Die Rolle des Corticotropin-Releasing-Hormons in Wundheilung und Gehirnreifung

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Bei Verletzungen im Gehirn aktivieren sich Oligodendrozyten-Vorläuferzellen (OPCs) und produzieren das Stresshormon CRH. Forschende zeigen, dass CRH nicht nur die Reifung von OPCs während der Wundheilung steuert, sondern auch die Myelinisierung im sich entwickelnden Gehirn beeinflusst.

Kommt es zu einer Verletzung im Gehirn von Labor-Mäusen, z.B. durch eine Injektion, so hat Forschungsgruppenleiter Jan Deussing beobachtet, dass im direkten Umfeld stets ein bestimmter Zelltyp auftaucht, der aktiviert wird. Doch was für Zellen das sind, das konnte der erfahrene Neurobiologe sich nicht erklären.

Zellen identifiziert sowie neuer Mechanismus entdeckt

Erstautor Clemens Ries begann daher, im Mausmodell systematisch alle bekannten Zelltypen zu testen. Der einzige Marker schlug bei Vorläuferzellen von Oligodendrozyten (OPCs) an. Anschließend konnte er nachweisen, dass sich die Vorläuferzellen an Wundrändern massiv vermehren, zum überwiegenden Teil weiter reifen und sich zu Myelin bildenden Oligodendrozyten entwickeln. Ries und Deussing entdeckten noch mehr Neues: Im Umfeld von Wunden aktivieren ungefähr ein Drittel aller OPCs das Corticotropin-Releasing-Hormon (CRH), das entscheidend für die Stressregulation des Körpers ist. Dass OPCs Neuropeptide wie das CRH bilden können, war bis dahin unbekannt. Publiziert wurden die Ergebnisse in der Fachzeitschrift „Cell Reports“.

Die CRH-Produktion erfolgt sehr schnell und lässt sich innerhalb weniger Stunden als unmittelbare Reaktion auf die Verletzung nachweisen, wird aber nach circa drei Tagen wieder eingestellt. Diese akute Reaktion deutet auf eine wichtige Funktion bei frühen Prozessen der Wundheilung hin.

Eine wichtige Rolle bei diesem Vorgang scheint auch einer der zwei bekannten CRH-Rezeptoren zu spielen, über den das freigesetzte CRH seine Wirkung entfaltet und der auf einer anderen Population von OPCs anzutreffen ist. Ohne den CRHR1 vermehren sich die OPCs infolge einer Verletzung zwar rascher, aber es entstehen daraus letztendlich weniger reife Oligodendrozyten. Offensichtlich spielt das CRH eine entscheidende Rolle für das richtige Timing der Reifung der OPCs, um eine Wiederherstellung der Myelinscheide zu gewährleisten.

Was passiert nach der Geburt?

OPCs spielen auch für die Myelinisierung während der Reifung des Gehirns eine wichtige Rolle. Diese erfolgt hauptsächlich nach der Geburt und wird im jungen Erwachsenenalter abgeschlossen. Da der CRH-Rezeptor 1 auch unabhängig von einer Verletzung auf OPCs vorhanden ist, haben sich die beiden Wissenschaftler gefragt, ob der Rezeptor auch bei der Myelinisierung während der Reifung des Gehirns eine Rolle spielt. Sie zogen weitere Kollegen hinzu und schauten sich den Prozess der Myelinisierung in weiteren Mausmodellen und mit verschiedenen Methoden genau an. Hier konnten sie beobachten, dass ohne CRH-Rezeptor 1 in frühen Entwicklungsstadien mehr OPCs gebildet werden, was langfristige Auswirkungen auf die Struktur des Gehirns hat. Im erwachsenen Gehirn konnten die Experten Veränderungen in der Myelinisierung nachweisen, die auf eine Verdickung der Myelinscheide insbesondere von dünnen Axonen zurückzuführen ist.

Der CRHR-Rezeptor 1 auf OPCs spielt also auch bei der Myelinisierung während der Entwicklung des Gehirns eine entscheidende Rolle. Bei einer Verletzung reagieren OPCs mit der Produktion und Freisetzung von CRH. Doch wo kommt das Stresshormon CRH während der Reifung des Gehirns her? Die These der Wissenschaftler: Während der Entwicklung wird CRH von Neuronen freigesetzt und moduliert die Vermehrung von OPCs sowie deren Reifung zu Myelin-produzierenden Oligodendrozyten.

Bedeutung für psychiatrische Erkrankungen

Es ist bekannt, dass CRH vor allem unter Stressbedingungen von Neuronen ausgeschüttet wird. Stress während der frühkindlichen Entwicklung ist einer der Risikofaktoren für psychiatrische Erkrankungen. „Unsere aktuellen Ergebnisse lassen vermuten, dass bei Stress-assoziierten psychiatrischen Erkrankungen wie Depressionen das CRH-System in OPCs eine größere Rolle spielen dürfte als bisher bekannt war“, mutmaßt Deussing. Das könnte den Autoren zufolge langfristig zu neuen therapeutischen Ansatzpunkten führen.