Das Männerbild ist in Bewegung

Junge Männer vertreten heute zunehmend ein diversifiziertes Männerbild. Foto: deagreez – stock.adobe.com

Der fünfte Männergesundheitsbericht der Stiftung Männergesundheit zeigt: Etwa die Hälfte der jungen Männer in Deutschland achtet auf die Gesundheit. Zunehmend distanzieren sich junge Männer von dominanten Männerrollen.

Der 350 Seiten starke Bericht stellt die Ergebnisse einer repräsentativen Befragung von 16–28 Jahre alten Jugendlichen und jungen Erwachsenen vor und liefert Informationen zu der Frage, wie es um die körperliche und psychische Gesundheit von jungen Männern im Vergleich zu der junger Frauen bestellt ist. In einem zweiten Schritt ordnen die Autoren die Ergebnisse der Studie aus interdisziplinärer Perspektive (Medizin, Psychologie, Soziologie etc.) ein und liefern so Wissenschaft, Politik und der interessierten Öffentlichkeit Anhaltspunkte für die gezielte Unterstützung gesundheitsförderlichen Verhaltens.

Im Auftrag der Stiftung Männergesundheit hat das Marktforschungsunternehmen Kantar, München, zwischen dem 28. Februar und dem 18. März 2022 Interviews mit 3188 Personen im Alter von 16 bis 18 Jahren durchgeführt, darunter 2115 Männer, 1058 Frauen und 15 Diverse. Dabei wollten die Autoren folgende Fragen klären:

  • Gesundheitszustand: Wie gesund fühlen sich die jungen Männer?
  • Gesundheitsverhalten: Wie gesund verhalten sich junge Männer?
  • Risikoverhalten: Welche gesundheitlichen Risiken gehen junge Männer ein?
  • Freizeit und soziale Einbindung: Wie gesund gestalten junge Männer ihre Freizeit?
  • Männerrollen: Wie hängt das männliche Selbstverständnis mit der Gesundheit zusammen?

Junge Männer gesünder als junge Frauen?

Es zeigt sich, dass die jungen Männer ihre Gesundheit etwas optimistischer einschätzen als die jungen Frauen. 19 Prozent bezeichneten ihre „subjektive Gesundheit“ als sehr gut, 53 Prozent als gut; bei den Frauen waren es 11 und 55 Prozent. Je älter die jungen Männer werden, desto kritischer sehen sie aber auf ihren Gesundheitszustand: Der Anteil derjenigen mit „sehr guter“ subjektiver Gesundheit sinkt von 25 Prozent im Alter von 16 bis 19 Jahren auf zwölf Prozent bei den 26- bis 28-Jährigen. Bei denjenigen, die ihre Gesundheit als „gut“ bezeichnen, sinkt der Anteil in den genannten Altersgruppen von 55 auf 50 Prozent. Sabine Wolfert von Kantar, die die Ergebnisse im Rahmen einer Pressekonferenz am 17.11.2022 vorstellte, interpretierte diese Daten so, dass die jungen Männer mit zunehmendem Alter ihren eigenen Gesundheitszustand sensibler betrachten.

Im Vergleich zu jungen Frauen berichten junge Männer deutlich seltener über gesundheitliche Beschwerden, zum Beispiel über Rücken- oder Nackenschmerzen (50% vs. 69%), Migräne (44% vs. 67%), Beschwerden im Bewegungsapparat (33% vs. 44%) und über psychische Beschwerden (22% vs. 39%). Bei gastrointestinalen Beschwerden und grippalen Infekten liegen jedoch die Frauen vorn: So gab ein Viertel der Frauen an, dass sie innerhalb der vergangenen zwölf Monate dreimal oder häufiger unter Durchfall oder einer Magen-Darm-Infektion litten, im Vergleich zu 18 Prozent bei den Männern.

Welche Faktoren beeinflussen aber die Gesundheit der jungen Männer? „Je höher sie gebildet sind, desto optimistischer schätzen sie ihre Gesundheit ein“, fasste Wolfert zusammen. In Bezug auf die Frage der sexuellen Orientierung stellte sich heraus, dass im Vergleich zu ausschließlich Heterosexuellen Männer mit anderen Präferenzen stärker belastet waren und mehr über Gewalterfahrungen und sexuelle Belästigung klagten. „Daran sehen wir, dass diese Gruppe vulnerabler ist“, kommentierte Wolfert.

Gesundheitliche Selbstfürsorge

„Es ist nicht so, dass die jungen Männer besonders unsensibel mit ihrem Körper umgehen“, fuhr die Expertin fort, denn ihre Daten zeigten, dass viele Befragte durchaus selbstfürsorglich mit ihrer Gesundheit umgehen. So stimmten 47 Prozent der Aussage zu: „Ich achte auf die Signale, die mir mein Körper gibt“ (Frauen: 46%). Sport und Stressausgleich wurden mit jeweils 38 Prozent bejaht. Hinsichtlich Schlaf und gesunder Ernährung könnten sich die Männer jedoch ein Beispiel an den Frauen nehmen: Während die Hälfte der Frauen sagte „Ich sorge dafür, dass ich ausreichend Schlaf bekomme“, waren dies bei den Männern nur 45 Prozent; 51 Prozent der Frauen achten auf eine gesunde Ernährung gegenüber 43 Prozent der Männer. Auch zeigen die Männer eher als die Frauen ein Verhalten, das die Studienautoren als „Raubbau am Körper“ bezeichnen: 40 versus 33 Prozent sagen, dass sie gesundheitliche Probleme eher mit sich selbst ausmachen, 23 Prozent feiern so heftig, dass es ihnen am nächsten Tag richtig schlecht geht (Frauen: 18%), und 15 gegenüber neun Prozent ist es egal, wenn die Gesundheit leidet, „solange ich Spaß habe“. Besonders ausgeprägt ist der Unterschied beim Online-Zocken: 21 Prozent der Männer, aber nur acht Prozent der Frauen geben zu, dass sie ab und zu die ganze Nacht mit Videospielen verbringen und „am nächsten Tag völlig gerädert“ sind. Junge Männer frönen auch stärker dem Alkoholkonsum als gleichaltrige Frauen: 19%, 13% bzw. 1% der Befragten gaben an, dass sie einmal, mehrmals oder täglich Alkohol trinken; bei den Frauen waren es 14%, 6% und 0%.

Wie die Studie weiter zeigt, ist das Gesundheitsverhalten der jungen Männer im Guten wie im Schädlichen stark mit dem sozialen Kontext verbunden: 43 Prozent der Männer geben an, ihre Freizeit am liebsten mit Freunden zu verbringen (Frauen: 30%). Die Motivation, körperlich aktiv zu sein, kommt bei ihnen häufiger als bei Frauen aus dem Wunsch, Zeit mit den Freunden zu bringen, sich mit anderen zu messen oder sich behaupten zu können. Was das Rauchen betrifft, sind jedoch beide Geschlechter gleichermaßen von ihrem Umfeld beeinflusst, und zwar sehr stark: Bei den Männern, die angaben, dass „wichtige Freunde“ rauchen, waren 24 Prozent tägliche Raucher im Vergleich zu nur drei Prozent bei den Männern, die nicht angaben, dass ihr Freunde rauchen (Frauen: 26% vs. 2%). Dieser Unterschied besteht auch bei den jungen Menschen, die mehrmals oder nur einmal pro Woche rauchen.

Vier Männertypen

Schließlich wollten die Studienautoren auch herausfinden, welches Männerbild die Teilnehmer vertreten. Dazu konfrontierten sie diese mit 19 Aussagen zur Männerrolle. Es ergaben sich vier Männertypen: eher maskulin dominante Männer mit einem traditionell männlichkeits- und machtorientierten Rollenverständnis (24%) im Gegensatz zu gleichberechtigungsfokussierten Männern, welche die Gleichstellung von Frauen befürworten und männlicher Dominanz kritisch gegenüberstehen (30%), dazwischen partnerschaftlich orientierte Männer, die zwar ein männlichkeitsorientiertes Selbstbild haben, dies aber stark in ein partnerschaftliches Konzept integrieren (28%) und schließlich eine Gruppe „rollenambivalenter“ Männer, die laut den Studienautoren bezüglich der Rollenbilder „hin- und hergerissen“ sind. Typische Ansichten der dominanten Männer sind etwa, dass Männer von Natur aus ehrgeiziger und weniger treu seien als Frauen. Die dominanzkritischen Männer dagegen stimmen Aussagen zu wie „Männer haben gegenüber Frauen zu viel Macht und Einfluss in der Gesellschaft“ und „Frauen müssen mehr Führungspositionen besetzen“. Dass ein Mann der Frau etwas bieten und eine Familie ernähren können muss, ist eine Ansicht, die sowohl die dominanten als auch die ambivalenten, zu einem geringeren Teil auch die partnerschaftlichen Männer teilen. Dass Männer und Frauen gleichermaßen zum Unterhalt beitragen sollen, glauben sowohl die dominanzkritischen als auch die partnerschaftlichen Männer, ebenso, dass ein Mann auch Gefühle zeigen können sollte.

In Bezug auf die Gesundheit ist besonders spannend, dass die gesundheitliche Selbstfürsorge bei den vier Männertypen unterschiedlich ausgeprägt ist: Es besteht ein Zusammenhang zwischen dominantem Männerbild und ungünstigerem Gesundheitsverhalten. Bei 51 Prozent der maskulin dominanten Männer ist die Selbstfürsorge eher gering ausgeprägt, nur bei 19 Prozent ist sie stark ausgeprägt. Bei den Gleichberechtigungsfokussierten gehen dagegen 30 Prozent selbstfürsorglich mit ihrer Gesundheit um und 36 Prozent betreiben nur eine geringe Selbstfürsorge. Die anderen beiden Typen liegen zwischen diesen beiden Extremen.

Je höher die Bildung, desto günstiger das Gesundheitsverhalten

Prof. Klaus Hurrelmann, Senior Professor of Public Health and Education an der Hertie School, fasste zusammen, dass es laut den Studienergebnissen insgesamt mehr Männer gebe, die sich differenzierteren Typen zuordnen lassen als dem traditionellen Männerbild. „Das Männerbild ist in Bewegung“, sagte Hurrelmann, jedoch zeigen die Ergebnisse nach seiner Einschätzung auch, dass alte Muster weiterhin dominieren: So seien junge Männer zögerlicher in der Familiengründung und junge Frauen gingen weniger ins Erwerbsleben, obwohl sie leistungsmäßig besser abschneiden. Auch zeige die Studie: „Je mehr die Männer  sich vom traditionellen Bild entfernen, desto sensibler sind sie für Gesundheit.“ Optimistisch stimmt den Sozial-, Bildungs- und Gesundheitswissenschaftler der Befund: Je höher die Bildung, desto günstiger das Gesundheitsverhalten. Hier sieht er eine Chance, dies im Bildungssystem aufzugreifen.

„Der Bericht zeigt, wie wichtig es ist, Gesundheit nicht nur als Schicksal zu betrachten“, kommentierte Prof. Gudrun Quenzel von der Pädagogischen Hochschule Vorarlberg (Österreich). Generell werde in der Wissenschaft die Frage zu wenig beleuchtet, was das Individuum selbst dafür tut, kritisierte sie. Bezüglich der Befunde zum Einfluss der sexuellen Orientierung betonte die Soziologin, dass  Sexualpräferenzen, die nicht ausschließlich heterosexuell sind, „immer noch nicht selbstverständlich“ seien und dass diese Menschen unter „mehr Rechtfertigungsdruck“ stünden als andere.

Prof. Kurt Miller, Senior Consultant Professor Urologie an der Berliner Charité, stellte erfreut fest: „Eigentlich sind die jungen Männer nicht so schlecht bei der Gesundheit.“ Er zitierte Hochrechnungen, nach denen der Mortalitätsunterschied zwischen Männern und Frauen bis 2060 von 4,8 auf 3,4 Jahre sinken werde. Die Gründe sind zweischneidig: Einerseits verhalten sich die Männer gesundheitsbewusster, andererseits „holen die Frauen auf“ bei ungesundem Verhalten wie Rauchen. Der Urologe wies darauf hin, dass die Unterschiede in der Lebenswartung extrem abhängig vom Bildungs- und Einkommensniveau seien. „Es gibt einen hohen Übereinstimmungsgrad mit Bildung“, so Miller. So sei etwa Übergewicht bei Personen mit  höherer Bildung weniger vertreten. Gesundheitsaufklärung trifft hier jedoch auf Schwierigkeiten, so Miller: „Die Gruppen, die man am schwierigsten erreicht, haben das größte Problem.“

Für Ulrich Schneekloth von Kantar zeigen alle Analysen, dass sich seit den 90er- und 2000er Jahren das traditionelle Männerbild auflöst. „Dieser Erfolg ist ein Ertrag des sozialen Wandels.“ Er riet, schon im Kindergarten anzusetzen. Bernard Könnecke vom Dissens e.V. hält die „Förderung fürsorglicher Männlichkeiten“ für einen hilfreichen Ansatz. Dr. Herbert Wollmann MdB (SPD) warnte jedoch davor, den Kindergarten “mit intellektuellen Themen zu überfrachten”. „Männer und Frauen sind unterschiedlich, und das ist gut so, betonte er. „Der Kindergarten ist dafür da, den sozialen Umgang zu lernen“. Der Mediziner fand es erfreulich, dass 30 bis 35 Prozent der jungen Männer sich gesundheitlich vernünftig verhalten. In der Politik hält er das Thema für unterrepräsentiert: „Wir haben im Bundestag noch über kein einziges Thema der Männergesundheit gesprochen. Mein Ziel ist es, das zu ändern.“

(ms)