mittel zur Schmerzbewältigung einsetzen, und ihnen Alternativen anbieten müssen.“

Vorsicht vor Stigmatisierung

Gleichzeitig betont Professor Newton-John, dass die Ergebnisse nicht dazu verwendet werden sollten, Menschen mit chronischen Schmerzen dafür zu verurteilen, dass sie sich von einer kurzfristigen Lösung verführen lassen. „Der Umgang mit täglichen Schmerzen ist unglaublich schwierig, und Medikamente reichen oft nur bis zu einem gewissen Grad. Es ist verständlich, dass Menschen nach etwas greifen, das ihnen ein gutes Gefühl gibt. Aber sowohl für Ärzte als auch für Patienten ist das Bewusstsein entscheidend, um diesem Kreislauf zu entkommen.“

(ah/BIERMANN)