COVID-19: Studie zeigt ausgeprägte Vernarbung der Lunge durch gestörte Immunreaktion

Computertomographie-Aufnahme der Lunge eines Patienten mit COVID-19-Lungenversagen. Helle Bereiche zeigen Verdichtungen und Vernarbungen des Lungengewebes. (Abbildung: © Charité/Mirja Mittermaier)

Bei der Mehrheit der Patientinnen und Patienten mit schwerer COVID-19-Erkrankung vernarbt die Lunge in außergewöhnlich starkem Ausmaß. Das zeigt eine neue Studie.

Forschende der Charité – Universitätsmedizin Berlin, des Helmholtz-Instituts für RNA-basierte Infektionsforschung (HIRI), des Max-Delbrück-Centrums für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (MDC), des Universitätsklinikums der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule (RWTH) Aachen und des Robert Koch-Institutes beschreiben in der Fachzeitschrift „Cell“, dass Makrophagen dabei eine zentrale Rolle spielen. Einige Prozesse des COVID-19-Lungenversagens ähneln dabei denen der Idiopathischen Lungenfibrose. Die gestörte Narbenreaktion könnte erklären, warum die Lunge lange funktionsunfähig bleibt und eine langwierige Therapie mit extrakorporaler Membranoxygenierung (ECMO) erfordert.

„Patientinnen und Patienten mit schwerem COVID-19 haben oft ein sehr stark ausgeprägtes Lungenversagen“, erklärt Prof. Leif Erik Sander von der Medizinischen Klinik mit Schwerpunkt Infektiologie und Pneumologie der Charité, einer der beiden korrespondierenden Leiter der Studie. „Die weitgehende Zerstörung ihrer Lungenstruktur erfordert eine invasive Beatmung oder sogar eine ECMO-Behandlung über längere Zeit und geht leider mit einer sehr hohen Sterblichkeit von etwa 50 Prozent einher.“

Fehlgeleitete Reaktion von Makrophagen im Verdacht

Als Grund für die lange Dauer des Lungenversagens hatte das Forschungsteam unter anderem eine spezielle Form des akuten Lungenversagens (ARDS) im Verdacht, bei der es zu einer Fibrose des Lungengewebes kommt. Schon relativ früh in der Pandemie war bei einzelnen Patientinnen und Patienten ein solcher Umbau des Gewebes aufgefallen. Die aktuelle Studie des interdisziplinären Forschungskonsortiums aus ganz Deutschland bestätigt nun, dass das schwere COVID-19-bedingte Lungenversagen tatsächlich sehr häufig von einer ausgeprägten Vernarbung des Lungengewebes begleitet wird. „Eine fehlgeleitete Reaktion sogenannter Makrophagen, die auch als Fresszellen des Immunsystems bekannt sind, könnte dafür mitverantwortlich sein“, konstatiert Dr. Antoine-Emmanuel Saliba, Arbeitsgruppenleiter am HIRI in Würzburg und zweiter korrespondierender Leiter der Studie.

Für die Studie untersuchte das Team die Lungen verstorbener COVID-19-Patientinnen und -Patienten anhand verschiedener mikroskopischer Aufnahmen. „Bei fast allen Betroffenen haben wir enorme Schäden entdeckt: Die Lungenbläschen waren weitgehend zerstört, die Wände deutlich verdickt. Außerdem fanden wir ausgeprägte Ablagerungen von Kollagen, welches ein Hauptbestandteil von Narbengewebe ist. All dies ist charakteristisch für eine schwere Fibrose“, beschreibt Prof. Peter Boor die Befunde. Er hat die Studie am Institut für Pathologie der Uniklinik RWTH Aachen geleitet. „Diese Beobachtungen weisen darauf hin, dass wir es beim COVID-19-Lungenversagen mit einem sogenannten fibroproliferativen ARDS zu tun haben, also einer besonders schweren Form des Lungenversagens. Das könnte erklären, warum wir die Betroffenen so lange beatmen müssen.“

Der Grund für dieses Phänomen war zunächst unklar. „Bei COVID-19 entwickelt sich ein Lungenversagen typischerweise erst in der zweiten oder dritten Woche nach Symptombeginn, wenn die Viruslast eigentlich schon wieder sinkt“, erklärt Sander. „Das weist darauf hin, dass nicht die unkontrollierte Virusvermehrung zum Versagen der Lunge führt, sondern nachgeschaltete Reaktionen, beispielsweise des Immunsystems, eine Rolle spielen.“ Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler analysierten deshalb die Zusammensetzung und Eigenschaften der Immunzellen in Lungenspülungen und -gewebe schwer erkrankter beziehungsweise verstorbener COVID-19-Patientinnen und -Patienten. Dazu nutzten sie modernste Methoden der Einzelzellanalyse.

Große Mengen von Makrophagen in der Lunge von Personen mit COVID-19-assoziiertem ARDS

Das Team konnte so zeigen, dass sich in der Lunge von COVID-19-Betroffenen, die ein Lungenversagen entwickeln, vor allem Makrophagen in großen Mengen ansammeln. „Überraschenderweise zeigten die Makrophagen bei schwerem COVID-19 ähnliche Eigenschaften wie bei einer chronischen Form der Lungenvernarbung, der Idiopathischen Fibrose“, betont Saliba. Von allen Formen der Lungenfibrose hat diese die schlechteste Prognose. „Die Makrophagen treten bei schwerem COVID-19 mit bestimmten Zellen des Bindegewebes in Kontakt, die für die Bildung von Narbengewebe verantwortlich sind. Diese Zellen vermehren sich stark und produzieren große Mengen Kollagen“, ergänzt der Experte für Einzelzellforschung.

Immunfluoreszenz-Aufnahme der Lunge eines Patienten mit schwerer COVID-19-Erkrankung: In dem stark geschädigten Lungengewebe sammeln sich Makrophagen (rot) an. Grün angefärbt sind Fibroblasten. (Abbildung: © Uniklinik RWTH Aachen/Saskia von Stillfried)

In der Zellkultur entdeckten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, dass SARS-CoV-2 selbst die Fresszellen so beeinflusst, dass sie den Fibroseprozess möglicherweise befeuern. Dazu isolierten sie Fresszell-Vorläufer aus dem Blut gesunder Menschen und stimulierten sie mit dem Virus. Wie eine Analyse von etwa 7000 Proteinen zeigte, produzierten die Immunzellen daraufhin verstärkt Botenstoffe, die Vernarbungsprozesse einleiten, ganz ähnlich wie bei einer Idiopathischen Lungenfibrose. „SARS-CoV-2 ist also zumindest ein möglicher Auslöser für die fehlgeleitete Reaktion der Fresszellen“, erklärt Prof. Matthias Selbach. Der Proteomik-Experte hat die Studie am MDC geleitet. „Das Virus vermehrt sich dabei anscheinend nicht in den Immunzellen, sondern programmiert sie um. Diesen Effekt konnten wir interessanterweise nicht beobachten, wenn wir die Makrophagen mit einem Grippevirus stimulierten. Das Influenza-Virus vermehrte sich in den Immunzellen stark. Es brachte sie aber nicht dazu, Vernarbungsprozesse zu fördern.“

Parallelen zwischen COVID-19 und chronischer Lungefibrose aufgezeigt

„Unsere Daten zeigen also eindeutig Parallelen zwischen COVID-19 und der chronischen Lungenfibrose auf“, resümiert Saliba. „Das erklärt vielleicht, warum einige Risikofaktoren für COVID-19 auch Risikofaktoren für die Idiopathische Lungenfibrose sind – zum Beispiel Grunderkrankungen, Rauchen, ein männliches Geschlecht und ein Alter über 60 Jahre. Es gibt jedoch einen entscheidenden Unterschied zwischen den beiden Erkrankungen: Bei COVID-19 ist die Vernarbung zumindest potenziell reparabel.“ Das konnte das Forschungsteam anhand von CT-Bildern nachvollziehen. Bei COVID-19-Erkrankten, die mit der ECMO behandelt wurden, zeigten die Aufnahmen zunächst typische milchglasartige Trübungen, die sich im Verlauf der Erkrankung verdichteten und vernarbten. Bei Betroffenen, die von der ECMO-Behandlung entwöhnt werden konnten und genasen, gelang es dem Körper, die Verdichtungen allmählich aufzulösen – auch wenn in manchen Fällen deutliche Vernarbungsreste zurückblieben.

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wollen nun genauer untersuchen, welche zellulären Prozesse dazu führen, dass sich eine Fibrose zurückbildet. „Wenn wir die Auflösung von vernarbtem Gewebe besser verstehen, können wir in Zukunft hoffentlich nicht nur COVID-19-Betroffenen, sondern auch Patientinnen und Patienten mit bisher unheilbarer Lungenfibrose helfen“, sagt Sander. „Die wichtige Rolle der Makrophagen für beide Krankheiten legt außerdem nahe, dass eine Hemmung der Zellen dazu beitragen könnte, die Vernarbung zu verhindern.“

An der Charité untersuchen Forschungsgruppen beispielsweise die Wirksamkeit einer Blockade von Rezeptoren, die den Fresszellen den Eintritt in das Lungengewebe ermöglichen.