„Crossing Borders“ auf dem DGHNO 2024 in Essen30. April 2024 Kongresspräsident Stephan Lang. Foto: Universitätsklinikum Essen Die Jahresversammlung der Deutschen Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie vom 8. bis 11. Mai steht in diesem Jahr unter dem Motto „Crossing Borders interdisziplinär • international • interaktiv“. Im Interview spricht Kongresspräsident und amtierender Präsident der Deutschen Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, Kopf-, Hals-Chirurgie, Prof. Stephan Lang, über die Themenschwerpunkte der Jahrestagung, aktuelle Forschung und Digitalisierung in der HNO-Heilkunde. Auf dem Programm steht neben wissenschaftliche Sessions fachliche Austausch mit renommierten nationalen und internationalen Rednern. Auf welche Schwerpunkte und Diskussionen freuen Sie sich besonders?Lang: Diese Frage zu beantworten, ist natürlich bei der Vielfalt und Qualität der Beiträge nicht leicht und hängt auch von den jeweiligen persönlichen Interessen ab. Besonders interessant sind sicherlich die Beiträge von Kollegen, die aus der ganzen Welt anreisen, um uns an ihrem Erfahrungsschatz teilhaben zu lassen. Nicht umsonst ist „Crossing Borders“ das übergreifende Kongressmotto für dieses Jahr. Ein weiterer Aspekt, auf den ich mich freue, sind die interdisziplinären Referate und Sessions mit den Kollegen aus anderen Fachdisziplinen. Die HNO-Heilkunde hat traditionell viele Schnittstellen zu anderen Fachbereichen, anatomisch sowie inhaltlich, und das ist etwas, was wir in unserer Klinik aktiv leben, aber auch nach außen tragen wollen. Welche Erwartungen haben Sie an die Tagung? Vor allem im Hinblick auf Leitlinien oder neue Studien in der HNO?Lang: Klinische Studien und Evidenz-basierte Medizin sind natürlich ein Schwerpunkt unserer wissenschaftlichen Bemühungen neben der translationalen und grundlagenwissenschaftlichen Forschung. Hierzu haben wir zum einen eine prominent platzierte Session am Donnerstag, in der der aktuelle Stand und die Ergebnisse von hochqualitativen, prospektiven Studien zu HNO-Fragestellungen vorgestellt werden. Zudem gibt es zu bestimmten Schwerpunktstudien ‒ wie der HODOKORT Studie oder der OTOF-Gentherapie ‒ eigene Detailvorträge. Der Kongress bildet ein breites Themenspektrum ab. Darunter die neuesten Entwicklungen auf dem Gebiet der HPV-assoziierten Oropharynxkarzinome, der neoadjuvante Immuntherapie und interdisziplinären Chirurgie an Orbita und Schädelbasis. Wie hat sich die Inzidenz von HPV-assoziierten Oropharynxkarzinomen in den letzten Jahren entwickelt? Welche Risikofaktoren spielen bei der Entstehung dieser Tumoren eine Rolle?Lang: HPV-assoziierter Krebs im Bereich der Rachen- und Zungengrundmandel stellt eine besondere medizinische Herausforderung dar. Zudem ist dies eine Erkrankung mit steigender Inzidenz. Die Patienten sind meist etwas jünger und gesünder als übliche HNO-Tumorpatienten, zudem ist die Erkrankung besser behandel- und heilbar. Gerade wegen des langen Überlebens der Patienten sind die Therapie-assoziierten Nebenwirkungen besonders in den Fokus gerückt und wir versuchen derzeit in klinischen Studien, schonendere Behandlungsstrategien zu entwickeln bei gleichbleibend hohen Heilungsraten. Ende vergangenen Jahres stellte eine Studie (HODOKORT) die Glukokortikoid-Behandlung bei einem Hörsturz in Frage. Was bedeutet das?Lang: Die Studie war immens aufwendig und hat die wichtige Erkenntnis gebracht, dass eine höhere Kortisondosis im Vergleich zur ‒ niedriger dosierten ‒ Standardtherapie nicht mit einer besseren Erholung des Gehörs nach Hörsturz einhergeht. Auf einer Metaebene ist dies auch ein sehr spannendes Beispiel dafür, wie althergebrachte Therapiestandards aus der Zeit vor randomisierten, kontrollierten Studien in manchen Bereichen immer noch die gängige Lehrmeinung darstellen. Der nächste wichtige Schritt ist sicherlich die Folgestudie, KORTEBO, deren Protokoll auch im Rahmen des Kongresses vorgestellt wird. Wie kann die neoadjuvante Immuntherapie die Prognose von Patienten mit Kopf-Hals-Tumoren verbessern?Lang: Das Potential hat diese Art der Immuntherapie ‒ in klinischen Studien muss ein echter Vorteil gegenüber der Standardtherapie aber erst noch nachgewiesen werden. In Essen haben wir zu diesem Thema selbst eine prospektive Studie initiiert und durchgeführt, welche aktuell ausgewertet wird. Die möglichen Mechanismen sind hierbei vielfältig; zum einen sind die Patienten in frühen Tumorstadien möglicherweise immunkompetenter und sprechen deshalb gut an. Zum anderen werden lokale antitumorale Immunmechanismen nicht durch eine Operation oder Bestrahlung in ihrer Funktion kompromittiert bzw. durch die Immuntherapie sogar stimuliert. Ein weiterer, langfristig wirksamer Vorteil könnte zudem die Gedächtnisbildung des Immunsystems sein. Hierdurch könnte dann eventuell das Risiko eines Wiederauftretens der Tumorerkrankung reduziert werden. Mit Blick auf die Digitalisierung: Welche Herausforderungen und Chancen stehen der HNO-Heilkunde in Zukunft bevor?Lang: Hier haben die gesamte Medizin und das deutsche Gesundheitssystem noch deutlichen Nachholbedarf. Unsere neuer Innovations-OP beispielsweise ist digitalisiert und vollintegriert. Das bedeutet, dass die verbaute Medizintechnik verschiedener Hersteller über ein gemeinsames digitales Backbone miteinander kommuniziert. Und dass wir eine Entwicklung vorweggenommen haben, die langsam beginnt, in die klinische Routine Einzug zu halten und ohne die ein OP-Saal zukünftig kaum noch denkbar sein wird. International vernetzte medizinische Datenbanken werden zudem dazu beitragen, Krankheiten besser zu verstehen und Therapien aufgrund des Wissenzuwachses effizienter und patientenindividueller zu gestalten.
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