Delirprävention: Projektabschluss des Innovationsfondsprojekt KOMPASS D226. Mai 2025 Symbolfoto: ©Syda Productions/stock.adobe.com Lässt sich die stationäre Delirrate bei älteren Patienten mit Gedächtnisstörungen durch gezielte Präventionsangebote sowie Delirmanagementmaßnahmen minimieren? Die Ergebnisse des Projektes KOMPASS D2 deuten darauf hin – und könnten nun zur Ausarbeitung von Qualitätsverträgen dienen. Menschen im Alter von über 70 Jahren haben ein hohes Risiko, nach einer Operation ein Delir zu erleiden, das selbst zu dauerhaften alltagsrelevanten Einschränkungen führen kann. Besonders gefährdet sind Personen mit bereits vorhandenen kognitiven Störungen wie einer Demenz. Das unter Leitung des Universitätsklinikums Münster durchgeführte Innovationsfondsprojekt Kompass D2 (Komplikations-Management und Prävention im Ambulanten und Stationären Sektor – Demenz & Delir) hatte zum Ziel, die Delirrate bei älteren Patientinnen und Patienten mit kognitiven Beeinträchtigungen zu minimieren. Zusätzlich wollten die Projektverantwortlichen ermitteln, ob sich darüber auch die mit einem Delir assoziierten, negativen medizinischen und ökonomischen Folgen reduzieren lassen. Erreicht werden sollte dies über zwei Komponenten. Einerseits sollte eine Versorgungskette aufgebaut werden, die die gesamte ambulante und stationäre Versorgung älterer Patienten umfasste. Zum anderen stand die Entwicklung eines neuartigen Kompetenznetzwerkes für Delirprävention und -management im Fokus, in dem medizinische Versorger ihre Expertise telemedizinisch zusammenführen und Risikopatienten gemeinsam ortsübergreifend betreuen können. G-BA-Beschluss: Kein breites Roll-out, aber Weiterverwendung der Ergebnisse möglich Die neue Versorgungsform (NVF) wurde erfolgreich in konservativen oder chirurgischen Fachabteilungen an sechs Krankenhausstandorten im Münsterland implementiert und über eine randomisierte klinische Studie wissenschaftlich evaluiert. Auf Basis der Projektergebnisse hat der Innovationsausschuss beim Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) am 23. Mai zwar beschlossen, keine Empfehlung zur breiteren Umsetzung des erprobten Angebots auszusprechen. Doch aufgrund der positiven Ergebnisse für die Delirprävention werden die Ergebnisse gezielt weitergeleitet: Das Institut für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen (IQTiG) wird gebeten, zu prüfen, ob die Ergebnisse im Rahmen seiner Unterstützung der Vertragspartner von Qualitätsverträgen für den Leistungsbereich „Prävention des postoperativen Delirs bei der Versorgung von älteren Patientinnen und Patienten“ genutzt werden können. Laut G-BA Beschluss werden die Erkenntnisse außerdem mit Blick auf eine Weiterentwicklung oder Adaption der im Projekt erarbeiteten Präventionsmaßnahmen (beispielsweise Screening- und Schulungskonzepte) zur Information an die Deutsche Krankenhausgesellschaft, den Deutschen Pflegerat, das DelirNetzwerk, die Deutschen Gesellschaft für Geriatrie und an den Deutschen Berufsverband für Pflegeberufe weitergeleitet. Zur Begründung für diese Entscheidung heißt es vom G-BA, die begleitende Evaluation habe gezeigt, dass die Intervention zu einer Reduktion des Delirrisikos bei den älteren Patientinnen und Patienten mit Gedächtnisstörungen führte. Darüber hinaus habe es erste Hinweise auf positive Erfahrungen und Akzeptanz für die telemedizinischen Fallbesprechungen im Projekt gegeben. Weitergehende Ergebnisse seien teilweise jedoch nur gering belastbar. Umfassendes Delir-Management versus Regelversorgung An der vom Innovationsfonds mit ca. 5,6 Millionen Euro geförderten Studie (Förderzeitraum 1. Oktober 2019 – 30. September 2023) nahmen insgesamt mehr als 2000 Patienten im Alter von 70 Jahren oder älter teil, die bei stationärer Aufnahme kognitive Defizite aufwiesen. Diese wurden über den MoCA(Montreal Cognitive Assessments)-Test bestimmt, wobei ein Wert von weniger als 26 von 30 möglichen Punkten als auffällig galt und zur Studienteilnahme qualifizierte. Ebenfalls eingeschlossen wurden Patienten mit Hinweisen auf ein erhöhtes Delirrisiko in der spezifischen Anamnese (z.B. Delir in der Vorgeschichte). Ausschlusskriterien waren unter anderem eine signifikante operative Intervention, die eine Sedierung erforderte, sowie ein Aufenthalt auf Intensivstation. Es erfolgte eine randomisierte Zuteilung zur Kontrollgruppe mit Regelversorgung oder zur Interventionsgruppe. Die effektive Studienauswertung erfolgte mit 1944 Patienten. Patienten der Interventionsgruppe wurden vor, während und nach einem Krankenhausaufenthalt durchgängig gezielt betreut, um einem Delir vorzubeugen oder es frühzeitig und individuell angepasst zu behandeln. Ein berufs- und fachübergreifendes Team kontrollierte dabei regelmäßig den Gesundheitszustand und die Medikation der Patienten. Eine geschulte Pflegekraft begleitete sie zu Operationen und beriet die Angehörigen. Die beteiligten Kliniken bauten zudem ein Netzwerk auf, in dem sie im Rahmen telemedizinscher Visiten ihre Expertise austauschten sowie Patienten ortsübergreifend betreuen konnten. Verringerung der Delir-Inzidenz und Verbesserung der kognitiven Fähigkeiten In seinem Beschluss hebt der G-BA positiv hervor, dass durch die Intervention eine statistisch signifikante Reduktion des Delirrisikos um etwa 40 Prozent im Vergleich zur Regelversorgung gelang. So wurden während des initialen stationären Aufenthaltes 61 Delirien (6,3 %) in der Interventionsgruppe und 103 (10,6 %) in der Kontrollgruppe diagnostiziert. Die Delirdauer unterschied sich nicht wesentlich zwischen den Gruppen. Hinsichtlich kognitiver Fähigkeiten konnte sowohl zum Zeitpunkt der Entlassung als auch sechs Monate poststationär ein statistisch signifikant positiver Effekt der Intervention festgestellt werden. Bezüglich funktioneller Alltagskompetenzen zeigten sich zwar positive Trends unter der Intervention – besonders bei den Patientinnen und Patienten, bei denen es zu einem Delir kam – doch diese waren statistisch nicht signifikant. „Die Ergebnisse sind hierbei jedoch im Kontext geringer Stichprobengrößen zu interpretieren“, heißt es dazu im Beschlusstext des G-BA. In dem Projekt konnte gezeigt werden, dass die Kosten ansteigen, wenn es zu einem Delir kommt. Die Intervention hatte allerdings keinen eindeutigen Effekt auf die entstandenen Gesamtkosten – sowohl kurz- als auch langfristig. Weiterhin gab es erste Hinweise auf positive Erfahrungen und Akzeptanz für die Durchführung telemedizinischer Visiten im Rahmen des Projektes. „Die gewählten Methoden waren zur Beantwortung der Fragestellungen grundsätzlich geeignet. Aussagen zum Delir-Management bzw. Analyse zur Subgruppe mit einem Delir sind wegen der hohen Drop-Out-Rate und kleinen Fallzahl nur gering belastbar“, resümiert der G-BA in seinem Beschluss. Auch die Teilstichproben im Rahmen der gesundheitsökonomischen Evaluation (35 % der Teilnehmenden der randomisierten klinischen Stude) und Prozessevaluation (n=7) seien vergleichsweise klein und die Aussagekraft daher eingeschränkt. Während die Projektverantwortlichen in ihrem Ergebnisbericht überzeugt sind, dass „die breite Implementierung eines strukturierten Delirmanagements trotz der Limitationen sinnvoll erscheint“, gelangt der Innovationsausschuss beim G-BA jedoch zu einem anderen Fazit – und entscheidet sich aus den genannten Gründen gegen die Empfehlung zur breiteren Umsetzung der eingesetzten Interventionen. (ah)
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