CRISPR/Cas: Die Balance zwischen Effizienz und Sicherheit finden4. Dezember 2024 Sicherheit und Effizienz müssen bei Crispr-Cas-Anwendungen im Gleichgewicht sein. KI-Bild: J.Kuster/ETH Zürich Forschende der ETH Zürich haben bei einer Anwendung der Genschere CRISPR/Cas eine gravierende Nebenwirkung aufgedeckt. Das Molekül AZD7648, das den Vorgang effizienter machen soll, zerstört Bereiche des Genoms. Die Genombearbeitung mit verschiedenen CRISPR/Cas-Molekülkomplexen hat in den vergangenen Jahren rasante Fortschritte gemacht. Weltweit arbeiten mittlerweile hunderte von Labors daran, solche Werkzeuge für die Klinik nutzbar zu machen, und sie entwickeln sie laufend weiter. CRISPR/Cas-Werkzeuge erlauben es Forschenden unter anderem, einzelne Bausteine des Erbguts präzise und zielgerichtet zu verändern. Mit Gentherapien, die auf solchen Gen-Editierungen beruhen, lassen sich schon heute Erbkrankheiten behandeln, Krebs bekämpfen oder auch Kulturpflanzen herstellen, die resistent sind gegen Dürren und Hitze. Reparatur starten Am häufigsten arbeiten Wissenschaftlern weltweit mit dem CRISPR/Cas9-Molekülkomplex, der auch als Genschere bekannt ist. Dieser Molekülkomplex zerschneidet den DNA-Doppelstrang exakt an der Stelle, an der das Erbgut verändert werden soll. Dies im Gegensatz zu neueren Gen-Editierungsmethoden, bei denen nicht der Doppelstrang durchtrennt wird. Der Schnitt aktiviert zwei natürliche Reparaturmechanismen, mit der die Zelle solche Schäden flickt: einen schnellen, aber ungenauen, bei dem lediglich die Enden der zerschnittenen DNA wieder zusammengefügt werden, und einen langsamen und präzisen, der langsamen und gründlichen, der aber nicht in jedem Fall aktiviert wird. Letzterer benötigt für die Reparatur eine kopierfähige Vorlage, um die DNA an der Schnittstelle exakt wiederherzustellen. Die langsame Variante heißt Homologie-gerichtete Reparatur. Die Forschung möchte diesen Reparaturweg nutzen, weil sie damit präzise einzelne DNA-Segmente in eine gewünschte Genregion einbauen können. Der Ansatz ist sehr flexibel und eignet sich, um verschiedene Krankheitsgene zu reparieren. „Im Grunde genommen kann man damit beliebige Krankheiten heilen“, sagt Jacob Corn, Professor für Genombiologie der ETH Zürich. Effizienzsteigerung dank zusätzlichem Molekül Um die Zelle dazu zu bringen, die Homologie-gerichtete Reparatur zu starten, setzen Forschende seit Kurzem ein Molekül namens AZD7648 ein, das die Schnellreparatur blockiert und die Zelle dazu zwingt, die Homologie-gerichtete Reparatur zu verwenden. Dieser Ansatz sollte die Entwicklung von effizienteren Gentherapien beschleunigen. Erste Studien, die solche neuen Therapien verwendet haben, waren gut. Zu gut, um wahr zu sein, wie sich jetzt herausstellt. Denn soeben hat Corns Forschungsgruppe herausgefunden, dass der Einsatz von AZD7648 gravierende Nebenwirkungen hat. Die entsprechende Studie ist soeben in der Fachzeitschrift Nature Biotechnology erschienen. Massive genetische Veränderungen Zwar fördert AZD7648 wie erhofft den präzisen Reparaturvorgang und damit die präzise Gen-Editierung mittels des CRISPR/Cas9-Systems. Bei einem erheblichen Teil der Zellen hat dies jedoch zu massiven genetischen Veränderungen in einem Teil des Genoms geführt, von dem erwartet wurde, dass er ohne Narben verändert wird. Die ETH-Forschenden fanden heraus, dass diese Veränderungen darin mündeten, dass abertausende von DNA-Bausteinen, sogenannte Basen, einfach gelöscht werden. Sogar ganze Chromosomenarme brechen weg. Dadurch wird das Genom instabil, mit unvorhersehbaren Konsequenzen für die mit der Technik editierten Zellen. „Analysierten wir die Stellen des Genoms, wo es editiert wurde, sah es korrekt und präzise aus. Analysierten wir aber das Genom weiträumiger, bemerkten wir massive genetische Änderungen. Diese sieht man nicht, wenn man nur den kurzen editierten Abschnitt und dessen unmittelbare Nachbarschaft analysiert“, sagt der Grégoire Cullot, Postdoc in Corns Gruppe und Erstautor der Studie. Großes Schadensausmaß Das Ausmaß der negativen Auswirkungen hat die Forscher überrascht. Sie gehen sogar davon aus, dass sie das ganze Ausmaß noch nicht vollständig überblicken, da sie bei ihren Analysen von veränderten Zellen nicht das gesamte Genom angeschaut haben, sondern nur Teilbereiche. Um das Schadensausmaß und -potenzial abzuklären, braucht es deshalb neue Testverfahren, Vorgehensweisen und Regulierungen. Doch wie sind die ETH-Forscher auf das Problem aufmerksam geworden? In anderen Studien zeigten Forschende, wie hochwirksam und präzise CRISPR/Cas9-Geneditierung unter Zugabe von AZD7648 arbeitet. „Das machte uns misstrauisch und wir haben deshalb genauer hingeschaut“, sagt Jacob Corn. Die ETH-Forschenden analysierten daraufhin die Abfolge der DNA-Bausteine nicht nur um die bearbeitete Stelle, sondern auch im weiteren Umfeld. Dabei entdeckten sie diese unerwünschten und katastrophalen Nebenwirkungen, die der Einsatz von AZD7648 hervorgerufen hatte. Ihre Studie ist die erste, die diese Nebenwirkungen beschreibt. Weitere Forschungsgruppen haben diese ebenfalls untersucht und stützen die Resultate der ETH-Forscher. Auch sie werden ihre Ergebnisse publizieren. „Wir sind die ersten, die sagen: Es ist nicht alles wunderbar“, sagt Corn. „Für uns ist das ein herber Rückschlag, weil wir wie andere Wissenschaftler gehofft haben, dass wir mit der neuen Technik die Entwicklung von Gentherapien beschleunigen könnten.“ Der Anfang von etwas Neuem Dennoch ist das laut Corn nicht das Ende, sondern der Beginn von weiteren Fortschritten bei der Gen-Editierung mittels CRISPR/Cas-Techniken. „Die Entwicklung jeder neuen Technologie ist ein steiniger Weg. Ein Stolperer bedeutet nicht, dass wir die Technik aufgeben.“ Möglicherweise lässt sich die Gefahr bannen, indem man in Zukunft nicht nur ein Molekül einsetzt, um die Homologie-gerichtete Reparatur zu bevorzugen, sondern einen Cocktail an verschiedenen Substanzen. „Es gibt viele mögliche Kandidaten. Wir müssen jetzt herausfinden, aus welchen Komponenten so ein Cocktail zusammengesetzt sein muss, damit das Genom keinen Schaden nimmt.“ Gentherapien, die auf dem CRISPR/Cas-System beruhen, wurden in der Klinik bereits erfolgreich angewendet. So wurden in den vergangenen Jahren zum Beispiel 100 Patienten, die an der Erbkrankheit Sichelzellanämie litten, mit Therapeutika auf CRISPR/Cas-Basis behandelt, damals noch ohne AZD7648. „Alle Patienten gelten als geheilt und haben keine Nebenwirkungen, sagt Corn. „Ich bin deshalb optimistisch, dass sich solche Gentherapien durchsetzen werden. Die Frage ist eher, welcher Weg der Richtige ist und was wir brauchen, damit die Technik sicher anwendbar wird für möglichst viele Patienten und Patientinnen.“
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