Cystinstoffwechsel: Neues therapeutisches Ziel zur Förderung der Gefäßregeneration entdeckt

Retina der Maus nach intravitrealer Injektion von Cystin. Färbungen: Zyan = EdU-Färbung (markiert sich teilende Zellen), rot = Antikörper IB4 (markiert Blutgefäße). Die Cystin-Supplementierung fördert das retinale Gefäßwachstum bei postnatalen Mäusen (li). Retina der Maus nach der intravitrealer Injektion von NaCl als Kontrolle (re). Abbildungen.©Bibli

Eine Forschungsteam der Universität Heidelberg hat gezeigt, dass die Aufnahme und der oxidative Abbau von Cystin im Zellkern das Wachstum und die Reparatur von Gefäßen vorantreiben.

Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie Herzinfarkt, Schlaganfall, Diabetes und Bluthochdruck sind die häufigste Todesursache in Deutschland. Blutgefäße spielen bei der Entwicklung dieser und weiterer Erkrankungen eine wesentliche Rolle.

Insbesondere die die Gefäße auskleidenden Endothelzellen haben als sogenannte Gatekeeper eine zentrale Bedeutung für die menschliche Gesundheit. Der Endothelstoffwechsel ist die Grundlage für Geweberegeneration, Gesundheit und Langlebigkeit.

Neue therapeutische Perspektiven für die Reparatur von Gefäßschäden

Die Abteilung für Vaskuläre Dysfunktion an der Medizinischen Fakultät Mannheim der Universität Heidelberg erforscht unter der Leitung von Prof. Sofia-Iris Bibli die molekularen Mechanismen, die das Wachstum, die Regeneration, die Rückbildung und die Alterung von Blut- und Lymphgefäßen steuern.

In ihrer aktuellen Arbeit haben die Wissenschaftler einen bisher unbekannten oxidativen Stoffwechselweg im Zellkern identifiziert, über den Epithelzellen das Gefäßwachstum steuern. Er verknüpft Cystin mit der epigenetischen Genregulation und eröffnet neue therapeutische Perspektiven für die Reparatur von Gefäßschäden. Die Arbeit wurde im Fachjournal „Cell Metabolism“ publiziert.

Supplementierung von Cystin ist entscheidend für Wachstum und Regeneration von Gefäßen

Cystin besteht aus zwei Molekülen der schwefelhaltigen Aminosäure Cystein, die durch eine Disulfidbrücke miteinander verbunden sind. Es ist in vielen proteinreichen Lebensmitteln enthalten, darunter Getreide, Nüsse, Fleisch, Fisch, Milchprodukte und Eier.

In ihrer Studie zeigen die Wissenschaftler, dass über die Nahrung zugeführtes Cystin im Zellkern oxidativ abgebaut wird und entscheidend für das Gefäßwachstum sowie die Regeneration von geschädigten Gefäßen ist. Dabei gehört Cystein zu den nicht-essenziellen Aminosäuren. Denn Cystein kann vom Körper selbst synthetisiert werden.

Der neu identifizierte, nährstoffabhängige Kontrollmechanismus nimmt nach Angaben der Forscher allerdings mit der Alterung ab. Er lässt sich aber wiederbeleben: Eine gezielte ergänzende Aufnahme von Cystin stellt das Gefäßwachstum bei Verletzungen, Krankheiten und bei Alterung wieder her, wie die Wissenschaftler berichten. Die Supplementierung von Cystin fördere die Gefäßreparatur bei der Retinopathie von Frühgeborenen, nach Myokardinfarkt sowie bei Verletzungen im Alter.

„Wir haben gezeigt, dass Endothelzellen bereits vor der aktiven Proliferation entscheiden, wie sie ihre Nährstoffaufnahme und -verwertung umstellen“, erklärt Bibli. „Die therapeutischen Effekte belegen die Rolle des oxidativen Cystin-Katabolismus im Zellkern als grundlegende metabolische Achse, die Nährstoffverwertung und Genregulation verknüpft – mit weitreichenden Implikationen für die Gefäßregeneration.“

Oxidativer Abbau von Cystin führt zu Proliferation und Gefäßwachstum

Die Wissenschaftler konnten den epigenetischen Mechanismus aufklären: Über einen sogenannten Solute-Carrier(SLC)-Transporter steuern Endothelzellen, die sich auf die Proliferation vorbereiten, aktiv den Cystin-Import in die Zelle. Dort bildet Cystin einen Komplex mit Cystathionin-Gamma-Lyase (CSE) und Pyruvatdehydrogenase und wird im Zellkern durch CSE oxidativ abgebaut.

Es konnte gezeigt werden, dass Cystin selbst über den oxidativen Abbau zu Pyruvat die Produktion von Acetylgruppen im Zellkern antreibt. Diese acetylieren spezifisch Histon H3. Die Chromatinstruktur wird dadurch gelockert und der endothelialen Transkription zugängig gemacht. Das führt zu Proliferation und Gefäßwachstum.

Die Studie umfasste eine klinische Kohorte, mehrere in vivo Maus Modelle, Zellkultur-Ansätze mit gezielter Genmodulation sowie umfangreiche funktionelle Gefäßanalysen.